Wetter aus dem Häuschen

In der Mitte des 19. Jahrhunderts tauchte ein neues Stadtmöbel in den europäischen Metropolen auf: das Wetterhäuschen. Bald wurden die Türmchen zu identitätsstiftenden Stätten und überregionalen Wahrzeichen, die Orientierung boten.

Längst genügt ein leichtes Fingertippen auf das Smartphone, um sich jederzeit und überall die gewünschten Informationen zu besorgen. Völlig anders als früher, als man dazu einen eigenen Ort aufsuchen musste. Die Rede ist von Wetterhäuschen, die einst viel besuchte Hotspots im städtischen Getriebe darstellten, begehrte Auskunftsquellen über das Wetter in all seinen Facetten inklusive detaillierter Vorherschau. Unscheinbar geworden, gehören sie heute zu jenen Dingen, an denen man meist achtlos vorbeigeht. Zu Unrecht, denn als kulturhistorische Denkmäler haben Wetterhäuschen eine bemerkenswerte Geschichte, die viel erzählt über die Ausstattung des öffentlichen Raumes.

Es war im Jahr 1838, als das neue Stadtmöbel erstmals auftauchte. In Genf, am Grand Quai, war ein schlankes Bauwerk errichtet worden, das anhand mehrerer meteorologischer Instrumente wissenschaftlich fundiert Auskunft über das Wettergeschehen gab. Initiiert von lokalen naturwissenschaftlichen Gesellschaften, Kur- und Fremdenverkehrsvereinen, breiteten sich Wetterhäuschen, auch Wettersäulen genannt, in der Folge in ganz Europa aus. 1876 entstanden die ersten Exemplare in Deutschland, namentlich in Bad Godesberg und in Saarbrücken. Bei Letzterem wurde als Novität neben Thermometer, Barometer und Hygrometer auch eine Zeitanzeige in Form einer Sonnenuhr angebracht. Eine oder mehrere Uhren gehörten fortan zur Standardausstattung, wobei es sich im Regelfall um herkömmliche Zeigeruhren handelte.

Die leichte Verfügbarkeit von exakten meteorologischen und chronometrischen Informationen machte die Wetterhäuschen zu beliebten Treffpunkten. Als wichtige „Bildungs- und Erziehungsmittel für das Volk“ etablierten sie sich in Parkanlagen, auf frequentierten Plätzen und Promenaden. Großstädte, Kur- und Fremdenverkehrsorte erhielten damit ein neues Element im Stadtbild, das ästhetischen Anspruch wie technischen Fortschritt verkörperte.

In Wien wurde das erste Wetterhäuschen im August 1883 eröffnet. Der zierliche, achteckige Holzbau stand im Stadtpark vor dem Kurhaus, auf einem steinernen Podest, umgeben von einem eisernen Geländer. Neben den üblichen Messinstrumenten inklusive Windfahne befanden sich direkt unter dem Dach runde Fenster, die in jeder der acht Seitenflächen mit Uhren bestückt waren. Regelmäßig inspizierten von nun an Passanten die neue Sehenswürdigkeit, die sogleich werbewirksam auf zahlreichen Ansichtskarten abgebildet wurde. Die Messinstrumente stammten von dem Mechaniker Heinrich Kappeller, der in Wien-Margareten eine Werkstätte führte. Diese war in den 1830er-Jahren von seinem Vater gegründet worden und auf die Erzeugung von physikalischen und meteorologischen Instrumenten spezialisiert.

Kappeller erkannte die steigende Nachfrage nach seinen Erzeugnissen. Umsichtig bot er interessierten Kommunen fortan Wetterhäuschen als Gesamtpaket an. Im Jahr 1890 schenkte er ein solches der Gemeinde Wien. Es war für den Rathauspark bestimmt, der – ähnlich wie der Stadtpark – mit Versatzstücken bürgerlicher Repräsentationskultur ausgestattet werden sollte. In stilistischer Anlehnung an das Rathaus wurde das fünfeinhalb Meter hohe, dreiseitige Häuschen in neugotischer Manier ausgeführt, der Baukörper aus Guß- und Schmiedeeisen stammte von der renommierten Firma Ignaz Gridl. Drei Uhren waren ergänzend zu den meteorologischen Instrumenten angebracht, die neben der Wiener Zeit die Bahnzeiten von Prag und Budapest zeigten. Das zeitgenössische Urteil darüber war einstimmig positiv: „Das Wetterhäuschen repräsentirt einen bedeutenden Werth und gereicht der Stadt zur Zierde, dem Widmer zur Ehre.“ Kappeller avancierte zum führenden Wetterhäuschen-Anbieter Wiens. Ausgezeichnet mit zahlreichen Ehrendiplomen und Medaillen, wurden seine Erzeugnisse nicht nur in Wien, sondern auch in der näheren und weiteren Umgebung der Stadt (unter anderem in Baden, Bad Vöslau, St.Pölten, Melk, Wr.Neustadt) wohlwollend aufgenommen.

