Die Stunde der Eiferer

(c) AP (Willis Glassgow)
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Endlich alles rauchfrei machen! Doch es geht gar nicht nur ums Rauchen. Es geht um die Lust am Verbieten. Über die radikalste Sekte der Gesundheitsreligion: die Anti-Raucher-Aktivisten.

Was wäre der Welt erspart geblieben, hätte Adolf Hitler das Rauchen nicht aufgegeben! In seiner Jugend hat er 40 Zigaretten am Tag geraucht, dann aber, 1919, warf er sein letztes Packl Tschick in die Donau. Nur so, schwadronierte er später in einem seiner „Tischgespräche“, habe er zum Reichskanzler aufsteigen können. Im Rauchen sah er nun ein Laster der „minderen Rassen“. Der Körper des einzelnen Volksgenossen werde durch Tabak „kontaminiert“ – wie der „Volkskörper“ durch Juden und Zigeuner. Am liebsten hätte er allen das Rauchen verboten, auch den deutschen Soldaten. Diese aber wollte er lieber doch bei Laune halten, sollten sie halt bis zum „Endsieg“ weiterrauchen, danach aber musste Schluss sein damit. Spät erkannte er, dass diese Nachgiebigkeit ein großer Fehler gewesen war. Denn Studien belegten, wie sehr Tabak die Kampfkraft der deutschen Soldaten schwächte, ihr Durchhaltevermögen beim Marschieren und sogar ihre Fähigkeit, geradeaus zu schießen.

Dass Hitler mit dem Rauchen aufgehört hat, war also ganz schlecht für die Welt, dass er aber seinen Kampf gegen die Raucher nicht konsequent genug geführt hat, das war gut für die Welt, denn sonst wären wohl die deutschen Soldaten noch ausdauernder marschiert und hätten noch treffsicherergeschossen und so vermutlich dem Führer die Weltherrschaft erobert. – Eine schwachsinnige Argumentation?

Nicht schwachsinniger als so vieles in der aktuellen Diskussion über Rauchverbote. Die einen operieren mit den Schreckenszahlen derdurch Tabakrauch vorzeitig Verstorbenen, die anderen antworten mit dem Hinweis, dass man aus solchen Gesundheitsgründen auch den Verzehr fetter Stelzen verbieten müsse, worauf die einen, die Tabakhasser, kontern, dass die Fresser nur sich selbst schaden. Jeder solle sich selber beschädigen, so viel er mag, nur dürfe niemand sonst in Mitleidenschaft gezogen werden. So werden gemeinhin die Rauchverbote in öffentlich zugänglichen Räumen begründet. – So ließe sich freilich auch ein Verbot des Autofahrens begründen. Und erst der Alkohol! Abend für Abend kehren besoffene Lackeln aus den Wirtshäusern heim und prügeln Weib und Kind. Warum also ruft man nicht auch zum Kampf gegen den Alkohol und die Trinker auf? Die Antwort ist einfach: Weil das ja – mit fatalen Ergebnissen – schon einmal versucht wurde. Von 1920 an waren in den USA 13 Jahre lang die Herstellung, der Verkauf und der Transport berauschender Getränke verboten. Das hat die Mafia in Amerika zu dem gemacht, was sie dann jahrzehntelang war.

Der Krieg gegen die Raucher hat in Amerika begonnen, und ebendort sind auch sonst allerhand Wahnideen beheimatet: dass man sich ohne einen Dollar eigenes Geld ein Haus kaufen könne; dass das Tragen von Schusswaffen eigentlich erst den rechten Mann ausmache; dass auch im 21. Jahrhundert Recht und Ordnung ohne Todesstrafe nicht durchgesetzt werden könne. Solchen Gedanken will kaum ein europäischer Politiker nahetreten, in den Kampf gegen die Raucher aber lassen sich fast alle einspannen.

Als vor etlichen Jahrzehnten in Amerika einige puritanische Tugendbolde den Heiligen Krieg gegen die Raucher ausriefen, da mussten sie zuerst Raucher und Nichtraucher, die bis dahin friedlich miteinander lebten, gegeneinander ausspielen. Die Raucher mussten als asozial und unverantwortlich dargestellt werden. Die Nichtraucher mussten – bis dahin unbekannt – Angst vor den Rauchern kriegen. Strategiepapiere, in denen diese Taktik vorgeschlagen wird, sind bekannt.

