Unterm Halbmond

„Expedition Europa“: wo Türken aus Gänserndorf fischen gehen.

Neulich ging ich im slowakischen Marchfeld schwimmen. Nichts Besonderes, man sucht immerfort ein schönes Wasser, der Christengott hat meinen Wohnsitz Slowakei nur mit seichten Baggerseen beschenkt, und gerade diesen Sommer ist wenig Wasser übrig.

Der Ort heißt Malé Leváre. Vor seinemdortigen Ferienhaus ließ sich diesen Sommer der slowakische Premierminister Robert Fico fotografieren, wie er aus den Fluten steigt. In ebendiesem Sommer erlangte er eine gewisse Berühmtheit, als er zum Erstaunen besonders seiner sozialdemokratischen EU-Parteifreunde verkündete, dass die Slowakei höchstens 200 Flüchtlinge aufnehmen will – und nur Christen. Neulich in Malé Leváre schwamm ich ins Herz der Debatte.

Dass ich mit einem Fuß in Österreich, mit dem anderen in der Slowakei stehe, wird mir jäh beim Schreiben dieser Geschichte bewusst: Es zeigt sich, dass ich sie Slowaken und Österreichern unmöglich auf die gleiche Weise erzählen kann.

Die aktuellen Flüchtlingsströme berühren die Slowakische Republik überhaupt nicht. Sie gewährte seit ihrer Gründung 1993 kaum 650 Personen Asyl. Die Slowakei hat keine einzige Moschee, laut Volkszählung beherbergt sie weniger als ein halbes Promille Muslime. Für ausgebeutete Slowaken bringe ich gewisses Verständnis auf: Sie müssen selbst migrieren und sind mit ihren Roma überfordert.

Die Flüchtlingsdebatte ist dabei sohassverzerrt, dass einem Strache als Gutmensch erscheint. Katholische Aktivisten starteten einen Versuch, die Teilnahme der Slowakei an George Bushs Irak-Invasion zu sühnen, die große Schuld am Exodus trägt. Sie luden auf privater Basis kleine Gruppen syrischer Flüchtlinge ein, doch wird sogar dies von Bürgerinitiativen bekämpft.

Die Zeit für korrekte Posen läuft ab

Nehmen wir einmal an, ich würde zur Güte folgende Ansage formulieren: „Ich bin dafür, dass die Slowakei bevorzugt Christen hilft. Das Letzte jedoch, was mir in der Slowakei fehlt, ist der Islam.“ Ich vermute, in Österreich würden mich korrekte Kreise ausgemeinden. In der Slowakei hingegen würde man mich beschuldigen, dass ich ein armes Land zur Solidarität mit dem reichen Österreich nötige.

Neulich in Malé Leváre, da war das Wasser weitgehend mit teilvertrockneten Wucherpflanzen bedeckt, auf dem Campingplatz stand genau ein Wohnwagen, und es roch. Trotz Sonnenscheins war ich der einzige Schwimmer. Vom Ufer gegenüber, wo die Ferienhausverbauung lichter und das Schilf dichter wurde, leuchtete mir etwas gar Unwahrscheinliches entgegen. Es sah wie ein türkischer Halbmond aus. In Malé Leváre, bei Ficos Ferienhaus, der Halbmond! Ich schwamm näher. Tatsächlich, am Ufer saßen einige beleibte Fischer, ein Liegestuhl war aus der türkischen Fahne gebildet. Separat picknickte eine größere Gruppe Frauen, viele jung, alle verschleiert. Die Szene erinnerte michan die anatolischen Zuwanderer in den Parks von Istanbul. Ich hörte sie Türkisch sprechen, sie hatten ein Kennzeichen des nahen Bezirks Gänserndorf. Da fischten also wohl Landsleute von mir.

Kaum begann ich meinen Augen zu trauen, versuchte mich ein Jungtürke zu vertreiben, einer mit aushängendem Wamperl unterm Leiberl. Er gebrauchte eine Geste, mit der man Schmeißfliegen verscheucht, und rief mir in gebrochenem Deutsch zu: „Fischen.“ Ich rief auf Slowakisch die Frage zurück, ob er denn kein Slowakisch spreche. Er auf Deutsch: „Scheiß auf Slowakisch.“ Ich wechselte in meine Muttersprache: „Haben Sie eine Genehmigung?“ Nun wurde er gleich viel netter, weiter nichts Besonderes in Malé Leváre. Wie aber kann ich die Geschichte Slowaken erzählen? Ich weiß es nicht. Mir kommt nur vor, die Zeit für wohlfeile korrekte Posen läuft ab. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.08.2015)

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