Erregung am Maschendraht

Kittsee: wo Österreich nicht Österreich ist. In der Serie „Expedition Europa“.

Die Zone liegt verborgen an den Rändern des burgenländischen Dorfes. Sie besteht aus einigen Privatstraßen, markiert mit viel Verbotstext. Ich finde die Zone an einem Sonntagvorabend. Kein Land und keine Stadt, sondern eng gesetzte Stockreihenhäuser hinter breiten Reihen von Carports. Die im Parterre haben ein paar Meter Rasen, begrenzt von grünem Maschendrahtzaun. Auf der Innenseite des Zauns gleichmäßige Container.

Eine andere Privatstraße sieht aus, als wäre sie aus dem Immobilienprospekt hineinkopiert ins wettergegerbte Grenzdorf. Weiße Vierfamilienhäuser, die schmale Gasse perfekt asphaltiert, die Grashalme wie abgezählt, Neonröhren. Das heißt „Marillenplatz“. Wie schön, nichts lockt so sehr nach Kittsee wie seine 37.000 Marillenbäume, und eigentlich bin ich unter meinesgleichen: Hierher sind Slowaken aus der slowakischen Hauptstadt zugewandert, in die ich vor elf Jahren ausgewandert bin. Und doch bin ich froh, dass sich kein Mensch zeigt. Froh, dass ich mit niemandem reden muss.

An der Diversität von Kittsee konnte man schon irrewerden, bevor slowakische Zuzügler ein Drittel der 2700 Einwohner stellten: Einst halb burgenlandkroatisch, wurde Kittsee unter ungarischer Herrschaft erfolglos magyarisiert, nach etwa 400 Jahren erfolgreich germanisiert. Ein Schloss, ein Spital, eine Schokofabrik, der Ortsteil „Chikago“.

Auf verbotenen Schleichwegen

Bei den Wirten kommt es einem noch burgenländisch vor. Man schimpft auf Slowaken, die auf verbotenen Schleichwegen ins zwei, drei Kilometer entfernte Bratislava fahren, und setzt schon einmal slowakische Mitbürger mit slowakischen Einbrechern gleich. Es dürfte an der Lebensart dieser Slowaken liegen, dass der neue Stammeskrieg auf Facebook tobt. „Wir sind keine Zigeuner“, schimpft eine Slowakin, „wollt ihr lieber die Türken da haben?“ Ein Slowake verteidigt sich: „Die Slowaken, die hierhergezogen sind, wollen nichts mit dem Dreck von Bratislava zu tun haben.“

Slowaken, die unter die Einheimischen gezogen sind, warnen mich ihrerseits vor den Slowaken aus den Privatstraßen: „Meiden Sie die Steinfeldsiedlung! Dort wohnen so Bratislavaer mit verwöhnten Kindern. Dort hat ein Bub seinen Ball gegen den Maschendrahtzaun am Nachbargarten getreten. Sagt eine Frau zur Mutter des Buben, er soll aufhören, so geht der Zaun kaputt. Sagt die Mutter zu der Frau: Er wird den Ball weiter treten.“ Es ist dies aber auch schon der schlimmste Ghettogräuel, von dem ich höre.

An einem warmen Montagvorabend zwinge ich mich wieder in die Zone. Nun sind Menschen zu sehen, ich höre ausschließlich Slowakisch. Ich frage mich, was diese Menschen charakterisiert. Eine gewisse selbstgewisse Sportlichkeit? Ihr Casual-Look mit weißen Sneakers? Charakterisiert sie der Wohnbaukredit?

Am Rande der Steinfeldsiedlung eine Reihe Einfamilienhäuser. Die hohen Gartenmauern, welche die Mittelschicht der Slowakei so liebt, verhindert nach vorne das burgenländische Baugesetz, nach hinten sind einige hochgezogen. So erspart man sich den Blick auf die sanft herabrollenden Weinberge. Ich frage eine Slowakin nach den Containern am Maschendrahtzaun der Stockreihenhäuser. Sie antwortet: „Das sind Gartenhäuschen.“ Ich spreche mit weiteren Jungmüttern. „Zwei, drei Familien sind Österreicher, höchstens.“ Eine mit Germanistikabschluss lobt mein Slowakisch, wir könnten uns also in zwei Sprachen unterhalten. Dennoch stockt das Gespräch. „Wir sind wegen der Kinder hier“, sagt sie. Zu Kittsee und zum Burgenland fällt ihr nichts Rechtes ein. „Das hier ist nicht Österreich. Ich kenne keine Einheimischen.“ ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.06.2015)

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