Wie arbeitet Geld?

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Crash 1929. Crash 2008. Alles wiederholbar? Kann die Finanzwelt, kann die Politik aus der Geschichte lernen? Barry Eichengreens Studie über Finanzkrisen – und warum man bei manchem Vergleich erschrecken kann.

Die Finanzwelt beunruhigt. Sie ermöglicht einigen, sehr viel zu verdienen und das Wirtschaftsleben und damit die Einkommen vieler nachhaltig zu stören. Gibt es einen Zusammenhang zwischen diesen beidenAspekten? Wenn ja, ist er unvermeidlich? Das ist zentrales Thema des neuen Buches von Barry Eichengreen, Professor an der Berkeley University: „Die großen Crashs 1929 und 2008. Warum sich Geschichte wiederholt“. Es gilt jedenfalls: Moderne Wirtschaften benötigen gut ausgebaute Finanzsysteme. Ohne sie kann man nur sparen, indem man Geld hortet, und nur investieren, indem man auf bereits Gespartes zurückgreift. Eine solche Welt wäre sicher viel einfacher als unsere, aber viel ärmer. Das Finanzsystem leitet vorübergehend nicht benötigte Gelder an andere weiter, sei es um zu investieren, sei es um zu konsumieren. Je besser diese Übertragung von den einen zu den anderen funktioniert, desto leichter kann die Produktion von Gütern erfolgen. – Es gilt aber: Mit steigender Leichtigkeit des Stromes der Gelder von Gläubigern zu Schuldnern steigen auch die Risiken. Das hat mehrere Gründe. Die Leichtigkeit des Stromes der Gelder wird erhöht durch die Möglichkeit für die Banken, von ihnenvergebene Kredite an Dritte zu verkaufen, etwa an Pensionsfonds. Verbriefen ist der Fachausdruck. Sie können so mehr Kredite vergeben, als sie selbst laufend Einlagen haben.

Das verringert aber den Anreiz, Kreditnehmer zu kontrollieren. Banken verdienen an der Vergabe der Kredite, nämlich Gebühren, tragen aber nicht das Risiko des Ausfalls. Man geht mehr Risiken ein, weil ein allfälliger Verlust von Dritten getragen wird. Der Fachausdruck: moralischer Hazard.

Den Strom von Geldern von Gläubigern zu Schuldnern haben auch die neuen Finanzinstrumente erleichtert, vor allem Derivate aller Art. So kann man mit nur wenig Eigenkapital viele Investitionen finanzieren. Das ist nicht schlecht. Die wirtschaftliche Entwicklung verlief in den reichen Ländern fast drei Jahrzehnte lang ziemlich gleichmäßig. Aber eine leichte Verschlechterung 2007 führte zur Finanzkrise des Jahres 2008 mit ihren bis heute nachwirkenden Folgen.

Eichengreen entwickelt seine Ideen anhand einer historischen Aufarbeitung der politischen Bewältigung von Finanzkrisen in zwei Bereichen, nämlich der Regulierung der Banken und Finanzmärkte sowie der gesamtwirtschaftlichen Steuerung im Wege der Geld- und Fiskalpolitik. Seine Fragestellung: Was hatte man in der jeweiligen Krise für die Politik aus den früheren gelernt? Er deckt dabei einen Zeitraum von 100 Jahren ab.

Politik ist für Eichengreen nicht die Umsetzung von theoretischen Erkenntnissen derWirtschaftstheorie, wie etwa Ingenieure Erkenntnisse der Naturwissenschaften umsetzen. Es ist ein andauernder Prozess von Entscheidungen. Diese werden getroffen in spezifischen institutionellen Strukturen. Die USAsind ein Staat; das erleichtert es, Entscheidungen treffen. Aber vor 1937 konnten ihre regionalen Zentralbanken in wichtigen Fragen unterschiedlich handeln. Die EU ist kein Staat. Daher sind Entscheidungen in der EU nicht deren Entscheidungen, es handelt sich da vielmehr umAbsprachen, Vereinbarungen, Kompromisse der EU-Staaten. Die Akteure habenspezifisches Wissen und spezifische Vorstellungen. Sie sind zwar auch geprägt von wirtschaftstheoretischen Ideen, aber jeweils konkrete Erfahrungen oder Erinnerungen an vergangene Krisen waren für die Gestaltung der Politik wichtig.

