Warum nur, warum?

Ich bin kein Kind mehr, doch das Wort „Warum“ begleitet mich noch immer. Meist in ziemlich alltäglichen Situationen... Ein paar Fragen, auf die es keine vernünftigen Antworten gibt. Warum eigentlich?

Kleine Kinder stellen andauernd Fragen. Das Wort WARUM spielt dabei eine wesentliche Rolle.„Warum schneit es?“ „Warummuss ich alles aufessen?“ „Warum bringt der Osterhase Eier?“ „Warum fürchte ich mich, wenn es dunkel ist?“ „Warum muss die Oma sterben?“ Kleine Kinder eben, die das Abenteuer Leben fragend, neugierig, zweifelnd, freudvoll oder erschrocken – je nachdem – für sich entdecken.

Ich bin kein kleines Kind mehr, aber das Wort WARUM begleitet mich noch immer, begleitet mich mein ganzes Leben lang. Und abgesehen von den großen Fragen derMenschheit, überfällt es mich meist in ziemlich alltäglichen Situationen.

Worüber ich mich so schön ärgere

Warum stehen Menschen auf der abwärts führenden Rolltreppe? Gemeint ist, warum bleiben sie bummfest stehen, anstatt einen Fuß vor den anderen zu setzen, was bergab ja keiner besonderen Anstrengung bedarf? Diese Frage bewegt mich tatsächlich, vor allem wenn ich in der U-Bahn-Station „Stephansplatz“ unterwegs bin. Laut Leuchtschrift-Anzeige kommt der nächste Zug Richtung Reumannplatz in einer Minute, und der Zug Richtung Aspern fährt grade ein, aber die Menschen auf der abwärts führenden Rolltreppe stehen ganz gelassen, und der Zug fährt ohne sie ab. Hingegen – wenn sie dann am Bahnsteig sind und der Zug schon gerammelt voll ist und der Lautsprecher sagt „Zurückbleiben, bitte!“, dann quetschen sie sich noch schnell hinein, obwohl sie wissen, dass in drei Minuten der nächste Zug kommen wird – warum eigentlich?

Ich liebe Werbung im Fernsehen. Vor allem liebe ich sie deswegen, weil ich mich dabei so schön ärgern kann. Und weil ich mich beim Zuschauen ständig frage: Für wie dumm halten die uns eigentlich, und warum halten sie uns für dumm? Mein Lieblings-Werbespot läuft zwar schon seit einer Weile nicht mehr, aber er ist mir in Erinnerung geblieben, weil ich mich beim Anschauen ständig gefragt habe: Meinen die Gestalter das ernst? Was haben sie sich dabei gedacht? Also: In besagtem Spot wird ein unglaublich bequemer Lehnsessel beworben, ein richtig feines Stück zum Relaxen. Eine junge Schöne setzt sich hinein, räkelt sich zurecht, und zum Beweis, wie entspannt sie nun ist, nimmt sie ihr Handy und schmeißt es in das Glas mit dem Longdrink, das neben dem Sessel steht. ??? Die Ärmste, denke ich mir, jetzt kann sie ihren Saft nicht mehr trinken, und das Gerät ist auch kaputt; alle Mails und SMS sind perdu, die Liste mit den Telefonnummern sowieso; jetzt muss sie sich ein neues Handy kaufen, muss es mühsam neu konfigurieren – und das soll entspannend sein?!

Wer kommt auf solche Ideen? Ich stelle mir die Teams der Agenturen vor, lauter schlaue junge Uni-Absolventen, die beisammensitzen und in intensiven Brainstormings so etwas ausbrüten. Warum sagt ihnen niemand: Das ist ein ziemlicher Schwachsinn, der euch da eingefallen ist. Er beleidigt die Intelligenz des Konsumenten. Und da rede ichnoch gar nicht von der aufblasbaren Plastikpuppe, die ein junger Mann seinen perplexen Eltern als seine Zukünftige vorstellt. ??? Aber die Küche, in der diese Szene stattfindet, die ist doch super, nicht wahr?

Und weil wir gerade bei den Medien sind: Ich sitze vor der Glotze und zappe durch das Angebot. Aktuelles, Dokus, Krimis. Und Liebesgeschichten. Das Paar sitzt im Auto und fährt durch die Nacht, er am Lenkrad, sie auf dem Beifahrersitz, sie reden miteinander. Er dreht sich zur Angebeteten und schaut ihr in die Augen. Zwei, drei ... zehn Sekunden; fast möchte ich schreien: Idiot, pass auf! Gleich hängst du in den Leitplanken! Klar, es kann nix passieren, denn das Auto steht auf einem Tieflader und wird gezogen. Aber das muss ich nicht wissen. Jedenfalls ist die Stimmung weg, und ich ärgere mich über eine Situation, die mit der Realität aber schon gar nichts zu tun hat. Warum fällt dem Regisseur das nicht auf? Oder warum ist es ihm egal?

In unserem alltäglichen Leben und in der Boulevardpresse mit hohem Empörungspotenzial wimmelt es von Vorurteilen und Klischees. Warum – so frage ich mich – halten sich manche dieser Stereotypen so hartnäckig? Zum Beispiel: Wiener Kaffeehauskellner seien hauptsächlich grantig undüberhörten gerne den Zuruf „Bitte, zahlen!“. Falsch. Die Herren Ober in meinen Stammcafés sind durchwegs höflich, zuvorkommend und flink.

Ausländische Taxifahrer fänden sich in Wien nicht zurecht, und ihr deutscherSprachschatz beschränke sich auf „Du sagen, ich fahren“. Falsch. Ausländische Taxifahrer sind gute Lenker, kennen sich in der Stadt aus (oder haben ein Navi), halten den Mund, wenn man selber nicht quatschen will, und regen sich kaum über andere Verkehrsteilnehmer auf, was einheimische Kollegen gerne und mit Hingabe tun.

Nur der Stammtisch hat nie Zweifel

Oder: Leute mit Migrationshintergrund seiendümmer, ungebildeter und fauler als Eingeborene. Falsch. Die Statistik – wenn man sie denn zur Kenntnis nähme – beweist das Gegenteil. Man möge sich einmal – nur als Beispiel – ein Wiener Krankenhaus ohne ausländische Ärzte und Ärztinnen vorstellen!

Sie grassiert am Stammtisch und in den Kleinformaten jene Überheblichkeit, mit der die eigene subjektive Wahrnehmung zur Norm erklärt wird. Kriminelle Ausländer, faule Lehrer, dumme Weiber – wir werden ständig bedient mit überwiegend negativ besetzten Verallgemeinerungen. Das ist zumindest mein Eindruck. Was kann man tun? Vielleicht sollte man doch öfter als bisher – und auch lautstärker – die Frage nach dem WARUM stellen... ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.06.2015)

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