Warum nicht an die Côte d'Azur?

40 Jahre vor Houellebecqs „Unterwerfung“: Hinweis auf den dystopische Migrationsroman „Das Heerlager der Heiligen“ des Franzosen Jean Raspail. Samt einem Blick aus dem Jahr 2016 auf die Zukunft Europas.

Der französische Schriftsteller Jean Raspail, geboren 1925 in Chemillé-sur-Dême, unternahm zwischen 1950 und 1970 zahlreiche Forschungsreisen und trat mit einer Reihe von unkonventionellen utopischen Romanen, geprägt durch seinen traditionellen Katholizismus, hervor. Raspail lebt heute in Neuilly-sur-Seine. Im Jahre 1973 publizierte er eine bemerkenswerte Dystopie: „Le Camp des Saints“ (in der deutschen Übersetzung: „Das Heerlager der Heiligen“).

Raspail beschreibt in seinem Roman die Entscheidung einer Million extrem verarmterMenschen Indiens, eine unbewaffnete Armada am Ganges aufzustellen, um ein reiches westliches Land zu erobern. Allein die unvorstellbare Anzahl fanatischer Eroberer versetzt die Welt in Angst und Schrecken, nur die Europäer sehen diesem Spektakel mit einer höchst neurotischen Angstlust zu. Die Odyssee findet ihr Ziel an der Côte d'Azur. Die Eliten Frankreichs verfallen schon Wochen vor dem Eintreffen der Invasoren in ekstatische Verzückung: Die Medien schalten sich gleich und beginnen eine unerbittliche Indoktrination der Massen, die jegliche Kritik unterbindet. Die Aussätzigen der Dritten Welt werden als Erlöser der westlichen Kultur gepriesen, die politische Linke und die Kirchen stehen an vorderster Front des Kampfes gegen die französische Kultur. In den Schulen wird der „Rassismus“ der westlichen Zivilisation mit allen Mitteln bekämpft, um eine „Willkommenskultur“ zu erzeugen.

Der Präsident der Republik schreckt davor zurück, das Militär einzusetzen, um die Grenzen des Landes zu sichern. Er fürchtet, dass die anderen westlichen Regierungen ein militärisches Vorgehen gegen die „Verdammten dieser Erde“ (Frantz Fanon) missbilligen würden, und setzt damit Frankreich wehrlos der kulturellen Zerstörung aus. Die Armee der Grande Nation löst sich nach und nach auf, letztlich stoßen die Invasoren auf keinerlei Widerstand. Je näher sich die Flotte dem Festland nähert, umso mehr Menschen fliehen in die nördlichen Landesteile. Jean Raspail erklärt dieses irrationale Verhalten der französischen Eliten und die kollektive demütige Hinnahme der Eroberung als Verfall des allgemeinen Denkvermögens: „Denn niemand war imstande, die bittere Wahrheit zu erkennen, auch wenn sie ihm unmissverständlich ins Gesicht starrte. Keinem Einzigen kam der auf der Hand liegende Gedanke, dass die Gangesflotte der weißen Welt das erste Gefecht in einem gnadenlosen Rassenkrieg geliefert hatte. Von nun an würde sie kein Pardon mehr geben.“

Im Jahr 1973 mag dieser Roman als futuristische Apokalypse des globalen Konfliktes zwischen den reichen westlichen Staaten und den verarmten Gesellschaften der Dritten Welt gesehen worden sein. Aus heutiger Sicht liest er sich wie ein Drehbuch der Masseneinwanderung aus dem Nahen Osten und aus Nordafrika. Wir sind natürlich nicht mit einem „Rassenkrieg“ konfrontiert, sondern mit einer drohenden islamischen Apokalypse Europas.

Kollektive Hinnahme der Eroberung

Der französische Autor Renaud Camus beschreibt diese Invasion muslimischer Migranten als den großen ethnisch-religiösen „Austausch“: „als ethnische und kulturelle Substitution, als demografische Überschwemmung, als Gegen-Kolonisation, als Eroberung Europas“. Die reziproken demografischen Entwicklungen der nicht eingewanderten und der eingewanderten Populationen sowie der anhaltende Zuzug neuer Migranten verändern viele europäische Gesellschaften irreversibel, das heißt: Die Einwanderung erfolgt nicht nach Maßgabe einer Integration, sondern stellt eine systematische koloniale Eroberung dar.

Die militärische Kolonialisierung durch die Europäer führte verständlicherweise zum antikolonialen Kampf, zu Befreiungskriegen gegen die Okkupanten. Die heutigen Kolonialisten überschwemmen Europa hingegen als Opfer des Imperialismus und des Rassismus, das heißt: als legitime Avantgarde der Zerstörung der europäischen Zivilisation. Die europäischen Eliten rufen jedoch zu keinem antikolonialen Kampf auf, sondern verfallen in eine hysterische Begeisterung angesichts ihres kulturellen und nationalen Suizids. Der europäische Selbsthass entspringt allerdings nicht nur dem schlechten Gewissen im Hinblick auf die koloniale Vergangenheit, sondern trägt geradezu pathologische Züge. Renaud Camus umschreibtdiese Aspekte als die „zweite Karriere des Adolf Hitler“.

