Eine Fata Morgana namens Omar

Kairo, Sommer 2011. Präsident Mubarak ist abgesetzt, die Demonstrationen aber gehen weiter. Einer, der sich mit den Demonstranten solidarisiert: der Filmstar Omar Sharif. Guter Grund für ein Interview. Aber wie an ihn herankommen? Mit Omar Sharif durch die Weiße Wüste – beinahe. Eine Erinnerung.

Verpasste Chancen sind bitter. Überhaupt, wenn an einem turbulenten Hotspot der Weltgeschichte ein in die Jahre gekommener bourgeoiser Weltstar die Revolution lobpreist. So geschehen im Sommer 2011 in Kairo. Mein Producer lässt sich groggy in den Terrassensessel des Novotels fallen, redet etwas von Brothers, Sharif, Security. Telefoniert hastig, bevor ich Näheres erfrage. Was ist geschehen? Am Nilufer, schräg gegenüber, seien frustrierte junge Demonstranten in das noble „Semiramis“, das von Omar Sharif bevorzugte Hotel in Kairo, eingedrungen, sollen skandiert haben: „Die Militärs verraten unsere Revolution!“ Die Security wollte den Premiumgast, dessen Balkon den Blick auf den Tahrir Platz freigibt, in Sicherheit bringen, der aber, ganz Schauspieler, habe die Bühne der Hitzköpfe gesucht und sich – wie schon vor Mubaraks Sturz – mit ihnen solidarisiert; vor den erstarkten Muslimbrüdern jedoch gewarnt.

An Sharif, den einsamen Hotel-Nomaden zwischen Paris, London, Los Angeles, Kairo heranzukommen ist so schwer. Alle Interviewanfragen blieben uns bisher unbeantwortet. Und jetzt das: Wir hier, keine 15 Minuten entfernt, ohne Kamera, ohne Bilder. Bloß niemandem erzählen. Um mich zu besänftigen, schlägt Youssef vor, in das nahe gelegene „La Trattoria“ in Zamalek zu gehen, das Restaurant von Tarek Sharif, des Sohns. Vielleicht läuft über diese Schiene etwas. Auf in die El Maraashly Street 13. Dort soll im April kommenden Jahres anlässlich des 80. Geburtstags „des berühmtesten Arabers der Welt, es gibt keinen berühmteren als mich“ – so der verblassende Star im britischen „Guardian“ – ein melancholisches Familienfest steigen. Vielleicht sogar mit Sharifs erster, damals bereits berühmter Filmpartnerin, Faten Hamama.

Sie ist die Mutter Tareks; die kunstsinnige, gebildete Filmdiva ist die Schicksalsfrau Omar Sharifs. Ihr Konterfei wird in diesen Revolutionstagen als Symbol für Frauen-, Freiheits- und Menschenrechte hochgehalten. Erst jüngst protestierte auch Hamama empört gegen bekannt gewordene „Jungfrauentests“, sprich Vergewaltigungen von verhafteten Frauen durch Militärs. Zu pseudorevolutionären Bekenntnissen aus der Hotelsuite schweigt die 80-Jährige nobel. Diese Frau also verließ Omar Sharif nach dem Höhenflug in Hollywood 1966. Welche Ironie: Doktor Schiwago, der tragische Filmheld, wurde zum realen Abbild des privaten Familiendramas.

Dass sich der glutäugige Beau erst 1974 auf Drängen seiner Angetrauten scheiden ließ, lässt tief blicken. Im „Guardian“ sagte Omar Sharif: „Ihre Liebe war alles verzehrend. Nach ihr habe ich mein Herz verschlossen.“ Der exotische Verführer, der unwiderstehlich Schöne, der Frauenheld der Leinwände – ein einsam Verirrter der getarnten Leidenschaft?

An diesem Freitag haben auch wir kein Glück. Um das „La Trattoria“ scharen sich Uniformierte mit Helmen, Schutzschildern und Schlagstöcken. „No Photo! Go away!“ Einlass nur mit Reservierungscode. Wir haben keinen. Sonst bewährte Versuche fruchten nichts. Und mit dieser Polizei ist nicht zu spaßen – wir wurden schon einmal verhaftet. Abwarten also, vielleicht ergibt sich etwas; sinnieren im Schatten einer Palme.

