Wer in die Wälder geht

Helden? Banditen? „Expedition Europa“ in Transkarpatien.

Als ich lese, dass sich wieder einmal ukrainische Nationalisten im Wald verstecken, breche ich auf. Nach Transkarpatien, in die westlichste Region der Ukraine. Am 11.Juli glich Mukatschewo einem Actionfilm. Sechs Jeeps des „Rechten Sektors“ hielten mit aufgepflanzten Waffen vor dem Fitnessklub des Abgeordneten und Schmuggelkönigs Lano. Nach der Schießerei verfolgten Polizei, Geheimdienst und Hunderte Nationalgardisten neun nationalistische Kämpfer, die in die Wälder der Karpaten flohen. Bilanz: drei Tote. Einen Monat später werden die Wälder angeblich immer noch durchkämmt.

In der Regionalhauptstadt, Uschgorod, beim Pressechef des neu ernannten Gouverneurs Moskal. Überall hängen Fotos von Moskal, einem dicklichen Glatzkopf in martialischen Posen. Beide wurden aus der Kriegsregion Lugansk abgezogen. Moskals Ansatz besteht darin, einerseits korrupten Zöllnern mit der Front zu drohen, andererseits den Rechten Sektor Transkarpatiens als Häuflein vorbestrafter Drückeberger zu beschimpfen. Ich frage: „Wie ist das möglich, dass man die nicht längst gefunden hat? Helfen ihnen die Dörfler?“ – „Ich denke, ja. Für manche sind das Helden.“ – „Sie halten sie offenbar nicht für Helden.“ – „Das sind Banditen. Helden stehen im Osten an der Front.“

Ich fahre zum „Stab“ des Rechten Sektors. Eine nüchterne Stadtvilla mit Tarnnetz davor. Drinnen eine Military-WG mit zweimal Training täglich. An der Wand lehnt ein Gewehr, „Kinderspielzeug nur“. Mich empfängt Regionalchef Satschko. Ein netter, normal behaarter Dicker mit effektvoll gesenkter Stimme. Er zeigt mir das Gruppenfoto einer Einheit: „Zwei Drittel sind inzwischen im Osten gefallen.“ Er will Moskal klagen. Er habe zwar auch frühere Zigarettenschmuggler in seinen Reihen, aber keine Vergewaltiger und Drogenbarone wie Lano.

Nach Moskau? Schauen wir einmal!

Er steht hinter seinen flüchtigen Männern. „Die verteidigen ihr Land.“ Satschko wirkt oft gerührt. Seinen drei Monate alten Sohn habe er zwei Monate nicht gesehen, der in Mukatschewo erschossene Aktivist „war ein Freund“. Satschko selbst war Geschichtelehrer. Einer jener Ukrainer, welche die Sowjetmacht noch Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg bekämpften, „war mein Urgroßvater. Er kommandierte 600 Mann, wurde 1948 im Wald gefasst. Ich glaube aber, wer in den Wald geht, der verliert. Wir gehen besser nach Kiew. Oder noch weiter.“ – „Nach Moskau?“ Er lächelt düster: „Schauen wir einmal.“

Ich fahre zu Lanos Fitnessklub nach Mukatschewo. Satschkos Version der Schießerei lautet, dass seine 15 bis 20 Kämpfer im „Antares“ von 100 bewaffneten „Tituschkos“ erwartet worden seien, gedungenen Schlägern sportlicher Natur. Fragt mich nicht, was wahr ist, jedenfalls tauchen diese Tituschkos in keinem Bericht auf. Bei meiner Ankunft ist es heiß, zwei leptosome Teenager mit nackten Oberkörpern bewachen unbewaffnet die offene Einfahrt. Einer hat den „Vorfall“ erlebt: „Idioten, Arschlöcher! Mit panzerbrechender Munition in ein Wohngebiet zu schießen!“ Ich erwähne das Gerücht, dass im „Antares“ prorussische Separatisten trainiert hätten. Der Bursche führt mich in den Saal. Vier Männer, zwei Frauen schwitzen an den Geräten. Er lacht: „Schauen Sie, unsere Separatistenmädels!“

Ich folge dem Fluchtweg des Rechten Sektors in die Karpaten hinauf. Die Dörfler widersprechen all den Verlautbarungen der Behörden. In Lawki finde ich einen Cousin des erschossenen Kämpfers: „War ein normaler Typ, war drei Monate an der Front. Sie haben strafen wollen.“ Satschko sagt, dass sich die Geschichte wiederholt. In den Karpaten hinter Mukatschewo glaubt aber niemand, dass diese ukrainischen Nationalisten noch in den Wäldern sind. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.08.2015)

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