Dieses Wort, das entzweit

„Expedition Europa“: über Slowenien und die Homo-Ehe.

Ich muss konstatieren, dass von Mitteleuropa heute nur die Idee übrig ist. Der Ostler zum Beispiel fühlt sich vom Westen betrogen: Das implizit versprochene Aufholen zum westlichen Lebensstandard ist seit der Finanzkrise gestoppt, der Osten ist einbetoniert in seine Funktion als Werkbank und Absatzmarkt, und jetzt will ihm der Westen auch noch Flüchtlinge und die Homo-Ehe aufnötigen. Letzteres ist ein weiterer Gradmesser für die wachsende Entzweiung: Die Homo-Ehe ist im Westen durch, im Osten gibt es sie nirgends.

Mitteleuropa ist heute wohl auf einen einzigen Kleinstaat geschrumpft. Ein bissel Alpen, ein bissel Meer, ein bissel Karst – Slowenien. Das Land streitet wie kein anderes um sein Familienrecht: 2012 stimmten 55 Prozent gegen die Homo-Ehe, im vergangenen Dezember waren bei veränderter Fragestellung 64 Prozent dagegen. Ich besuche in Laibach beide Lager.

Von der Ja-Kampagne „Die Zeit ist reif“ wird mir Mitja Blažič, 41, ins Café geschickt. Eingangs bedauert der Laibacher, dass ich nicht Pole bin: „Mein Boyfriend vergöttert Polen.“ Das ist sein einziger Witz. Die Niederlage akzeptiert er keineswegs: „Wenn die Leute für Diskriminierung sind, ist es unsere Pflicht, ihren Willen zu ignorieren. Manche Werte stehen höher.“ Hinter dem Nein sieht er die Macht der Kirche und einer Oppositionspartei, die „so viele Instrumente haben, eine Atmosphäre der Angst zu schaffen“, noch dazu vor Weihnachten.

War das nicht populistisch?

Ich muss einhaken. Der Großteil des Establishments bis hin zur Pensionistenpartei warben für das Ja, und die Stars von zwei konkurrierenden Seifenopern haben für das Ja ein Umarmungsvideo gedreht. Haben die Soaps nicht mehr Seher als die Kirche Messgänger? Er murrt. Das Nein-Lager habe gelogen. Die Kirche habe viel Geld. Am Ende fragt er mich, wen ich vom Nein-Lager treffe. – „Die Co-Chefin von ,Es geht um die Kinder‘.“ – „Oh, die spielt die besorgte Großmutter sehr gut.“ Er malt sich aus, in ein paar Jahren mit der „überzeugenden Rednerin“ auf einen Kaffee zu gehen. „Ich will nämlich wissen, ob die das wirklich alles glaubt.“

Metka Zevnik, Alter geheim, bestellt mich ins „Institut des Hl. Stanislaus“. Die Komplimente des Ja-Lagers – „Solche Leute bräuchten wir!“ – nimmt die pensionierte Chemikerin aus Kranj mit honigsüßem Lächeln entgegen. Wir sitzen im Keller des Instituts, ihr Papier ist mit Linien, Kringeln und fünf Farben bearbeitet, und sie sagt: „Ich glaube das.“ Als frühere Spitzenbeamtin im Bildungsministerium zitierte sie blind aus den Gesetzen, und als Gründerin einer Großelternlobby hatte die siebenfache Oma einen funktionierenden Spin: „Zwei Männer können ein Kind adoptieren, aber die eigenen Großeltern nicht?“ Ich muss einhaken: „Kommt beides nicht extrem selten vor?“ –„Ein Fall ist zu viel.“ – „War das nicht populistisch, die Kampagne über die Kinder zu spielen?“ – „Nein.“

Sie macht eine Schlangenbewegung mit der Hand, Aktivisten der Gegenseite seien „in die Schulen eingedrungen, manchmal über Themen wie Gesundheit“. Das hat mir auch Blažič erzählt: „Ich lehre Menschenrechte, ich habe ein Zertifikat des Europarats.“ Zevnik ist dagegen: „Am Ende würden die Eltern die Freiheit verlieren, ihre Kinder zu erziehen.“ Legistisch sind Blažič und Zevnik nah beieinander. Sie rüttelt nicht an der registrierten Partnerschaft, und wenn er sich von „70 Gesetzen nur wegen meiner sexuellen Orientierung diskriminiert“ sieht, kommt sie mit einem Gesetzespaket, das „alle ökonomischen Diskriminierungen beseitigen“ würde. Was sie entzweit, ist ein einziges Wort: Familie. Ich verlasse genießerischlangsam Slowenien, ein bissel ein Thermenland und ein bissel ein Mugelland ist das schließlich auch. Und wiege mich kurz in der Illusion, Europa hätte eine Mitte. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.01.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.