Auf der Suche nach einem angsterregenden Schlagwort fand man eine in der NS-Zeit erfundene Vokabel: „Passivrauchen“. Hitler höchstselbst förderte aus Mitteln seiner Reichskanzlei die „Erforschung der Tabakgefahren“, und seine Wissenschaftler konnten tatsächlich einen Zusammenhang von Rauchen und Lungenkrebs beweisen. Ein gewisser Fritz Lickint wollte noch weiter gehen und nachweisen, dass Tabakrauch auch für Nichtraucher gefährlich sei. Das gelang ihm zwar nicht, aber den von ihm geprägten Begriff „Passivrauchen“ griffen Jahrzehnte später amerikanische Anti-Tabak-Aktivisten auf: „passive smoking“.

Zunächst genügte die Behauptung, dass das gesundheitsgefährdend sei. Dann soll-
te – was Lickint in Nazideutschland nicht geschafft hatte – dies auch wissenschaftlich bewiesen werden. Inzwischen gibt es wissenschaftliche Studien zuhauf, doch weiß man, sie „beweisen“ in der Regel das, was die Finanziers bewiesen haben möchten. (Merkwürdigkeiten bei „Studien“ im medizinischen Bereich gibt es auch bei viel weniger brisanten Themen: Nachdem jahrzehntelang als gesichert galt, dass hoher Salzkonsum gesundheitsschädlich sei, „beweist“ nun eine ganz neue Studie, dass salzarme Ernährung ungesund sei.)

Dass mehr Raucher als Nichtraucher an Lungenkrebs oder an Herz-Kreislauf-Erkrankungen sterben, dafür gibt es tatsächlich Beweise. Bei ehemals starken Rauchern kann man – auf Statistiken gestützt – sagen, der oder der sei mit großer Wahrscheinlichkeit an den Folgen des Tabakkonsums gestorben. Bei verstorbenen „Passivrauchern“ geht das nicht so leicht. Es gibt zu viele verschiedene Faktoren, die zur Ausbildung von Lungenkrebs oder von Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen. Und das Zahlenmaterial, das bei medizinischen Studien anfällt, muss in jedem Fall interpretiert werden, und jeder interpretiert es seinen vorgefertigten Überzeugungen gemäß. Aber die Tugendbolde sagen uns, es sei – aus, basta! – bewiesen, dass pro Jahr so und so viele Menschen an den Folgen des „Passivrauchens“ sterben. (Andere Tugendbolde sahen es im 19. Jahrhundert für erwiesen an, dass Onanieren zum Schwinden des Rückenmarks und zu Blindheit führe.)

Kein Missverständnis: Ich halte das Rauchen für gesundheitsschädlich, und ich gehe davon aus, dass es nicht gesund ist, den Tabakrauch anderer einzuatmen. So wie ich es nicht wirklich für gesund halte, an einer verkehrsreichen Straße zu wohnen oder als Bauer im Kuhstall zu arbeiten. (Gibt es eigentlich eine Studie über die gesundheitlichen Gefahren der Stallarbeit? Rindviecher produzieren gewaltige Mengen Methan, ungefähr 235 Liter pro Rind und Tag. Die klimaschädigende Wirkung dieses Gases ist 20- mal so stark wie die von Kohlendioxid. In höheren Konzentrationen wirkt Methan betäubend und erstickend.)

Unabhängig davon, was an der Lebensgefahr durch „Passivrauchen“ dran ist, das Argument – weil angstmachend – zieht. Doch ist damit der Krieg gegen die Raucher noch nicht gewonnen. Man hatte sie als unverantwortliches Gesindel, das die Gesundheit der Mitmenschen schädigt, gebrandmarkt, aber die Diffamierung musste weitergetrieben werden. Und so werden nun die Raucher als behandlungsbedürftige Suchtkranke hingestellt – und damit mehr oder weniger auf eine Stufe mit Heroinabhängigen und anderen „Giftlern“.

Tabak galt (wie Kaffee, Tee oder Schokola- de) lange Zeit als Genussmittel. Man kommt, erst einmal daran gewöhnt, nicht leicht los davon. Der „Surgeon General“, der höchste Funktionär im US-Gesundheitswesen, schrieb 1964, im Zusammenhang mit Tabak solle von Gewohnheitsbildung gesprochen werden, „klar zu unterscheiden von Sucht, da die biologischen Effekte von Tabak, ebenso wie von Kaffee und anderen koffeinhaltigen Getränken, nicht vergleichbar sind mit denen von Morphin, Alkohol, Barbituraten und anderen starken süchtigmachenden Drogen“. Im Jahr 1988 spricht ein neuer „Surgeon General“ im Zusammenhang mit Tabak von Abhängigkeit. Hat die Wissenschaft inzwischen neue Erkenntnisse gewonnen, die das rechtfertigen? Nein, das nicht, man hat einfach die Begriffe Abhängigkeit und Sucht neu definiert. So war's von nun an sozusagen amtlich: Rauchen macht süchtig.

