Mein Maler und der Krieg

Von der Kunst in düsteren Zeiten: Energodar, Ukraine. In der Serie „Expedition Europa“.

Ich kenne den wahrscheinlich einzigen Kunstmaler der Welt, der fest bei einem Atomkraftwerk angestellt ist. Ich mag ihn, weil er immer so gesprüht hat vor Glück. Aleksandr Uglov ist Ukrainer, sein AKW ist das größte Europas. Werktags von 7 Uhr bis 16.15 Uhr hat er Gastgeschenke für Delegationen gemalt. Sein Motiv ist undankbar, die sechs Reaktoren sind bis auf die Nummerierung identisch, Sascha malt sie selten aus der Nähe. Meistens tut er die Reaktoren in denHintergrund; den Vordergrund bilden Vögel oder Bäume, ein Kornfeld oder Tulpenbeet, Strommasten, nächtliche Plattenbauten oder die Halbwüste der Umgebung, sehr oft der gewaltige Dnjepr-Stausee mit Segelboot, Herbstlaub, aufsetzendem Schwan, einsamem Fischersmann, im Abendrot oder im Morgennebel oder im Abendrot auf Schnee.

Ich lernte auch eine der sieben hauptberuflichen AKW-Sängerinnen kennen. Natascha gab sicher schon 15.000 Konzerte, darunter aber kein einziges ohne Atomleute im Publikum. Angefreundet habe ich mich nur mit Sascha. Die Bilder, die der Auftragskünstler nach 16.15 Uhr malt, hängen in 20 Ländern. Mich hat er schmeichelnd porträtiert, als Dichterfürsten mit dem Puschkinschen Funken. „Das Schicksal liebt mich“, hat Sascha einmal gesagt, „obwohl ich eigentlich kein Talent habe.“ Zum ersten Mal, seit Krieg ist, schaue ich bei ihm vorbei.

Eine Stadt, jünger als ich

Saschas Stadt, Energodar, ist der südostukrainische Zwilling von Pripjat, der Trabantenstadt in der Todeszone von Tschernobyl. Die Stadt ist jünger als ich, viele Energodarer sind jung, gebildet, wohlhabend, promiskuitiv, viele sympathisieren mit dem prorussischen Separatismus. 2014 gab es mindestens einen Konflikt beim AKW, dem Herz der ukrainischen Stromversorgung. Ein Alptraum, höchste Anspannung in der Partystadt, an den Zufahrten rund um die Uhr bewachte Straßensperren.

Sascha hat sich nicht verändert. Weiche Züge, Herzlichkeit, Bäuchlein, wie immer hat er eigens Kaffeeobers gekauft. Im Atelier hängt noch das Ölgemälde, für das er mich seinerzeit zu posieren bat. Sascha fragt vorsichtig nach, ob es mich auch nicht beleidigt, dass ein Schwuler aus Saporoschje das Ding kaufen wollte. Aber wo. Schon eher, dass der Interessent so lange feilschte, bis Sascha es lieber behielt. Das AKW bestellt in diesen Zeiten kaum noch, erzählt er, „aber ich finde ohnehin keinen neuen Blickwinkel auf die Reaktoren mehr“. Dafür nimmt er Aufträge jetzt auch im Internet entgegen. Jemand aus Amerika und „eine frühere Russin aus den Emiraten“ haben gekauft, ein Pole ließ sich Gattin und Geliebte porträtieren. Die hätte Sascha beinah vertauscht. „Ausstellungen mache ich im Moment nicht. Ich fürchte, dass man mich über Politik ausfragt.“

Nach dem Atelierplausch nimmt mich Sascha in seinem neuen Peugeot mit. Lächelnd lässt er die vollelektronische Abdeckung vom vollverglasten Autodach herunterrollen: „Vorletzten Sommer, als sie noch ukrainisch war, sind wir so mit den Kindern durch die Krim gefahren, haben auf die Berge geschaut.“ Sie fuhren auch nach Polen, wo sie auf einen videoüberwachten Wald stießen, das sei ein Vorbild für die Ukraine. Den Wagen könnte er sich jetzt nicht mehr kaufen, „das Leben ist viel härter geworden“.

Letztlich spricht er doch über die verhasste Politik. „Der Krieg geht weiter, aber vorläufig ohne Bewegungen.“ Und du, Sascha, wo stehst du? „Ich bin kein Patriot, aber ich will nicht in Russland leben.“ Sascha ist froh, dass er seinen ältesten Sohn vor der möglichen Einberufung bewahren konnte. „Er hat in Polen zu studieren begonnen. Ich glaube nicht, dass er zurückkehrt, und ich will das auch nicht. Ich glaube nicht mehr an die Ukraine.“ ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.06.2015)

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