Mit seinem vielseitigen Portfolio – Kappeller offerierte Modelle in unterschiedlichen Größen, zumeist im gotischen oder Renaissance-Stil – nahm er eine herausragende Stellung in Österreich ein, in Deutschland vergleichbar mit jener der Göttinger Firma Wilhelm Lambrecht. Diese war mancherorts direkter Konkurrent. So musste man sich etwa das noble Erholungsgebiet des Semmering teilen: Während Lambrecht im Kurpark von Payerbach ein Wetterhäuschen errichtete, stellte Kappeller eines im Kurort Semmering auf.

Auch in Wien entstanden in den kommenden Jahren noch weitere Anlagen: im Türkenschanzpark (1901) und im Maria-Josefa-Park (heute Schweizergarten, 1906). In Letzterem war eine spezielle Uhrenanlage implementiert: Eine Pendeluhr mit einem Acht-Tage-Gehwerk betätigte ein Läutwerk mit zwei Glocken, die frei sichtbar in der Kuppel des Häuschens hingen und jede Viertel- und volle Stunde ertönten. Ein großes Zifferblatt zeigte – sekundengenau! – die Uhrzeit in Wien und – über einen drehbaren Ring – in einer Vielzahl anderer Städte der Welt. Doch nicht nur die ausgeklügelte Zeitanzeige, auch die Präzision dieser Weltuhr beeindruckte. Ihre Ungenauigkeit betrug maximal eine Sekunde pro Tag. Es war ein Kunstwerk ersten Ranges, technisch durchdacht und „in hohem Grade geeignet, die Schaulust des Publikums zu befriedigen“, wie die „Österreichisch-Ungarische Uhrmacher-Zeitung“ betonte.

Im Oktober 1907 wurde am Steinhof in der nach Plänen von Otto Wagner errichteten Niederösterreichischen Landes-, Heil- und Pflegeanstalt für Geistes- und Nervenkranke ein weiteres, ästhetisch bemerkenswertes Wetterhäuschen eröffnet. Direkt vor dem Hauptgebäude situiert, wies die mehrere Meter hohe, prunkvoll verzierte Stele an ihrer Spitze ebenfalls eine große Uhr auf, mit vier in alle Himmelsrichtungen weisenden Zifferblättern. Nach einem weiteren dekorativen Wetterhäuschen im Wertheimsteinpark (um 1908) und einem kleinen gemauerten Exemplar in Unter-St.-Veit (um 1910) erfolgte schließlich 1913 im Stadtpark der Bau der größten und aufwendigsten Anlage der gesamten Monarchie. Das alte Wetterhäuschen war baufällig geworden, die Instrumente waren veraltet und desolat, was immer öfter zu Beschwerden bei der Stadtverwaltung geführt hatte, deren Mitglieder als untätige „Wetterhäuschen-Beamte“ verunglimpft wurden. Die Kommune hatte sich daher zur Errichtung eines modernen, einer Weltstadt würdigen „Observationspavillons“ entschlossen. Die Eröffnung, die am 19. November des Jahres „in aller Stille“ erfolgte, offenbarte ein elegant gestaltetes Bauwerk, direkt am Ufer des großen Teichs gelegen: „Der neue Wetterpavillon bildet eine Zierde des Stadtparks. Eine hohe blendend weiße Säule auf einem Stufenplateau hebt sich auf das Vorteilhafteste von einem grünpatinierten Kupferdache ab, das vier Uhren in jeder Himmelsrichtung, eine Wetterfahne und reiche architektonische Gliederung aufweist. Der Pavillon mit der von steinernen Rosen verzierten Girlandeneinfassung aus Kunststein, die, mit natürlichen Gewächsen dekoriert, geschmackvoll wirkt, macht ganz den Eindruck eines vornehmen Chalets aus der Renaissance-Zeit in einem Schloßparke.“