Wer Begriffe allzu weit fasst, vernebelt Zusammenhänge eher, statt sie zu erhellen. Wenn, wie es nun geschieht, das Wort Sucht gleichermaßen die Abhängigkeit von bestimmten Genussmitteln wie die Abhängigkeit von schweren, die Persönlichkeit deformierenden und sogar zerstörenden Rauschgiften bezeichnet, was bringt das?

Den Tugendbolden bringt es viel: Sie können die Raucher nun als hilflos ihrer Sucht ausgelieferte Kranke hinstellen, denen – notfalls gegen ihren nikotinumnebelten Willen – geholfen werden muss, die man – notfalls mit Gewalt – zu ihrem gesundheitlichen Glück zwingen muss. Das hat, wie so vieles in diesem Krieg gegen die Raucher, religiöse Dimensionen. Das Sündenaas Mensch – sagen die christlichen Kirchen – kann von sich aus nicht selig werden. Ihm muss geholfen werden.

Nikotin wird nun – auch dies tendenziös – als „schweres Nervengift“ bezeichnet. Für viele war es über lange Zeit hin ein höchst anregendes Genussmittel, das den Geist und die Fantasie stimuliert. In einem Brief an Arnold Zweig schrieb Sigmund Freud, als er krankheitsbedingt nicht rauchen durfte: „Seitdem ich nicht mehr frei rauchen kann, will ich auch nichts mehr schreiben.“ Die Tabakhasser würden sich ja vielleicht wünschen, man hätte Freud früher schon das Rauchen verboten und damit die Lust am Schreiben verleidet, dann wäre womöglichdie Psychoanalyse, die viel zum Thema Rauchen und erst recht zu den neurotischen Aspekten des Kampfes gegen die Raucher zu sagen hat, gar nicht entwickelt worden. – Unzählige Schriftsteller haben ähnlich über den Tabak gedacht wie Freud. Friedrich Torberg hat Zigaretten und schwarzen Kaffee als für seine literarische Produktion schlechthin unentbehrlich beschrieben. Jean-Paul Sartre hat gar über die erkenntnistheoretischen Aspekte des Rauchens philosophiert. Von ihm gibt es übrigens offenbar kein brauchbares Foto ohne Zigarette oder Pfeife. Und so weit sind wir gekommen: Als in der Pariser Nationalbibliothek eine große Ausstellung zu seinem 100. Geburtstag ausgerichtet wurde, da hat man – Political Correctness bis hin zur Fälschung – aus einem berühmten Sartre-Foto von Boris Lipnitzki die Zigarette einfach wegretuschiert.

Wir verdanken – wenigstens indirekt – ei- nen gar nicht so kleinen Teil unserer Kultur dem Rauchen und den Rauchern (was die Tugendbolde freilich nicht beeindrucken wird). Die Anti-Raucher-Aktivisten haben es geschafft, Nichtraucher und Raucher gegeneinander aufzubringen und vielen Nichtrauchern Angst vor dem „Passivrauchen“ einzujagen. Die Raucher wurden als unzurechnungsfähige Suchtkranke diffamiert, die ihre eigenen Interessen eigentlich ja gar nicht vertreten können. Die Tugendbolde haben viel erreicht, aber noch nicht alles. In Österreich hat man etwa für die Gastronomie noch kein absolutes Rauchverbot erlassen. Das lässt die Tugendbolde nicht rasten und nicht ruhen. Und so ziehen manche Tag für Tag, Stunde um Stunde, durch die Wiener Lokale und zeigen jeden Wirt an, der ihrer Meinung nach gegen die Gesetze zum Schutz der Nichtraucher verstößt. Uneinsichtige Wirte wird man, sagen diese Denunziantenseelen, auch fünfmal in der Woche anzeigen. Sind das die Leute, vor denen man sich früher in Acht nahm, wenn man „Feindsender“ hörte? Aus Tugendbolden werden Tugend-Terroristen. (Robespierre meinte: „Ohne die Tugend ist der Terror verhängnisvoll, ohne den Terror ist die Tugend machtlos.“) – Doch landauf, landab kann man sehen: Immer noch sitzen Nichtraucher und Raucher friedlich nebeneinander. Und wer partout nicht „passivrauchen“ will, der sucht halt ein Lokal auf, in dem das Rauchen verboten ist. (Das Argument, jeder müsse jedes Lokal besuchen können, ohne von Rauch belästigt zu werden, ist unsinnig. Es gibt Lokale, zu deren Wesen es gehört, dass dort sehr laute Musik gespielt wird. Ich kann nicht verlangen, dass man sie leiser spielt, nur weil ich lärmempfindlich bin, aber von meinem demokratischen Recht Gebrauch machen will, genau dieses Lokal aufzusuchen.)