Wir sind vom Faschismus offensichtlich derart traumatisiert, dass wir jegliche nationale und kulturelle Identität zerstören müssen, um einen Rückfall in die dunklen Zeiten Europas zu verhindern. Leider übersehen wir, dass wir denselben Faschismus wie unsere Väter und Großväter unterstützen – nur in seiner islamischen Variante. Nicht nur der radikale Islam, sondern auch der orthodoxe vertritt einen extremen Judenhass, der direkt aus dem Koran stammt: Die Juden haben Gottes Bund gebrochen, sie lügen und haben Gottes Wort verfälscht, sie sind vertragsbrüchig, nehmen Wucher, rauben Geld, sie glauben nicht an das Jenseits, wegen ihres Ungehorsams hat Gott Affen und Schweine aus ihnen gemacht. Der österreichische Publizist und Islamwissenschaftler Manfred Schlapp beschreibt Allahs Strafe für Juden und andereUngläubige drastisch: „Für derartige Unholdehat Allah sieben Höllen geschaffen, in denen sie wie Hähnchen auf Spieße gesteckt und in der Höllenglut geröstet werden. Im Speziellen ist diese Grillstation für Juden, Christen und Polytheisten reserviert. Mögen sie auch im Diesseits heil davongekommen sein, der jenseitigen Strafe entrinnen sie nicht.“

Doch alle kritischen Hinweise auf die Unvereinbarkeit des orthodoxen Islam mit Demokratie und Menschenrechten fruchten bei den Vertretern der „Fremdenliebe“ nichts. In ihrer neurotischen Fixierung auf die Vergangenheit kreieren sie ein Weltbild, in dem alles Fremde per se einen Wert darstellt. Das Eigene wird radikal abgewertet, aus dem Selbsthass entsteht eine unbewusste Selbstvernichtungsfantasie. In dieser quasi-religiösen Kollektivneurose nimmt der Migrant den Status des Unantastbaren ein, dessen empirische Erscheinung nicht thematisiert werden darf. Die Rollen sind eindeutig definiert: Die Migranten werden zu neuen Heilsbringern stilisiert, an denen die Vernichtung der europäischen Juden gesühnt werden soll. Jede Hinterfragung der fehlgeschlagenen Integration, sei es die Integrationswilligkeit vonMigranten oder die Frage nach dem Gewaltpotenzial der islamischen Religion, gibt diesen sinnlosen Akt einer von niemandem eingeforderten „Wiedergutmachung“ sofort der Lächerlichkeit preis.

Der Islamwissenschaftler Bassam Tibicharakterisiert den politischen Islam folgendermaßen: „Der vom Islam angestrebte Weltfriede gilt als höchstes Ziel, das natürlich die weltweite Verbreitung des Islam voraussetzt. Das bedeutet, dass ein Ende des Krieges erst dann möglich sein wird, wenn die gesamte Menschheit zum Islam konvertiert ist oder sich seiner Dominanz als geschützte Minderheit unterworfen hat. Der islamische Weltfriede ähnelt in seiner Eschatologie der marxistischen Lehre vom Frieden in der klassenlosen Gesellschaft.“ In der islamischen Theologie wird die Eroberung der nicht muslimischen Welt durch Migration als die Hidschra bezeichnet, deren historisches Vorbild die Auswanderung des Propheten und seiner Anhänger von Mekka nach Medina samt der Durchsetzung des Islam in Medina ist.

Die gegenwärtige islamische Masseneinwanderung nach Europa verdankt sich der Selbstzerstörung der islamischen Zivilisation in Nordafrika und im Nahen Osten. Die Migranten sind mehrheitlich Männer zwischen 20 und 40 Jahren, die die Vorhut eines kommenden Familiennachzugs darstellen. So werden aus anderthalb Millionen Zuwanderern nach Deutschland im Jahr 2015 mittelfristig ein paar mehr, Millionen nämlich.

Kontinentale Libanonisierung

Langfristig wird sich das Gesicht Europas radikal verändern: Viele indigene Europäer werden – laut Tibi – die Erfahrung machen, dass sie auf eigenem Boden zur Minderheit geworden sind: „Es könnte nämlich sein, dass in ein bis zwei Generationen, wenn die Minderheiten die alteingesessenen Deutschen, Holländer oder Franzosen zumindest in einigen Teilen dieser Länder zahlenmäßig überrundet haben, sinnvolle Integrationsdiskussionen nicht mehr möglich sind; denn wer Minderheit im eigenen Land geworden ist, kann von der Mehrheit nicht mehr ohne Weiteres verlangen, dass sie sich dem eigenen Lebensstil anpasst, dass sie die Sprache lernt und die alten Gesetze akzeptiert. Dann müssen sich die Alteingesessenen in die veränderte Gesellschaft integrieren.“

Im Ergebnis wird es zu einer unvorstellbaren Migration kommen. Der ägyptisch-deutsche Politikwissenschaftler Hamed Abdel-Samad entwickelt eine düstere Vision für Europa: „Junge Muslime, die vor Armut und Terrorismus flüchten, werden auch die Konflikte ihrer Heimatländer mit nach Europa tragen. Europa stellt für sie zwar eine Hoffnung in der Krise dar, doch befreien können sie sich nicht von ihren alten Feindbildern. Sie werden in einen Kontinent einwandern, den sie innerlich verachten und für ihre Misere verantwortlich machen.“

Die Europäische Union hat in dieser europäischen Flüchtlingskatastrophe grandios versagt. Weder ist sie in der Lage, die Außengrenzen entsprechend dem Vertrag von Schengen tatsächlich zu schützen, noch kann sie die territoriale Zuordnung der Migranten durchsetzen. Das „sanfte Monster Brüssel“ (Hans Magnus Enzensberger) wird in den Augen vieler europäischer Bürger weiter an Legitimation verlieren und auf lange Sicht seinen schleichenden Tod erleben. Damit dürfte die letzte Utopie Europas zu Grabe getragen werden: Aus dem multikulturellen Traum wird ein islamischer Albtraum, Europa droht weitgehend eine kontinentale Libanonisierung, eine ethisch-religiöse Zerstückelung, die an die Zeit des Dreißigjährigen Krieges erinnert. Womit wirnun nachgerade dabei sind, Jean Raspail einzuholen. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.03.2016)

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