Nur noch Blasen

Die Frage, die immer wieder zu stellen ist: Wie bringt man Menschen dazu, sich völlig in die Hände von Schaumschlägern und Gaunern zu begeben, und das im großen Stil? Über den Markt und die Macht: Hinweise zu Daniel Hoesls Film „Winwin“ – demnächst im Kino.

Er ist ein Alptraum, dieser Film. Für eine Farce zu grimmig, für eine Tragödie zu heldenlos, für einen Wirtschaftskrimi zu abstrakt, zu kadriert, in Farbe gebracht. Es gibt im Grunde niemanden darin, in den man sich wirklich einfühlen möchte. Am ehesten noch in den abgesägten Familienunternehmer, aber der verliert sich auffällig viel im Gebüsch, an den Seeufern, den Waldeinsamkeiten, die es ja bekanntlich gar nicht mehr gibt.

„Silent Hill“ lässt grüßen. Doch „Silent Hill“ hatte Monster, die bedrohlich waren, amorphe Wesen mit plötzlichen Zähnen, die aus irgendwelchen Wänden kamen, hier kommen keine Wesen aus den Wänden, hier sind wir es selbst, oder wer ist das, in dessen Gesichter geblickt wird in den vielen Verhandlungsrunden des Films – wo eigentlich? Der Verhandlungsort wirkt aseptisch, ein schalltoter, ja nahezu umgebungstoter Raum, in dem nicht einmal die eigene Atmung zu hören ist und sowieso nichts von der Welt zu sehen ist, um die es ja eigentlich geht. Und das ist auch gut so, denn dann würden wir sehen, was hier verschachert wird.

Vielleicht ist „Winwin“ von Daniel Hoesl aber auch ein Zauberwürfel, in den man keinen Einstieg findet und der auf ewig verdreht bleiben muss. In keine Symmetrien, Harmonien zu bringen, als die wir gesellschaftliche Verhältnisse gerne imaginieren. „Voran, voran“ ist sein Schlachtruf ohne Ausrufezeichen, beinahe phlegmatisch von irgendeiner Ministerin (welche war das noch? – egal!) dahergesprochen, während sich ihre störrische Kabinettschefin um sie windet, trockene Widerspruchssätzlein absondernd.

Aseptische Mienen werden durch aseptische Szenarien geführt, ein Mythos, der unter den Rasenmäher gekommen ist und nun mit Stoppelrasen daherkommt oder sich unter drei Meter Plexiglas abspielt, sodass man nicht weiß, sieht man nur noch Wellen im Kunststoff oder doch menschliche Bewegungen. Er ist ein Spiegel, der auf Hochglanz bringt und Schrecken zurücklässt, jedenfalls beschreibt er eine verlassene Stelle inmitten unserer Gesellschaft, die über das Leben, die Prosperität, den gesellschaftlichen Reichtum entscheidet.

Dabei kommt er ganz ohne Spleens aus, die man Investmentjunkies durchaus zuschreiben könnte, irgendwelche Vorlieben für irgendwelche Unternehmen, er bleibt bei den Leerformeln, in absolut werbesprachlich organisierten Bildern, denen man wünschte, sie könnten, wenn sie schon keine Unterschiede machen, doch wenigstens ausfasern.

Im Gegenteil, während sie uns diesen Gefallen nicht tun, halten sie Gesichter starr in ihrem Mittelpunkt, Gesichter, die auf Menschen draufhocken wie eine Krankheit. Gesichter, die alles plausibel machen, auf personal effectiveness trainierte Visagen, die nur konterkariert werden durch das „Kommt er“, „Da hat er ja“, die dritte Person Singular, mit der die Ministerin um sich wirft, bevor sie die rituell durchgeführte Handtaschennummer hinter sich bringen möchte, ein Vorspiel der Habgier, die dem Diktat der ersten Person Singular fast irrtümlich eine figürliche Anmutung verpasst.

Ist der Film ein Skandal? Zu sagen, dass in Österreich diese Dinge an der Tagesordnung sind, dass Konsequenzlosigkeit für die Vernichtung gesellschaftlicher Vorsorgesysteme es mit Ländern wie Luxemburg, Kolumbien und den USA verbindet, dass es eine Bananenrepublik ist ohne Bananen, wäre vielleicht das einfache Schlusswort zu „Winwin“ gewesen.

Ausgesprochen wird es aber bereits in der Mitte, es eignet sich auch filmisch nicht mehr zur abschließenden Verurteilung des Geschehens, zu wirkungslos hat die Medienindustrie in den vergangenen Jahren auf diese Karte der Erregung gesetzt, zu sehr ist Kunst bereits einzig in Markt zu übersetzen. Das Drastische findet sich auch weniger in den Inhalten der fast wie aufgesagt wirkenden Sätze als in der Art und Weise, wie gespielt wird, wie die Bildränder sich zu der Bildmitte verhalten, wie Schauplätze sich werbeästhetisch aneinanderfügen und unsere Fantasie längst schon werden konsumiert haben.

