Vom Glück des Depperten

„Expedition Europa“: immer wieder Separatisten, diesmal in katalanischen Ländern.

In meiner Serie über Separatismen kommt der größte Brocken als letzter dran: Erst am Freitag vergangener Woche durchstreifte ich zum ersten Mal die „katalanischen Länder“, die drei „Països Catalans“. Ich spreche weder Katalanisch noch Spanisch und kenne mich mit allen anderen Abspaltern besser aus. Wir können es daher nur dem Glück des Depperten zuschreiben, dass ich von 365 Kalendertagen ausgerechnet den katalanischen Nationalfeiertag erwischte – der 11.September 1714 war der letzte Tag eines unabhängigen Kataloniens.

Ich startete im einzigen Staat mit Katalanisch als einziger Amtssprache, in Andorra. Donnerstagnacht fuhr ich ins Hochtal der Pyrenäen hinauf und gewahrte schaudernd, was ein Mix von Niedrigsteuern und Skiliften anrichten kann. Auf 76.000 Einwohner kommen 720 Hotels, eng gestaffelt, hoch aufragend, den kahlenFels weiter zuspitzend. Der einzige Wärmepol in den Häuserschluchten war eine schäbige Bar, in der sich spanische, südamerikanische und portugiesische Gastarbeiter an billigem Bier festhielten. Sie stellen die Mehrheit im Zwergstaat, Katalanisch ist bloß die Sprache der alten Elite. Zu spanischem Radio lief stumm katalanisches Fernsehen, in welchem sich geleckte TV-Politologen mit einstudierten Gesten angockelten. Die Gastarbeiter sahen nicht hin.

Nur keine Republik wie Frankreich

In Andorra wurde der katalanische Nationalfeiertag nicht gefeiert. Im Erdgeschoß des Regierungsamts wurden Bürger bedient, und der „Platz des Volkes“ auf dem Dach war leer. Auf jenem zentralen Aufmarschplatz Andorras hatte Tage zuvor die „Assamblea Nacional Catalana“ demonstriert, zwischen Kinderrutschen und Geranien, etwa 200 Maxeln. Die waren an jenem Freitag alle weg. Denn am 11. September marschierte in Barcelona eine Million für Unabhängigkeit. Denn am 27. September entscheidet die katalanische Regionalwahl auch über die Unabhängigkeit.

Ich fuhr nach Katalonien runter, gegenwärtig eine „Autonome Gemeinschaft“ Spaniens. Die Blechschlange nach Andorra hinauf war zehn Kilometer lang. Nach unten war zu Mittag freie Fahrt, der spanische Zoll konnte in Ruhe ein bis zum Anschlag mit Klopapier gefülltes Auto prüfen. In Katalonien waren die Läden geschlossen, und vieles war katalanisch beflaggt. Ich fuhr lang durch die katalanischen Pyrenäen, Wald und Kurven. Im Dorf Campdevánol kam ich zu einem feiertäglichen Folklorekonzert zurecht. Ausschließlich Senioren lauschten. Die von mir befragten Omas waren für Spanien: „Wir wollen keine Republik wie Frankreich werden.“ Repräsentativ waren meine Umfragen nicht.

Am Abend, an der spektakulär romantischen Küste, fuhr ich ins französische Nordkatalonien. Die katalanischen Farben werden als Gebietssymbol des Dèpartement Ostpyrenäen genutzt, sonst flatterte nur auf zwei Villen die katalanische Fahne. Alle, mit denen ich im Küstenort Cerbère sprach, nannten sich irgendwo Katalanen, aber: „Heute ist nicht unser Feiertag, wir haben andere.“ Eine eher junge Frau sagte: „Seit meine Großeltern tot sind,spreche ich kein Katalanisch mehr.“

Nachts in der Bucht lernte ich einen besoffenen Draufgänger kennen, mit schwarzen Locken auf Kopf und Brust. Er war Eisenbahner im großen Grenzverschubbahnhof gewesen. „Jetzt gibt's nur noch wenig Arbeit“, seufzte er in aller Ambivalenz, „wegen Europa.“ Sein Feiertag war der 7. Juni, „da war früher am Strand ein Riesenfeuer“. Katalanisch konnte er noch, „aber das verliert sich“. Vor dem Einschlafen sah ich den Wetterbericht im katalanischen Fernsehen. Er ergriff alle katalanischen Länder – Mallorca, das französische Perpignan, Alghero auf Sardinien und fast die ganze Ostküste Spaniens. So groß könnte Katalonien einmal werden. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2015)

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