Der Tag, an dem die Frauen lächelten

Am 8. März 2016 verstanden die Männer die Welt nicht mehr. Zum diesjährigen Internationalen Frauentag: eine Vision.

Am 8. März 2016 verstanden die Männer die Welt nicht mehr. Die Computer spielten verrückt, die Datumsanzeige wollte und wollte sich nicht einstellen, die Zeiger der Uhren drehten sich durch und durch, die Digitalanzeigen blinkten und zeigten die Zeitziffern nach einem Zufallsprinzip an, in den Fernsehsendern blitzten scheinbar wahllos Filmausschnitte auf, den Nachrichtensprechern wurde das Wort in den Fernsehsendungen abgeschnitten, in den Radiosendern, die von Beethoven bis Beatles auflegten, nahmen die Störungen kein Ende, die Druckmaschinen der Zeitungen und die Internetseiten ließen sich nicht mit den Bildern der Fifa und den Chefs des Skiverbands programmieren, auch mit Marcel Hirscher wollte es nicht klappen, weder die Porträtfotos der Dirigenten der Wiener Philharmoniker noch das Gruppenfoto der oberösterreichischen Landesregierung, weder Barack Obamanoch Zubin Mehta ließen sich verarbeiten, als ob die Systeme ausspien, was ihnen aufgetischt wurde; es war verhext.

Die Computertechniker wussten keinen Rat, sie gaben entnervt auf, nicht einmal der Millenniumssprung und auch nicht die Währungsumstellung hätten solch ein Chaos verbreitet. Eine Netzwerkbetreuerin hatte die Idee, Geschichten von Angela Merkel bis Hillary Clinton in die Systeme einzuspeisen, eine Chefin vom Dienst bat alle Sprecherinnen der Sender, es doch vor dem Schirm zu versuchen, die Praktikantinnen machten sich schnell fertig, die Kamerafrauen stellten sich an die Plätze der völlig überforderten Kollegen, das Fernsehen zeigte Filme mit Meryl Streep und Diane Keaton, eine Dokumentation über die Komponistin (nicht Kopistin) Anna Magdalena Bach, eine Musikredakteurin programmierte in der Eile erst einmal „Happy Birthday“ und dann für die Popsender Carole King, Tory Amos und Amy Winehouse, die Klassiksender legten für Kammermusikformate Dora Pejačević und Luise Adolpha Le Beau auf, für die symphonischen Formate Amy Beach und Ethel Smyth, in den Liedsendungen kamen Alma Mahler und Meredith Monk zu Gehör, der Opernabend gehörte Lilly Hutterstrasser und Nancy van de Vate, die Nachtmusik Fanny Hensel.

Die wenigen Redakteurinnen, die eben noch für ihre feministische Neugier belächelt worden waren, lächelten nun, als sie so unersetzlich für den weiteren Betrieb wurden, gnädig zurück. Sie hätten über das Ziel geschossen, hatten sie wieder und wieder jahrzehntelang von ihren Chefs gehört, jetzt waren sie selber erstaunt, wie sich die Computerwelt mit ihnen verbündete, die Rechner einfach den Dienst verweigerten, wenn ein Männername eingegeben wurde.

Die Gershwin-Kollegin Dana Suesse

Die Büros der Landes- und Stadtschulratspräsidien bemerkten peinlich berührt ihre Wissenslücken; und als auch die elektronischen Lehrbücher zusammengebrochen waren, informierten sie sich eilig im Frauenmusikhandbuch des österreichischen Außenamts, sie wiesen die Schulbibliotheken an, musikwissenschaftliche Literatur über die großen Komponistinnen anzukaufen, CD-Serien auch, und in die E-Books wurden eilig die Biografien Clara Schumanns oder der Gershwin-Kollegin Dana Suesse eingespeist, Musik und Lebensgeschichten der österreichischen Komponistinnen Johanna Doderer und Gabriele Proy.

Zu allem Unglück spielten die Eintrittskarten und die Durchgangssperren in den österreichischen Museen verrückt, weder die Chagall-Malewitsch- noch die Balthus-Ausstellung ließen das Publikum ein, weder war Josef Frank im Museum für angewandte Kunst zugänglich noch Franz Joseph im Schloss Schönbrunn. Kartenausdruck, Registrierkassen, automatische Türen – alles stellte sich tot. Im Belvedere erlaubte die Eingangssperre gelegentlich den Besuch der Ausstellung über Klimt, Schiele, Kokoschka und die Frauen. Seltsamerweise gab es im Sigmund-Freud-Museum, wo die Frauen in der Psychoanalyse gezeigt wurden, keinerlei Probleme, und im Lentos, wo Rabenmütter das Thema waren, wusste die Direktorin auf Anfrage nichts von irgendwelchen Programmierproblemen.

Als das Wiener Künstlerhaus bemerkte, dass weder Licht noch Heizung und Klimaanlage funktionierte, nicht einmal der Kaffee-Automat sich überlisten ließ, entschied sich der Vorstand, die lang verschobene Ausstellung „Women Made Music“ schnell nachzuholen; der eben abgeschlossene Investitionsvertrag mit einem kunstsinnigen Investor, der auch ein großer Opernfan war, wurde nachgebessert, die Kosten für die Ausstellung wurden als zukunftsweisend in die Gesellschaft erkannt.

Es war wie Zauberei, als ob die Zaubersprüche in die Computersysteme eingedrungen wären: als der Operndirektor sagte, die Zukunft gehöre den Frauen, oder das Kontrollamt der Stadt Wien die bescheidene Präsenz weiblichen Musikschaffens im Haus der Musik bemängelte, als die Banker zitierten, dass die Finanzkrise unter der Verantwortung von Frauen nicht passiert wäre, und Wirtschaftsreports die Diversität in den Führungsetagen als Qualität erkannten.