Die wissenschaftliche Ausstattung des Pavillons mit den neuesten Instrumenten der Firma Kappeller übertraf jene des früheren Wetterhäuschens bei Weitem. Dieses sollte zügig abgetragen werden, um Platz zu schaffen für das neue Johann-Strauß-Denkmal, ein Vorhaben, das allerdings mehrere Monate dauerte. Erst im April des Folgejahres erfolgte dessen endgültige Demontage, nicht ohne „einen kleinen Menschenauflauf“ zu verursachen. Nostalgisch gestimmtes Stammpublikum gedachte eines über die Jahre vertraut gewordenen Ortes, wie die Tagespresse berichtete: „Selbst so manches Mütterlein stellte sich ein, um wehmutsvoll sich ihrer Jugendzeit zu erinnern, in der sie vielleicht so manches Stelldichein bei diesem allbekannten Orte verabredet hatte.“

Längst waren Wetterhäuschen zu identitätsstiftenden Stätten geworden, zu überregionalen Wahrzeichen, die Orientierung boten. Ihre oft sehnsüchtig erwarteten Prognosen bürgten für Verlässlichkeit, sodass sie an manchen Tagen „förmlich belagert“ wurden – sie waren der Bevölkerung ans Herz gewachsen. Diese emotionale Verbundenheit schlug sich bald in literarischen Erzählungen nieder. Insbesondere das Wetterhäuschen im Stadtpark avancierte zum Inbegriff des romantischen Rendezvousplatzes – und, wie man leider bald feststellen musste, zum Anziehungspunkt für verzweifelte Selbstmörder, die oft unmittelbar daneben gefunden wurden.

Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs veränderte die Funktion so mancher Wetterhäuschen. Standen bislang die meteorologischen Verhältnisse im Vordergrund, waren es nun die geografischen. Etwa im Stadtpark, wo an der Balustrade Richtungspfeile mit Entfernungsangaben zu zahlreichen Städten der Welt angebracht waren. Hier betrieb man nun „Kriegsgeographie“, wie die „Österreichische Volkszeitung“ im Oktober 1914 kundtat: „Man erfährt, daß Antwerpen 925 Kilometer von Wien entfernt ist, Warschau 555, London 1240; die Linie Antwerpen verläuft über den Kursalon, Petersburg liegt hinter der Markthalle, und phantasiebegabte Leute können sich vorstellen, wie es wäre, die Markthalle einmal hinter sich zu lassen und stetig weiterzuschreiten; einmal müßte man unbedingt nach Petersburg kommen, und bei dieser Gelegenheit könnte man dann gleich mit den Russen ein Wörtchen deutsch reden ...“

Dass es dann anders kam und Krieg, Not und Elend in Wien Einzug hielten, tat auch den Wetterhäuschen nicht gut. Die Anlagen wurden devastiert, mutierten zu Sinnbildern der Zeit. Alfred Polgar notierte: „Die Uhren an den Wetterhäuschen der öffentlichen Gärten stehen still, die Barometer dort zeigen unveränderlich ,veränderlich‘, die Thermometer sind ausgeronnen, und die Hygrometer haben die Arbeit endgültig eingestellt. Wer, bitte, interessiert sich denn auch noch für unseren Feuchtigkeitsgehalt?“

Nach Kriegsende waren die Wetterhäuschen relativ bald wieder instand gesetzt, ehe sie durch die erneuten Kriegshandlungen ein weiteres Mal fast völlig zerstört wurden. Messgeräte und Gehäuse verschwanden, oft blieben nur die Sockel zurück. In der Nachkriegszeit wurden die meisten gar nicht mehr aufgebaut. Einige wenige konnten erneuert und modernisiert werden (Stadtpark, Unter-St.-Veit), im Rathauspark (1955) und am Laaer Berg (1974) entstanden zwei neue Anlagen.

Immer deutlicher zeigte sich, dass die Wetterhäuschen im alltäglichen Gebrauch an Bedeutung verloren, wenngleich sie nach wie vor vertraute Bezugspunkte darstellten. Heute sind die noch vorhandenen als architektonisch-technische Kleindenkmäler geschützt, eine europaweit vernetzte Community pflegt das Andenken an die Vielzahl der einst existierenden Anlagen. Wetter- und Zeitanzeigen jedoch trägt man nunmehr bequem in der Hand- oder Hosentasche. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.07.2015)

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