Es beginnt mit der Darstellung des Finanzspiels von Charles Ponzi in den USA ab 1906. Ein Kettenbriefsystem: Mit hohen Zinssätzen werden laufend neue Gelder angelockt. Kurze Zeit ist es möglich, die versprochenen Erträge auch zu zahlen. Der Name für solche Systeme ist geblieben. Der letzte berühmte Akteur war wohl Bernard Madoff, dessen Fonds mehr als zehn Jahre so funktionierte – bis er 2008 endgültig brach. Ponzi war kurze Zeit in Haft, konnte aber später in anderen Staaten der USA mit anderem Namen wieder beginnen. Madoff, 100 Jahre später, wird sein Leben im Gefängnis beenden. Das Buch endet mit der Darstellung der Politik fiskalischer Stabilisierung in Europa und dem im Rahmen der üblichen Wirtschaftstheorie nicht überraschenden Ergebnis: Sie hat keine positiven und in einigen Fällen katastrophale Folgen gebracht.

Dazwischen werden die Abkehr vom Goldstandard 1914, die Rückkehr zum Goldstandard in den Zwanzigerjahren und die damit verbundenen Problem für die reale Wirtschaft und die Budgets der USA und der westeuropäischen Staaten behandelt. Der Zusammenbruch des Finanzsystems in den USA 1929 wird ausgiebig diskutiert, auch unddie von Wien ausgehende Finanzkrise 1931. Die Innovationen im Finanzbereich nach 1980, teils Folge technischen Fortschritts, teils Konsequenz der Deregulierungen, waren Ursache der Finanzkrise ab 2007. Immer wieder werden Vergleiche zwischen dem gegenwärtigen Geschehen und dem in früheren Perioden gezogen. Manchmal erschrickt man bei diesen Vergleichen. Wenn angeführt wird, dass die Sieger des Ersten Weltkriegs von Deutschland verlangten, Reparationen von 200 Prozent des damaligen deutschen BIP zu zahlen, so denkt man an Griechenland. Die gleiche Assoziation hat man, wenn man auf der folgenden Seite liest, dass damals von einem Minister der SPD eine Steuer auf Finanzvermögen von 20 Prozent vorgeschlagen wurde. Es wurden aber Verbrauchs- und Umsatzsteuern erhöht. Bei der Darstellung der Krise der Creditanstalt im Jahr 1931 wird festgehalten, dass die Ankündigung der österreichischen Regierung, sich mit 33 Prozent an der Bank zu beteiligen, die Kurse der österreichischen Staatsanleihen stark fallen ließ.

Aus der Bankenkrise wurde eine Krise der Staatsfinanzen. Eichengreen weist darauf hin,dass 70 Jahre später Ähnliches in Griechenland, Spanien und Irland eingetreten ist. Die zur Rettung der Banken notwendigen Mittel haben die öffentlichen Finanzen stark belastet. Freilich, dass die Bankenrettung notwendig sein kann, wurde in den Verhandlungen mit Griechenland in diesem Sommer deutlich. Ohne Einigung wären Griechenlands Banken zusammengebrochen. Der Autor willnicht die systematische Darstellung einer Entwicklung geben. Er weist vielmehr auf Parallelitäten zwischen zurückliegenden und gegenwärtigen Krisen hin. Es wird nicht behauptet, dass man nichts gelernt habe. Ganz im Gegenteil. Mehrfach wird hervorgehoben, dass anders als 1929 in der Finanzkrise 2008 in den USA entschieden gehandelt wurde. Eine Krise wie die ab 1929 wurde verhindert. Dies, obwohl die politische Führung vor dem Wahlsieg Obamas ideologisch gegen derartige Eingriffe war. Die eher linke Occupy-Wall-Street-Bewegung war ebenfalls sehr kritisch gegenüber der Rettung von Banken.