Wie wäre es, über einflussreiche Kontakte – wie Naguib Sawiris – eine Drehgenehmigung für die Geburtstagsfeier zu bekommen? Vielleicht ist der germanophile Tycoon mit Telekomkonzern, TV-Station, Öko-Hotels und einem Faible für Wien an einem Filmprojekt mit Sharif in der Wüste interessiert. 2012 ist es 50 Jahre her, dass Omar Sharif alias Scheik Sherif Ali im legendären Filmepos „Lawrence von Arabien“ unendlich langsam aus der Weite der Wüste in die Filmgeschichte eingeritten ist. David Lean sei Dank. Die FAZ sollte später schreiben: „Sharif war Hollywoods Traum vom edlen Wilden und Krieger mit unwiderstehlichem Blick und blendendem Aussehen, der spielerisch einen modernen Valentino herbeizauberte.“ Die Wüste als ein kathartischer Ort der Rückblende: schrecklich schön, gnadenlos reinigend. Wie wahrhaft ist das Lebensresümee eines Mathematik- und Physikstudenten, eines begnadeten Schauspielers, eines gnadenlosen Zockers, eines Alleingebliebenen, der sagte: „Ich habe alles genossen, wie es war. Es gibt nichts zu bereuen.“ Allein die Infragestellung dieser Antwort wäre schon eine Mutprobe, der Gang in die Wüste erst recht, wo Omar Sharif 21-jährig in seinem Filmdebüt, „Unter gleißender Sonne“, mit Faten Hamama früh Existenziellem ins Auge blickte. Dort, in der von Kalkmonolithen durchzogen Wüste, würde Harsches warten, mythisch Zwischenweltliches auch.

Warum nicht probieren? Warum Sawiris nicht ein SMS schicken? Der Milliardär ist zwar kürzlich in einen Shitstorm geraten, nachdem er als säkular koptischer Parteiengründer via Twitter Mickey und Minnie Mouse als verkitschte islamistische Tugendterroristen hat auftreten lassen. Keine gute Idee in aufgeheizten Zeiten; prophetisch allemal. Nachfragen aber geht immer. Keine zwei Stunden später leuchtet auf meinem Display die Antwort auf: „Besuchen Sie Farafra und Farha. Sprechen danach weiter. Herzlich, NS.“ Yes! Aber: Was bedeuten diese Namen?

Der wunderbare Youssef klärt mich auf: Es sind zwei markante Orte in der 540 Kilometer südwestlich von Kairo gelegen Weißen Wüste. Farafra ist eine Oase, Farha steht für magische Kalkskulpturen, versteinerte Wesen in Weiß. Eine wunderbare Filmkulisse. Nicht auszudenken, wenn? Nur: Eine Produktion mit Omar Sharif würde einiges kosten. Doch: warum nicht? Der spielverliebte Altstar braucht Geld; hat ja auch vor Jahren in der internationalen ORF-Koproduktion „Mayerling“ mit der Deneuve den Rudolf gespielt. Was für eine Chance! Aber wie umsetzen? Der bewährten Schritt-für-Schritt-Strategie folgen; dranbleiben und Synergien schaffen. Einen Drehtag in der Weißen Wüste in die aktuelle Produktion sowie eine Recherche für eine hoffentlich kommende einbauen – das geht. Strapaziös wird es allemal.

29,07 Grad Süd, 29,57 Grad West: Farha, El-sahara-el-beida. Purpur-orange dämmert der Morgen wie auf einem anderen Planeten herauf. Bizarre Umrisse – Zinnen, Kuppeln, Türme, Figuren – ragen wie Boten der übrigen Kontinente in den Wüstenhorizont: Sie heißen nicht Ayers Rock, Ararat, Sella, El Capitano, ähneln ihnen aber frappant in Miniatur. Noch surrealer erscheinen die wie von Menschenhand gemachten, überlebensgroßen Skulpturen: das Kamel, der Geierkopf, das Rhinozeros, die Sphinx – Kalkmonolithen, über Jahrmillionen von Wind, Sand und Temperaturextremen rätselhaft geformt.

Absolute Stille, kein Windhauch. Der Tag kommt rasch; die Farben weichen; die Wüste erstrahlt in makellosem Weiß. Links von unserer Schlafstelle erinnern versteinerte Wellenformationen aus der Kreidezeit an das Urmeer, an das Werden der Welt. Die alten Ägypter wähnten im den dunklen Wassern entstiegenen Skarabäus göttliche Schöpferkraft, in dessen golden glänzenden Flügeln das Abbild der Sonne.