Im Musikleben war der Einbruch der Computersysteme am katastrophalsten: Auf den Titelblättern der Zeitschrift der Gesellschaft der Musikfreunde waren ja in den vergangenen zwei Jahren nur zweimal Frauen porträtiert; mit der Büste der Clara Schumann im Halbstock auf der Stiege zum Brahms-Saal war es auch nicht getan. Weder im Konzerthaus noch im Musikverein fand sich bisher eine Konzertreihe gewidmet dem weiblichen Musikschaffen. An diesem Abend des besonderen 8. März wurde schnell das Erste Frauenkammerorchester eingeladen, das ein Programm von Ruth Schonthal bis Gloria Coates spielte. Die Computer hätten sonst nicht mehr mitgemacht; selbst Wien Modern, das 2015 stolz auf ein paar Komponistinnen war, war nicht programmierbar, wenn die Quote verfehlt wurde. Alles gute Zureden half nichts, die Rechner agierten einerseits mit einer Sturheit, wie sie nur Maschinen zugeschrieben wurde, und andererseits mit einem geradezu menschlichen Entgegenkommen, wenn Gender-kritische Daten abgefragt und eingegeben wurden.

Das Wiener Konzerthaus hatte seine Daten zwar erhoben, die Gesellschaft der Musikfreunde jedoch nicht, auch die AKM fing erst jetzt damit an. Das hatte zur Folge, dass die Aufsichtsräte der Tantiemenverwertungsgesellschaften, die Präsidien der Musikinstitutionen in Wien, Linz und Graz Gender-balanciert besetzt wurden; kaum versuchte eine Institution unter die 50-Prozent-Quote zu rutschen, verweigerten die Computer jegliche Weiterarbeit. Die Musikuniversitäten versuchten, die Computersysteme auszutricksen, an der Wiener Universität für Musik und darstellende Kunst war man stolz darauf, den Anteil der Studentinnen im Popularmusikbereich auf 30 Prozent gesteigert zu haben, aber weder die Kunst der Programmierer noch Umstellungen auf neue Systeme duldeten einen geringeren Anteil als 50 Prozent; jede Website des österreichischen Musiklebens brach zusammen, wenn der Anteil der Dozentinnen, der Lehrerinnen, der Künstlerinnen unter 50 Prozent sank. Also besetzte das Kammermusikfestival Austria oder die ISA Sommerakademie Gender-balanciert.

Die Abonnementserien der großen Konzerthäuser luden, ein wenig missmutig, die großen Dirigentinnen ein, von Susanna Mälkki bis Marin Alsop, von JoAnn Falletta bis Mirga Gražinytė-Tyla, die Wiener Philharmoniker verkündeten eilig, das Neujahrskonzert 2017 werde erstmals von einer Dirigentin geleitet.

Femen zwischen Karyatiden

Gestärkt von den bisher für leblos gehaltenen Verbündeten in der Verwaltung, den Rechnern, kamen die Frauen auf ein paar weitere Ideen. Sie stellten sich, in goldener Farbe bemalt, mit nackten Oberkörpern zwischen die Karyatiden im Großen Saal der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien; bevor sie noch als Femen beschimpft und verjagt werden konnten, beriefen sie sich auf ihre Säulenvorbilder und begannen zu singen. Die Aufrufe zur Vergewaltigung und zur Steinigung aus dem sozialen Netz vertonten sie. Die gerade angekommenen Flüchtlingsfrauen hatten ihnen Mut zugesprochen; jene aus dem Iran, die Musik gegen alle Verbote und die Anschuldigungen der Sündhaftigkit weiter betrieben, und jene aus Kabul, die in einem Frauenteam in Afghanistan Radrennen fuhren, gelegentlich heruntergezerrt, absichtlich angefahren, beschimpft und verhöhnt.

An diesem endlosen 8. März, an dem die Zeiger der Uhren sich drehten und drehten und die Stunden kein Ende nahmen, bemerkte auch die öffentliche Verwaltung, dass es mit einzelnen Aktionen wie dem Speeddating für Komponistinnen nicht getan war; ja, sagten die Minister und Beamten, sie hätten ohnedies die Intendanzen sanft und sicher aufgefordert, mehr auf das weibliche Musikschaffen zu setzen, aber die Computer aller Marken und Größen gaben ihre Eingabemasken erst frei, wenn Gender-Gerechtigkeit erzielt war. Ein Rechner wartete auf den anderen, geduldig, bis er das richtige ausgewogene Datenmaterial empfangen hatte, die Zeit stand still, der Tag ging und ging nicht zu Ende, bis alle in der neuen Zeit des Gender-Budgetings angekommen waren.

Und, fragten die Dramaturgen, was machen wir mit den alten Liedern, die von Vergewaltigung singen, vom Heidenröslein und vom Erlkönig; was machen wir mit den Opern, in denen Frauen gequält und verhöhnt werden, nicht einmal den Namen ihres Retters erfragen dürfen; was machen wir mit den Geschichten von Frauen, die sich zur Rettung ihrer Männer in den Tod stürzen müssen? Wir brauchen neue Lieder, sangen die als Karyatiden verkleideten Femen, und die Dramaturgien der Opernhäuser suchten neue Stoffe für eine neue Zeit und ihr Publikum. Nur die politischen Parteien taten sich schwer,wer von ihnen sich die Stimmen der Rechner auf seine Fahnen heften durfte. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.03.2016)

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