Der Mann ohne Namen

„Expedition Europa“: wo die EU Propaganda gegen Russlands Propaganda macht.

Seit die EU im Sommer eine Task Force zur Abwehr russischer Propaganda gründete, fieberte ich diesem Besuch entgegen. Wenn man ein neutral-zerrissener, in Europa vernarrterRussophiler ist, beutelt einen nichts so sehr durch wie diese Neuauflage des Kalten Krieges. Hundert Abende vor der Glotze des russischen Staatsfernsehens, Tausende gelesene Artikel der Gegenseite, aufwühlende Diskussionen, angeknackste Freundschaften. Die mythische Hauptfigur dieses Krieges ist der prorussische Internet-Troll. Ich nehme zwar an, dass er existiert, bin aber nicht so sicher, ob er sich in den meisten Fällen für Geld engagiert. Die Argumente des Trolls ertönen täglich in meinem slowakischen Tschecherl, sicher unbezahlt. Ich erwarte von der EU-Counterpropaganda die interessanteste Begegnung des Jahres.

Ich muss einen Monat betteln, bis manmich einlässt ins EU-Außenministerium EEAS. Schließlich bin ich drin, auf dem Türschild steht tatsächlich „East StratCom Task Force“, „Strategisches Kommunikationsteam Ost“. Eine fabelhafte Aussicht auf den Schuman-Kreisverkehr. Ich stehe allein im Chefbüro und kann mich unbeaufsichtigt umsehen. Schätze, beim russischen Gegenpart, Dmitri Kisseljow, wäre das nicht drin.

Nie mit Russland beschäftigt

Mit kleiner Verspätung trifft der Teamchef ein. Seinen Namen darf ich nicht nennen, ansonsten „haben wir keine Geheimnisse“. Kisseljows Nato-Fresser wüssten den Lebenslauf des Briten gewiss hübsch auszuschlachten: Er arbeitete an der Privatisierung der britischen Bahn, war Diplomat,Redenschreiber, und sein Team tauscht sich mit der vergleichbaren Einrichtung der Nato aus, dem „Exzellenzzentrum für Strategische Kommunikation“ in Riga. Ich frage nach seinem Budget. „Ich habe keinerlei zugeordnetes Budget“, sagt er grinsend. „Das große Geld kommt von der Europäischen Kommission.“ Viereinhalb Millionen für die nächsten vier Jahre, acht Millionen für die Ausbildung osteuropäischer Journalisten. Zum Vergleich, allein Kisseljows englischsprachiger Nachrichtensender RT verfügt über eine Viertelmilliarde jährlich. Das Zielgebiet der Task Force sind sieben postsowjetische Länder, nicht die Medien innerhalb der EU selbst. Er wäre kein EU-Beamter, würde er mich nicht auf eine Website verweisen. Auf der wöchentlichen „Disinformation Review“ werden auch innereuropäische Beispiele von Fehlinformation aufgelistet: „Das kannsich ansehen, wer immer es will.“

Der Mann ist spritzig und wahrscheinlich ein netter Chef, dennoch wundert mich, dass gerade er den Job bekommen hat. Er hat sich nämlich nie mit Russland beschäftigt. Sieben der neun Teammitglieder sprechen Russisch, er selbst nicht; er „wird anfangen, es zu lernen“. Ich spreche die EU-Agenden an, die Wasser auf Kisseljows Mühlen sind, Homo-Ehe, Migration. Der Teamleiter hat die Ängste gerade selbst in Georgien mitgekriegt. Er sagt: „Wir gehen gegen Verdrehungen an. Die gleichgeschlechtliche Ehe steht nicht im Acquis.“

An der russischen Propaganda könnte neu sein, dass sie nicht immer auf das Durchsetzen der eigenen Botschaft setzt, sondern sich oft mit dem wahllosen Streuen alternativer Wahrheiten begnügt. Er zählt mir wie aus dem Lehrbuch die Taktiken auf: „Erstens Verzerren, zweitens Bestürzen, drittens Verwirren.“ Ob die Verwirrungstaktik neu ist, kann er mir nicht sagen. Er hat sich nämlich nie mit Propaganda beschäftigt. Die Zeit, die er mir gewährt, ist mir kurz erschienen. Nach kaum 30 Minuten sehe ich, dass wir nichts mehr zu reden haben. Vor der Tür ist sein Regenschirm zum Trocknen aufgespannt, darauf ein britisches Fähnchen und ein Spruch über das schöne Wetter. Wäre ich ein russischer Troll, würde ich diese Task Force nicht fürchten. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.12.2015)

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