Den gar nicht so unvernünftigen österreichischen Kompromiss können die Tugendbolde nicht akzeptieren, weil sie auf den Endsieg hinarbeiten. Sie behaupten jetzt, sie müssten unbedingt auch jene schützen, die sich dem „Passivrauchen“ nicht entziehen können. Also kündigte unlängst ein EU-Kommissar an, der Kampf werde, wenn Länder wie Österreich sich weiterhin als uneinsichtig und unbotmäßig erwiesen, „auf der Ebene des Arbeitnehmerschutzes gespielt“ werden. Also: Die EU-Kommission steht Atomkraftwerken neuerdings wieder sehr positiv gegenüber, negiert alle damit verbundenen bekannten Gefahren, meint aber, Kellnerinnen und Kellner durch absolute Rauchverbote vor den Gefahren des „Passivrauchens“ schützen zu müssen.

Warum wird die Stallhaltung des Rindviehs nicht verboten? Im Stall arbeitet der Bauer (kein Arbeitnehmer, ich weiß, aber doch ein Arbeitender) oft in gebückter Haltung, Nase auf Kuharsch-Höhe. Dagegen ist das Kellnern selbst in stark verrauchten Lokalen – Pardon! – ein Lercherlschas.

Warum ignoriert die EU-Kommission, dass Kellnern in verrauchten Lokalen ja gar nicht sein muss? Man kann nämlich Lüftungsanlagen einbauen. Das vorzuschreiben befürworte ich sehr. (Auch in den Ställen übrigens.) Es gibt Belüftungs- und Luftreinigungsanlagen, die höchst effizient arbeiten und dazu fast geräuschlos. Tests beweisen, dass die Luft in Raucherlokalen, in denen eine solche Anlage arbeitet, viel besser ist als in normalen Nichtraucherlokalen und viel besser auch als im Schanigarten vor dem Lokal. Die Lösung des Problems „Rauchen in der Gastronomie“ wäre also sehr einfach: Man überlasse es den Wirten, ob und wo bei ihnen geraucht werden darf. Wo aber geraucht wird, wird der Einbau einer effektiven Lüftungsanlage vorgeschrieben – zum Schutz der Arbeitnehmer und auch zum Wohle der Raucher selbst. Aus. Mehr braucht's nicht.

Viele Wirte wären jetzt schon bereit, solche Anlagen einzubauen, man torpediert das aber durch den Hinweis, in Brüssel werde ohnehin bald das totale Rauchverbot erlassen werden. Also wird der Beweis, dass es eine vernünftige und praktikable Lösung gibt, nicht erbracht. Und darauf kommt es den Anti-Raucher-Aktivisten an. Sie wollen keinen Kompromiss, so sinnvoll er auch wäre.

