Der Schnee ist tief / Du wirst von ihm begraben / Wo ist der Bote? / Ich höre seit einer Stunde / Seine Schritte / Aber niemals ist / Der Eindringling draußen. „Bibelszenen. Für Georges Rouault“: erstmals gedruckt.
Ich habe die Berge verlassen
Als ich mich umdrehte
Frug keiner nach meiner Ansicht
Über die Berge
Ich habe die Städte verlassen
Als ich mich umdrehte
Frug keiner nach meiner Ansicht
Über die Städte
Ich habe sie alle verlassen
Als ich mich umdrehte
Frug keiner nach meiner Ansicht
Über sie alle
I
Unzüchtige Vögel
Überraschen den Schnee
Der Ostwind wetzt die Köppel
Ich würde von den Mauern
Die Jahreszahlen herunterreden
Wenn ich nicht zu niedrig wäre
Für dieses unbezahlbare Geschäft
Der Schwachsinn der Steine geht
Der lautlose Fall der Flocken
Stränge von Eitelkeiten
Für viele redete ich
Aber um zu reden
Müßte ich in ihrer Sprache auffliegen
Wie einer ihrer Vögel
II
Die parteiische Ruhe wächst
Aus den Kirchtürmen heraus
Die unterlegenen Richter beraten
III
Ein Trommler zerschlägt die Fenster
Die Flügel drücken ihre Gedärme
In das verfaulte Weiß
IV
Vögel versammeln sich
Vögel Vögel Vögel
Sie durchbohren die Firmamente
Sie gewährleisten den Feierabend
V
In die Schlittenkufen hinein
Weint der Selbstmörder
Er kniet gegenüber der Finsternis
Er versucht
Er beantwortet die Fragen
Er tötet die Flockenfinger mit seinem Blut
VI
Wann war Oktober?
Sie sandte ihm Kinder
Schickte sie in sein Herz
Sie hat ihn überredet
VII
Er sei ein schlechter Vater sagt sie
Er hat alle gemordet
Unverständlich ist ihm der unaufhörliche
Alkohol
Die Öde die ihre Namen an seine
Darmwände schreibt
Der Schnee fesselt ihn an sein Land
VIII
In die Häuser kann er nicht hineingehen
Es hat keinen Sinn zu betteln
Alle betteln
Christus ist ihr gnädiger Vorläufer
Der Kumpan ihrer Nägel
IX
Mit dem Wald ist er vertraut
Niemand hat ihn gerufen
Als sie alle gerufen waren
Mit den Kindern ist er gegen die Kinder
Fürchtet ihn
X
Aus den Papierblumen schaut sie
In das Weiß hinein
Sie saugt sich in die Kälterose
Ihre Füße klirren
Unter den Glockenröcken
XI
Die Verkünder des Waldes
Treten in ihr Gesicht
Sie zerfallen
Wenn sie hineinblickt
XII
Irrsinnige
Zieht über den Hof
Mädchen mit langen Zöpfen
Wasserköpfe im Torbogen
Schnee verfolge sie
Erschlage im gotischen Tor
Die Siebzehnjährige
XIII
Die toten Hühner drücken
An der Mauer
Ihre roten Brüste ins Grabtuch
XIV
Schulkinder stehen
Um das Schwein
Sie schlagen ihm
Auf den Hinterkopf
Einer reißt ihm
Das linke Ohr ab
Der Metzger schneidet gewandt
Den weißen Leib auseinander
Über denWollhauben dröhnt die Orgel
XV
Die Lämmer in meinem Hirn
Scharen sich zusammen
Das Blut wird unruhig
Der Metzgerssohn sitzt im Schlachthaus
Auf dem Schweinstrog
Und sieht
Wie er ins Bett hineinkriecht
XVI
Auf dem Türpfosten
Hängt mein Gehirn
Solange ich mich erinnern kann
Verfault es
XVII
An der Friedhofsmauer
Suche ich
Die Vorausgegangenen
Mit einem Haselnußstock schlage ich
Auf die Grabköpfe
Ich bespreche mit einem der Leichname
Den Abend der mein Bruder ist
XVIII
Tod ausgeschickter Vogel
Der mich überzeugt
Die Zweige schütteln den Verrat
Durcheinander
XIX
Wie er auf mich stürzt
Und mein Gesicht so lange in den Schnee
drückt
Bis ich ohnmächtig bin
XX
Ich fürchte mich vor dem Ekel
Nach vielen Jahren sehe ich
Daß die Flügelschläge
Kräftiger werden
Als Kinder haben wir sie
Eingesetzt
XXI
Das dreizehnte Dorf
Der Kerker öffnet das Maul
Was also tue ich
Mit meinen Antworten?