Begünstigt wurde die Rettung durch das hohe Ansehen des stark marktwirtschaftlich orientierten Ökonomen Milton Friedman: Er hat in einer großen Arbeit gezeigt, dass die Nicht-Rettung der Banken 1929 die großen Krise ausgelöst hatte. Ben Bernanke, der Präsident der Fed, hat in seiner akademischen Laufbahn über die Weltwirtschaftskrise gearbeitet. Die von ihm durchgesetzte Politik war unter Ökonomen wenig umstritten. Es gelang auch, den Kongress zu notwendigen Änderungen einiger Gesetze zu bewegen.

Hingegen war, Eichengreen zufolge, die EZB zunächst sehr zögerlich bei der Stützung des Finanzsystems. Anders als in den USA, ist die Auseinandersetzung um die Geldpolitik hier eine zwischen Staaten. Eine gemeinsame Politik der EU zu Banken und staatlichen Finanzen gibt es nicht. Das kann man bedauern, aber nicht mit Notfallgesetzen ändern. Eichengreen war immer sehr skeptisch gegenüber dem Euro. Doch der Versuch, auch nur die wichtigsten in der Ökonomie unumstrittenen Probleme eines Währungssystem ohne gemeinsame Fiskalpolitik vor der Einführung des Euro zu lösen, hätte dieAufgabe von Autonomie der Eurostaaten verlangt, bevor die konkrete Planung des Euro begonnen hatte. Man kann aber davon ausgehen, dass ohne Euro die Finanzkrise die Staaten der EU stärker getroffen hätte. Nicht die Politik war so gut, sonderndie gemeinsame Währung zwingt, Politik abzusprechen. Die Übertragung der Bankenaufsicht für die Großbanken an die EZB ist so ein Schritt.

Geblieben sind die Probleme der Finanzwirtschaft. Die von Eichengreen angeführten Parallelen sind überzeugend. Gewiss, die Krise hat auch hier Veränderungen gebracht. Aber das Problem bleibt.Gelder von Sparern sollen wirksam für Investitionen und kreditfinanzierten Konsum in die reale Wirtschaft zurückfließen. Je mehr dieser Strom zur Vermeidung vonKrisen beschränkt wird, desto teurer werden Finanzierungen.

Das Buch bietet viel. Vielleicht zu viel. Eichengreen erzählt viele Geschichten, er beschreibt viele Personen mit Details überHerkunft, Ausbildung, Lebensstil. Bei der Lektüre verliert man leicht den Überblick. Weniger wäre mehr gewesen. Einige ausgewählte Episoden zur Illustration der Überlegungen, diese aber genauer erklärt, hätten das Buch dünner und leserfreundlicher machen können.

Verstärkt werden die Unklarheiten durch die Übersetzung. In der englischen Ausgabe sind die verschiedenen Geschichten innerhalb eines Kapitels grafisch voneinander getrennt. In der deutschen Ausgabe fehlt das. Man erhält den Eindruck, dass der Autor seinen Schreibfluss nicht in Zaum halten konnte.

Wenn man mit einiger Vorbildung dasBuch liest, so wirken manche Aussagen merkwürdig. Vergleicht man es mit dem englischen Text, so merkt man, dass die Übersetzung fehlerhaft ist. Das englische moral hazard etwa wird in der Fachsprache im Deutschen moralischer Hazard genannt. Im Buch wird von moralischen Bedenken gesprochen. Die entsprechenden Sätze ergeben keinen Sinn. Von Hugo Stinnes wird gesagt, dass er Steuern zurückgezahlt habe. Tatsächlich hat er Steuerschulden aus der Vergangenheit, back taxes, gezahlt. Verlag und Übersetzer haben dem Buch geschadet. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2015)

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