Was immer diese Tugendbolde auch behaupten mögen, es geht ihnen nicht in erster Linie um den Schutz der Nichtraucher, es geht ihnen ums Verbieten. Und das ist leicht zu beweisen. So gibt es keinen vom Nichtraucherschutz her ableitbaren Grund, das Rauchen auf Flughäfen, Bahnhöfen oder in U-Bahn-Stationen zu verbieten. All diese Baulichkeiten sind in der Regel sehr hoch und dazu noch zugig, weshalb der Rauch sich so schnell verzieht und verflüchtigt, dass niemand wirklich belästigt wird. Es gibt auch keinen vom Nichtraucherschutz her ableitbaren Grund, das Rauchen auf der Eisenbahn zu verbieten, jedenfalls nicht im Langstreckenverkehr. Man vereinbare: Die letzten beiden Wagen der großen Reisezüge sind Raucherwaggons. Kein Nichtraucher würde dort einsteigen, keiner müsste sie durchqueren. Also kein Problem weit und breit. – Braucht es noch einen Beweis, dass die Lust am Verbieten im Vordergrund steht? Bitte sehr: In manchen Teilen der USA verbietet manauch den Insassen der Todeszellen das Rauchen, gestattet ihnen nicht einmal unmittelbar vor der Hinrichtung eine allerletzte Zigarette. Der fanatische Kampfgegen das Rauchen trägt unverkennbar religiöse Züge. Geführt wird er von fundamentalistischen Anhängern der Gesundheitsreligion. Der studierte Theologe und praktizierende Psychiater Manfred Lütz hat das Erscheinungsbild dieser neuen Religion so beschrieben: „Alle Riten der Altreligionen sind inzwischen ins Gesundheitswesen übergegangen: Halbgötter in Weiß, Wallfahrten zum ultimativen Experten, Krankenhäuser als die neuen Kathedralen, die ein ,Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit‘ erzeugen, das nach Friedrich Schleiermacher Religion charakterisiert. Es vollzieht sich der bruchlose Übergang von der katholischen Prozessionstradition in die Chefarztvisite. Diätbewegungen gehen wie wellenförmige Massenbewegungen übers Land, in ihrer Strenge die Büßer- und Geißlerbewegungen des Mittelalters übertreffend.“

Exzessive Sportausübung hat auch viel mit alten Bußübungen gemein. Beim Joggen, höre ich, entstünden nach dem Sich-Quälen schier unendliche Glücksgefühle. Eben damit wurden die Flagellanten, die sich aus religiösen Gründen selber geißelten, auch belohnt. (Es gibt übrigens keine Statistik, wie viele Jogger jährlich in ihren Laufschuhen sterben, ihre Zahl ist aber, wie mir Ärzte sagen, beträchtlich.)

„Unsere Vorfahren retteten ihre Seele, wir unsere Figur“, schreibt Manfred Lütz, übrigens Chefarzt einer Klinik in Köln. Er hält die Gesundheitsreligion für „eine Großattacke auf die Lebenslust“.

Das vor allem zeichnet die radikalste Sekte dieser Religion, die Anti-Raucher-Aktivisten, aus: Genussfeindlichkeit. Calvin, der Reformator, der vor fast 500 Jahren in Genf der Tugend (oder was er dafür hielt) mit einem Terror-Regime zum Durchbruch verhelfen wollte, ist einer der großen Apologeten der Genussfeindlichkeit. Mit den englischen Puritanern kam calvinistisches Gedankengut nach Amerika und wurde hier vielfältig fruchtbar. Auch in den Feld- und Kreuzzügen gegen das Rauchen und die Raucher.

Den Gesundheitswahn unserer Zeit hat es in der Geschichte noch nie gegeben. Gesund zu leben war immer ein Ziel, dem aber alles unterzuordnen wäre vielen zu vielen Zeiten unsinnig oder gar frevlerisch vorgekommen. Die Gesundheit ist kein Wert an sich.

Die Anti-Raucher-Sekte zeigt (wie radikale Sekten so oft) stark manichäische Züge: Das strikte Entweder-Oder wird gepredigt. Die „Kinder des Lichts“ kämpfen gegen die „Kinder der Finsternis“. Der Streit, ob und wie in Gaststätten geraucht werden darf, ließe sich etwa, wie gezeigt, leicht beilegen. Es gibt vernünftige Alternativen zum totalen Rauchverbot. Doch ist eben das ein Wesensmerkmal der Manichäer, dass Alternativen strikt geleugnet werden.

Sind wir solchem Denken einfach hilflos ausgeliefert? Wegen der prinzipiellen Feigheit der allermeisten Politiker(innen) leider ja. Redet man ihnen ein, der Trend laufe eindeutig in eine ganz bestimmte Richtung und er sei nicht aufzuhalten, schon wagt keine(r) mehr zu widersprechen. Vor ein paar Jahren traf ich in einer größeren Gesellschaft eine österreichische Ministerin – und sie rauchte. (Nein, falsch geraten, die Frau Kdolsky war's nicht.) Ich bat sie, sich in der Regierung dafür einzusetzen, dass nicht auch bei uns der Nichtraucherschutz zum Vorwand für eine Raucherverfolgung wird. Da schaute sie mich lange an und meinte dann nur: „Das trau ich mich nicht.“ ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.05.2009)

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