Die Hand am Busen

Jacob Wabens „Frau Welt“, Sigmund Freud und die Kölner Bürgermeisterin: was ein gestohlenes Gemälde des 17. Jahrhunderts über Orient und Okzident erzählt.

Ist es möglich, dass ein Bild die Spuren seines Verbleibs bewahrt? Dass es gleich einem Menschen sich seiner Geschichte erinnert? Wäre es denkbar, dass es die an ihm begangenen Verletzungen vermerkt, Huldigungen speichert, Verrisse und Tauschhändel am eigenen Körper aufzeichnet? Wenn dem so wäre, dann wäre dieses Gemälde ein beredter Zeuge nicht nur seines Schicksals, sondern der Geschichte und politischen Geografie Europas. Es wäre ein Informant für die Gegenwart mit ihren interkulturellen Unterstellungen und ihrem moralischen Alarmismus.

Das Gemälde ist ein Dickicht. Eine bildhafte Wegmarke auf dem Pfad Richtung Moderne. Noch aber sind wir im 17. Jahrhundert, das viele das Goldene Zeitalter der holländischen Malerei nennen. Der Stoff ist klar. Wir blicken auf ein Minenfeld verkommener Milieus, Moral und Gewissen sind gefordert. Während sich links ein polierter Harnisch sowie einige Becher, Krüge und Pokale zum verwahrlosten Stillleben türmen, ist rechts im Vordergrund – hell und bewegt – ein Paar beim beginnenden Liebesspiel zu beobachten. Ein Turban tragender Mann mit Schnurrbart macht sich an einer Dame im weißen Kleid zu schaffen. Sie ist reich geschmückt und christlich gesinnt. Auf dem Diadem ist ein Reichsapfel mit dem Kreuz zu sehen.

Mehr als nur libidinöse Eroberung, stellt der männliche Zugriff einen politischen Beutezug dar. Wir beobachten den Moment, wie der Orientale den Seidenschal als Vorwand benutzt, um sich am westlichen Busen zu bedienen. Sie, die Okzidentale, bildliche Stellvertreterin Europas, scheint der dreisten Zudringlichkeit nicht abgeneigt. Kokett neigt siesich zum Freier hin, umgarnt ihn mit einem langen Zepter in Vorfreude auf das Liebesspiel oder aus bilateraler Berechnung. Missglückte Bemerkungen wie jene der Kölner Bürgermeisterin von der sicheren Distanz einer Armlänge kommen in den Sinn. Und natürlich freudianische Metaphern.

Wichtig ist das fratzenhafte Wesen im Zwielicht dahinter. Es geifert mit linkischem Blick nach vorne, eine Sanduhr auf dem Kopf, leichenblass, befedert und mit einem Speer bewaffnet. Es ist eine seltsame Mischung aus Tod, Vergänglichkeit und fremdenfeindlicher Allegorie. Dieser Untote stammt aus der Neuen Welt. Hysterisch hetzter zum Kampf. Erst wer diesen Umschlag der Bedeutungsebenen bedenkt, die Doppelbelegung durch zwei ikonografische Symbolstämme, wird links im Schatten einen rauchenden Afrikaner ausnehmen. Folgt man der manichäischen Angstmache des Malers, gipfelt die Unmoral im Müßiggang des Sklaven. Werte haben sich in dieser Welt verkehrt. Afrika und Amerika bedrohen aus dem Halbdunkel. Aus dem Hinterhalt dringen narkotischer Nebel und kriegstreiberisches U-u-u-u-u-u.

Das Bild stammt aus den Niederlanden, wird irgendwo in der westlichen Ukraine vermutet. 2005 wurde es gemeinsam mit 23 anderen und einigem Silberschmuck aus dem Westfries Museum in Hoorn in der Nähe von Amsterdam gestohlen. Nun bieten Hehler die Ware für 50 Millionen Euro an. Wie der „Guardian“ berichtet, geschieht dies nicht klammheimlich. Die ukrainische Swoboda-Bewegung soll hinter dem Angebot stecken. Niederländische Mittelsleute wurden von zwei Mitgliedern der ultranationalen Bewegung in der Botschaft in Kiew kontaktiert. Die Gruppe, die sich „Freiheit“ nennt, ist eine von über 40 paramilitärischen Milizen, die gegen die russische Invasion kämpfen. Ihr ist jedes Mittel recht. Sie übersieht dabei, dass Jacob Wabens „Vrouw Wereld“ eine Illustration der rechtsfreien Geschehnisse sein könnte. Als ob das Bild hätte erahnen können, wie mit ihm gehandelt wird, bildet es die Kluft zwischen Orient und Okzident ab, die wechselseitige Anziehung und zugleich Unterstellung verrohter Werte, die Gefahr von hinterhältigen Absprachen und Kuppelei, die Vorurteile der „white caucasians“ gegenüber Nichteuropäern, Raffgier,Hehlertum und Heuchelei.

Ukraine, das ist – wörtlich – das Land am Rand. Obwohl nicht deckungsgleich, erinnern die derzeitigen Hegemonieansprüche in der Region an die politischen Einflusssphären vor dem europäischen Flächenbrand von 1914. Entlang der Grenzen des Osmanischen Reiches und der Habsburgermonarchie, zwischen Sultanat und Kaiserkrone, zieht das gegenwärtige Russland eine scharfe Trennlinie, die das Vordringen der Nato bis an die eigenen Grenzen mit Nachdruck unterbindet. Die Ukraine, das Pfand an der Grenze, ist in eine Phase andauernder Destabilisierung getreten. Sie gipfelt im Scharfschützengefecht am Maidan und in der bewaffneten Besetzung der Krim, der ersten gewaltsamen Verschiebung der Grenzen im Nachkriegseuropa. Verlässliche demokratische Institutionen und das Vertrauen in eine Rechtsordnung haben in der Ukraine und den anderen Staaten dieses geopolitischen Problembogens wenig Chance. Es regiert eineKleptokratie, die sich nimmt, was sie zu fassen bekommt. Nur so konnte es zu der Dreistigkeit kommen, Jacob Wabens Gemälde zur Kriegsfinanzierung einzusetzen.

Zu befürchten ist, dass das Bild auf dem Schwarzmarkt landet. Dann wäre es endgültig verloren, wenngleich seine Geschichte um eine Fortsetzung reicher. Es würde von seiner Geiselhaft erzählen und den dunklen Ecken nichtöffentlicher Gemächer. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.01.2016)

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