Scheinbar krass voneinander zu unterscheiden, stellen das barocke Ministerium eher einen Unort des politischen Handelns, die leere Büroetage irgendeines Donauturms eher einen Unort der Mehrwertproduktion, die Menagerie im Naturkundemuseum eher einen Unort der Verschwörung dar. Negationsorte, durchgestrichene Tatorte. Nur noch Blasen, surfaces irgendwelcher Dienstleister des Optischen. Und am Ende bleibt das Unternehmeranwesen, in dem man nur noch einzig Bücher nach Farben sortieren kann, Tee trinkt und mit Geistern tanzt.

Die Frage, die immer wieder zu stellen ist, ist eine alte, machtpolitische: Wie bringt man Menschen dazu, ihre Unternehmen, ihre öffentlichen Güter herzuschenken beziehungsweise sich völlig in die Hände von Schaumschlägern und Gaunern zu begeben, und das im großen Stil?

Es ist immerhin die feindliche Übernahme eines ganzen Landes, einer ganzen Öffentlichkeit, einer ganzen gesellschaftlichen Situation, um die es hier geht. Ist alleine die verzweifelte Hoffnung an eine wirtschaftliche Teilhabe ausreichend? Stecken noch andere Träume drinnen?

Diese hier sehen allzu blass aus, sie sind zweidimensional, supereffektiv und bestehen aus dem Gespinst des amerikanischen Spirits – das hauptsächlich die größte Lüge verkünden kann: „I am totally with you!“ Vielleicht sind es auch keine Träume, die da verkauft werden, sondern es handelt sich um einen Schuldenübernahmedeal, wie man ihn ja oft genug vorgeführt bekam. Es sind Angstschulden, die zu handlichen Paketen geschnürt werden, die allerdings die Eigenschaften haben, sich beim Auspacken unglaublich zu extrahieren. Das Kaninchen vor der Schlange wird irgendwann zum Teil der Schlange, das ist klar.

Aber vielleicht ist auch alles ganz anders, vielleicht handelt es sich doch um eine Geschichte einer geniale Fälscherbande, der einzig noch möglichen Helden unserer Zeit, die uns vorführen wollen. Schließlich häufen sich die Fälschungen, beauftragt oder selbst durchgeführt, an die umso mehr vom Publikum festgehalten wird, selbst wenn sie offensichtlich sind, weil es im Grunde auch gar nicht mehr um die Sachen selbst, ob Künstlerbilder oder Unternehmen, geht, sondern um das reine Spektakel der Glaubwürdigkeit. „Ei, solches Volk muss untergehen!“ lautet die Schlusszeile des Liedes auf der Höhe ihres Erfolgs.

Ja, vielleicht sind es Revoluzzer, die uns konfrontieren und einzig daran scheitern, dass es eben keinen Skandal gibt, keine Bestrafung. Die selbst an der Konsequenzlosigkeit ihres Tuns am meisten leiden und es nicht fassen können, dass sie nach der Hausdurchsuchung nicht befragt werden. „An einem leeren Raum ist wirklich nichts auszusetzen“, ist der Kommentar des Untersuchungsleiters, der Staatsanwalt will nicht klagen, weil er seinen Beruf ernst nehme, und der Anwalt möchte auch noch auf das Ende des Kasperltheaters hinaus: „Euch gibt's ja gar net.“ Wer führt hier wen vor?

Vielleicht sind es aber doch nicht unbedingt kriminelle Energien, die den Film zusammenhalten, sondern wir wohnen mehr einem religiöser Vorgang bei. Eine sakrale Übung, weniger von Samurai-Kriegern vollzogen, sondern mehr von neoapostolischen, in Pfingstzungen predigenden Eintagesgeistern, vier Wesen in gut angerührter amerikanisch-österreichischer Mischung, als Fälscher unseres Verhältnis zur Welt. Oder sind es Hohepriester einer Religion, voller Markthysterie in einer sich auflösenden Gesellschaft. Priester, die längst schon angekommen sind in ihrer Zweidimensionalität, die wir noch erreichen müssen, und die ihr Squash gegen die Fenster mit dem berühmten Stadtpanorama spielen, Tennisbälle in die Fresse der Öffentlichkeit knallen, als präzise Meditation.

Einzig wenn diese misslingt, etwa in einer der Einübungsszenen des Hauptgespenstes Niklas, öffnet sich ein Spalt. Auch diese Gestalten müssen noch lernen, das hätte man nicht gedacht. Das ist der einzige Moment der Hoffnung – diese Lernprozesse müssen unterbrochen werden, ruft man leichthin, sonst fährt der Karren an die Wand.

Das sagt sich leicht, von Österreich aus gesehen, von Griechenland aus sieht die Sache schon ganz anders aus. Was bei uns noch als Einübung ins Spektakel sich erzählen lässt, als Inszenierung eines falschen Todes, ist dort das gestrige Spektakel der anderen und das reale eigene Elend. Insofern: Wollen wir diesen Film beschreiben? Wollen wir das? Nein, aber sicher nicht. Also: Voran, voran! ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.03.2016)

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