XXII
In seinem Holzbett
Erschaffe ich
Bettag und Bußtag
Ich bin verraten
In der dumpfen Niedertracht
Meiner Landsleute
XXIII
Berühmte Zeugnisse
Rufe ich
XXIV
Botengänger
Totenanger
Kellnerinnen
Der Frost klirrt
Die Farbe des Abends
XXV
Ohne sie kann ich
Nicht auskommen
Hinter dem Wald
Erwartet mich
Der dritte Bittgänger
Aber ich versäume es
Ihn auf mich aufmerksam zu machen
XXVI
Ich litt mehr als der Pfarrer
Mehr als der Lehrer
Und der Tischler
Ich litt besonders an den Abenden
Und in der Nacht
Ich erwartete den Morgen
Mit einem Beil
XXVII
Ich versuche mich
Zu verändern
Durch irgendeinen Tod
XXVIII
Mich beleidigt der Einzelgänger
Er tritt ein
In die Mittelmäßigkeit
Sosehr ich auf ihn einrede
Er läßt nicht ab
Von seinem Vorhaben
Er stellt seinen Fuß
Zwischen die Tür
XXIX
Die Vermittler sind da
Wir haben sie abgelehnt
An der Wegkreuzung
Boten sie sich an
Wie die Vogelschwärme
Auf unserer Seite
Die blutige Waldschneise
Verriet mich
XXX
Plötzlich fiel Schnee
Die Fenster verließen
Ihre Regel
XXXI
Nachdem sie das Wirtshaus
Verlassen hatten
Ließ er ihn stillstehen
Er schlug ihn mit der Faust nieder
Und raubte ihn aus
XXXII
In diesem Augenblick
Waren sie gleichaltrig
Den Ersten begrub
Das unaufhörliche Fallen des Schnees
XXXIII
Ich bin mit mir allein
Die Tür fiel zu
Der Schatten Mein Gesprächspartner
Ist hinausgeschickt
XXXIV
Der Schnee ist tief
Du wirst von ihm begraben
Wo ist der Bote?
Ich höre seit einer Stunde
Seine Schritte
Aber niemals ist
Der Eindringling draußen
XXXV
In seinem Rock
Hatte er die Keule
Mit der er auf dem Markt
Die Kälber niederschlug
Aber frühzeitig
Hat er erkannt
Daß der Kaplan
Ein armer Mensch ist
Von dieser Abneigung
Kann ihn nicht einmal
Der unterlassene Mord befreien
XXXVI
Der Schneefall verstopft
Ihm den Mund
Seine Flüche
Ersticken schon
Tief unten
XXXVII
Er reißt
Eine Fichtenwurzel aus
Er preßt sie
Auf sein Genick
Aber diese Methode
Führt nicht zum Ziel
Er versucht es
Mit dem Einschlafen
Aber er erwacht
In demselben Zustand
XXXVIII
Sie waschen den Leichnam
Stecken Tannenreisig
Zwischen seine Finger
Sie ölen den weißen Körper
Der Kaplan sitzt
An seiner linken Seite
XXXIX
Die Vögel sitzen
Auf den Dächern
Die Gehilfen
Nächtelang haben sie
Mit ihrer Abwesenheit
Den Tod vorbereitet
XL
Der Metzgergehilfe schaut
In den Trog
Er trocknet
Seine Hände
Der Abend peinigt ihn
Mit dem nichtausgenommenen Schweineleib
Er breitet die Schürze über den Trog
Der Altar des Vaters
Er packt zu
Mit seinem feingeschliffenen Messer
Ritzt er seinen Namen
In das erstarrte Fett
Vor der Schlachthaustür
Bedeckt der Schnee
Die Wunde
XLI
Der Kartenspieler wird
Im Extrazimmer
Auf dem Eiskasten aufgebahrt
Der Arzt schenkt ihm
Kein Vertrauen mehr
XLII
Still ist die Wirtsstube
Die Rehe treten zurück
XLIII
Aus seinem Mund
Rinnt Blut
Als hätte er sich
Mit dem weißen Bein geritzt
XLIV
Der Sakristan studiert das Buch
Der Regen arbeitet
Der Frühling bricht herein
Und straft sie Lügen
XLV
Die Unregelmäßigkeit der Sterne
Zeigt ihre Knochen
XLVI
Die Gemischtwarenhändlerin
Läuft in die Finsternis
Sie durchrudert
Den Ozean der Schatten
An ihrer Schürze
Zieht sie sich herauf
An das Stöhnen der Pferde
Hält sie sich
Sie geht diesem Geräusch zu
An einem dicken Strick
Wird sie hineingezogen
In den Wald
Sie bricht sich das Genick
Im April stolpert der Forstgehilfe
Über sie
XLVII
Der Wirt stützt mit dem Knie
Den Mond
Er beißt in den Käseblock
Er heizt den Kachelofen
Seinem Sohn den Krieger
Sieht er im Feuerloch
XLVIII
Der Lehrer sieht den Schneefall
Mit einem zerrissenen Rock
Wenn er über den Platz geht
Nie noch ist er
Mit einer Frau im Bett gelegen
XLIX
Der Pfarrer ist mit dem Brevier
Allein gelassen
Unauffällig steht er am Fenster
Und beobachtet die Leute
In ihren schwarzen Mänteln erinnern sie ihn
An den Tod
Der Schnee wischt ihn von der Tafel
Des Winters
("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.10.2015)