Was für ein Ort von Werden und Vergehen. Was für eine Zeit, um das Leben eines Fixsterns am Filmhimmel Revue passieren zu lassen, dem die virtuos gespielte Nebenrolle im Wüstenepos das Tor zu Glanz und Glorie, Versuchung und Verlust aufgestoßen hat. Omar Sharif, der personifizierte Beduine, Rebell, Exot, Gambler, Frauenschwarm, Pferdeliebhaber würde – gemäß meiner Drehbuchvorstellung – im Angesicht der Weißen Wüste erzählen, reflektieren, resümieren. Würde sein Rollenrepertoire vom arabischen Scheich über den französischen Kapitän bis hin zum muslimischen Weisen kommentieren; ein spätes Selbstporträt skizzieren, und den Preis der Grenzwerte zwischen Traumfabrik und Lebenswirklichkeiten benennen. Vielleicht.

Es wird heiß, fast 45 Grad. Ein Schmutzgeier kreist. Unser Führer, ein schweigsamer Beduine, zeigt auf ein versteinertes kleines Fischskelett. Später, als ich ihn nach Omar Sharif frage, schüttelt er den Kopf, reicht mir aber Wasser aus seinem Ziegenhautsack. Youssef übersetzt. Wir kommen ins Reden. Dabei stellt sich heraus, dass der Mittvierziger ein moderner Nomade ist mit GPS, Laptop und tagespolitischen Kenntnissen. Nur gibt er sich Fremden gegenüber kaum als solcher zu erkennen – ein Service an touristische Fantasien. Natürlich weiß Ahmed Mansour, was in Kairo abgeht; dass der starke Mann von einst vom Volk gestürzt, dessen korrupte Familie festgesetzt ist. Das sei gut, sagt der Beduine: „Aber die Freiheit bringt kein Brot, im Gegenteil, meine Einnahmequelle ist versiegt, die Touristen bleiben aus.“

Abends im Alabasterlicht des Mondes, bei süßem Minzetee, will Mansour mehr über Sharif und die Wüste, die tragische Heldengeschichte einer verratenen britisch-arabischen Männerfreundschaft im Befreiungskampf gegen die Türken, über das Wirken der Großmächte 1917 wissen. Nach langem Zuhören sagt er leise in die Nacht: „Da hat sich in 100 Jahren nicht viel geändert. Jeder gegen jeden: Irak, Syrien, Libyen. Bald werden auch wir nicht mehr ruhig schlafen. Aber der Himmel über dieser Unendlichkeit wird mich schützen.“

Und jetzt die Oase, Farafra! Es warten kühles Wasser, frische Datteln, würziger Bohneneintopf, köstliches Ayram in einer von Palmenblättern gedeckten Laube. Nach einer Weile neigt sich ein Jugendlicher in safranfarbener Galabeya zu Youssef, flüstert ihm etwas ins Ohr. Eine Einladung an die Fremden vom lokalen Scheik zu Kaffee und Süßspeisen. „Shukkran“, wir kommen gerne. Der rundliche Gastgeber erwartet uns in einem mit Teppichen und Pölstern ausgelegten Raum. Bald wird klar: Das hier ist ein freundliches Verhör; der Scheik gehört wohl zum Sicherheitsapparat, dem ausländische TV-Crews suspekt sind. Das kann brenzlig werden. Aber Youssef, der gewandt Charmante, und der glückliche Zufall retten uns: Der Scheik entpuppt sich als passionierter Filmkenner, der in seiner Jugend das ägyptische Traumpaar Hamama/Sharif verehrte. Dass Omar Sharif aber nach seinen Welterfolgen seine Familie verließ und zu einem Spiel-&-Scotch-Bourgeois verkam, habe ihm der gottesfürchtige Scheik lange nicht verziehen: „Bis er in diesem wunderbaren Film ,Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran‘ als alter Weiser seine Würde wiedererlangt hat.“ Das war 2003. „Seit damals interessiert mich Omar Sharif wieder. Viele aber haben ihn einfach vergessen.“

Ob Faten Hamama, die zeitlos verehrte Ikone der ägyptischen Landsleute, den einst so Geliebten auch vergessen hat? Dass sie im heurigen Jänner und Omar Sharif nur ein halbes Jahr später gestorben ist, mag Zufall sein. Oder doch nicht?

Und unser Film, was wurde aus ihm? Ein aufwendig geschriebenes Treatment, Gespräche mit dem ORF, viele Telefonate, auch mit Omar Sharifs Manager in Paris und London: Der Weltstar war bereit, für 100.000 Euro sieben Tage mit uns in die Wüste zu ziehen. Je konkreter freilich die Idee auch mit Naguib Sawiris wurde, desto vager agierten vermeintliche Entscheidungsträger. Hinhalten lautete die Devise. Als der ägyptische Milliardär beim Deal um die Telekom Austria ausgebremst wurde, war besiegelt: Omar Sharif und die Wüste bleiben Fata Morgana.

Verpasste Chancen sind bitter. Solche wie diese besonders. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.07.2015)

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