Drei Vlads und die Würde

„Expedition Europa“: Moldawien – Nachrichten aus einem gekaperten Staat.

In einer klirrend kalten Kischinauer Jännernacht zwinge ich mich hinaus zu den Protestcamps. Lieber bliebe ich mit moldawischen Freunden beim weltbesten Cognac sitzen, dochkann ich ihn mir nicht ersparen, den Blick in den Untergang eines jungen, bettelarmen, gescheiterten Staates.

Zum Verständnis müsste man die „drei Vlads“ Moldawiens kennen. Vor kaum einem Jahr wollten sie noch gemeinsam regieren. Dann wollte Vlad Plahotniuc, Hauptoligarch, Besitzer mehrerer Fernsehsender und Politiker einer unentbehrlichen Zentrumspartei, scheinbar alles für sich. Er kaufte dem Expräsidenten Wladimir Woronin zwei Drittel des Parlamentsklubs heraus, ließ Expremier Vlad Filat in den übelsten Häfen der Hauptstadt stecken und zur endgültigen Erniedrigung ein Video lancieren, in welchem Filat, während er mit dem rumänischen Präsidenten telefoniert, eine Fernsehjournalistin besteigt. Der moldawische Präsident, deuten Mitarbeiter an, wähnt sein Leben von Plahotniuc bedroht. Das Jahr 2015 sah drei interimistische und zwei gestürzte Regierungen, das Einfrieren jeglicher Finanzierung aus dem Westen, und auch feine Diplomaten wie der Generalsekretär des Europarates stufen Moldawien als „gekaperten Staat“ ein: Das sind unsere Leute in Moldawien, das ist die „proeuropäische Allianz“.

Die Politiker „erschießen“?

Gegen all das gibt es Protestcamps. Vor dem Regierungsgebäude drehen sich noch Silvesterkarusselle, bei minus 15 Grad reiten aber keine Kinder auf den Kunststoffschwänen. Daneben ein paar Hütten und Zelte der neuen Bewegung „Würde und Wahrheit“. In einer heimelig holzbeheizten Hütte finde ich einen Bauarbeiter und seinen zwölfjährigen Sohn, in Stockbetten liegend. Er habe die Hütte selbst gebaut, sagt er, und verbringe alle Nächte hier. „Würde und Wahrheit“ ist inzwischen eine Partei, und sie wird angeblich von zwei nach Deutschland geflohenen Unternehmern finanziert, denen Plahotniuc zu Hause die Bank entwendet hat. „Weiß nicht“, sagt der Bauarbeiter. Dass er ein Taggeld von 15 Euro bekommt, bestreitet er. Der Lohn, den er am Bau verdient, kommt mir überraschend hoch vor. Persönlich findet er, man müsste die Politiker „erschießen“. –„Wie viele?“ – „Tausende.“

Ein paar hundert Meter weiter, vor dem Parlament. Um das hoch umzäunte Camp der prorussischen Sozialisten patrouillieren kräftige Kerle in Tarnfarben. Einer führt mich durch das Camp, ein professionell errichtetes Feldlager aus Großzelten, zum „Kommandanten“. Der alte Uniformierte mit grauem Buschschnauzer taut erst auf, als ich an seiner Haltung errate, dass er die alte sowjetische Offiziersschule durchlaufen hat. Er schildert bewegend den „stillen Horror“ auf dem Lande, alte Menschen beginnen zu hungern. Ich sehe dieselbe Forderung wie bei „Würde und Wahrheit“, Direktwahl des Präsidenten. „Warum protestieren Sie nicht gemeinsam?“ – „Das sind Unionisten.“ – „Die haben mir soeben gesagt, dass sie den Anschluss an Rumänien nicht im Programm haben.“ Er winkt ab. „Das Land ist klein. Wir wissen, wer sie sind, und sie wissen, wer wir sind.“

Gleich daneben ein drittes Lager. Es wird vom Jungpolitiker Renato Usatii unterhalten, einem witzigen und wohltätigen, in Russland zu Geld gekommenen Mafioso. Das Camp ist aus Styropor, und ich glaube, es ist klug von Usatii, dass seine sinister dreinschauenden Gestalten nicht mit mir sprechen dürfen.

So wie die offizielle Ukraine den blutigen Regimewechsel von 2014 als „Revolution der Würde“ ausgibt, so sprechen mir auch die moldawischen Protestcamper immerzu von „Würde“. Wenn ich ihre Camps als „Maidan“ bezeichne, zucken sie aber zusammen. Wie in Kiew will keiner enden. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.01.2016)

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