Märtyrerin und Blutsaugerin

Ein Lehrstück für Populisten: Ursula Prutschs Biografie-Essay über Argentiniens Eva Perón.

Marie Langer, die leidenschaftliche Antifaschistin aus Wien, vor den Hitler-Schergen nach Buenos Aires geflüchtet (wo sie zur Mutter der argentinischen Psychoanalyse aufsteigen wird), reihte sich, widerstrebend zwar, dem unübersehbaren Trauerzug hinter dem Sarg der am 26. Juli 1952 verstorbenen Eva Perón ein. Die Kommunistin aus Wien misstraute dem schillernden Populismus Peróns, erwies aber der klassenkämpferischen Gattin ihre Reverenz. In einigen Essays versuchte sie später eine psychoanalytische Deutung anhand der bösen Evita-Mythen (Blutsaugerin, Kinderfresserin), wie in Buenos Aires in großbürgerlichen Kreisenzirkulierend, wo die „puta“ abgrundtief gehasst wurde. (Jorge Luis Borges wird die damalige Zeit verächtlich als „epoca irreal“ einstufen.)

Sechs Dekaden später greift eine Österreicherin erneut das Thema auf: Ursula Prutsch, Dozentin an der exzellenten Ludwig-Maximilians-Universität München und dort zuständig für die Geschichte Amerikas. Nun wäre Eva Perón in Mitteleuropa längst vergessen, gäbe es nicht das Blockbuster-Musical „Evita“, verkörpert von Madonna – und nicht gerade schmeichelhaft in Populärkitsch umgesetzt. Wer sich heute an Eva Perón versucht, muss daher akribisch die Zeit davor dokumentieren. Unsere Autorin kannzudem aus ihrem Forschungsarsenal Erkenntnisse von US-amerikanischen und britischen Archiven einspielen. Dies alles verdichtet sie zu einem nachdenklichen Biografie-Essay, der das an und für sich grobe Thema mit eleganter Hand anschlägt.

Heuchlerin, Diebin, Dämonin?

Die uneheliche, in tiefster argentinischer Armutsprovinz geborene Eva Duarte durchschreitet hier alle ihr zugeschriebenen positiven und negativen Positionen: Als Märtyrerin, Wohltäterin der Armen, Kameradin (als Vorstufe zum Feminismus!), Mutter der Nation, Schutzmantelmadonna, Heilige – Santa Evita eben; aber auch als Heuchlerin, Simulantin, Erpresserin, Diebin, Dämonin, korrupt und infam, den Reichtum der Nation vergeudend. Argentinier haben über all dies oft geschrieben. Und V. S. Naipaul grub auch noch den Tratsch „of her reputed skill in fellatio“ aus.

Prutsch durchquert unbeirrt dieses Gestrüpp an polemischer Literatur und präsentiert ein ausgewogenes Bild der Heldin, deren Ikone Argentinien fixierte – bis heute, weil der Peronismus in immer neuen Metamorphosen (zuletzt im „Kirchnerismo“) auflebte. Warum? Weil, so Prutsch, der Peronismus, als Paradox, allen Anhängern Glück versprach, ohne es auf die Dauer erfüllen zu können.

Jedes Mal ging dabei das – vor potenziellem Reichtum berstende – Land fast bankrott: 1955, 1973–76, 2001, 2015. Und doch war der Peronismus, quasi als unterirdisch wucherndes Rhizom, nicht umzubringen. Solange der Evita-Mythos hält, wird es nicht austrocknen. Ob der neue, liberal-bürgerliche Präsident Mauricio Macri, daran etwas ändern kann, muss sich erst erweisen.

„So kann die Geschichte von Eva Perón auch als Lehrstück für das Handeln von Populisten gelten, heißen sie nun Hugo Chávez, Victor Orbán, Jean-Marie und Marine Le Pen, Jörg Haider und Sarah Palin“, urteilt Prutsch kontrovers. Wahrhaft ein Grund mehr als Lektüre-Empfehlung! ■


Die Autorin präsentiert das Buch am 29. Jänner im Europa-Saal des Wiener Lateinamerika-Instituts, Schlickgasse 1.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.01.2016)

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