Farce, sibirisch

„Tannhäuser“ in Novosibirsk oder: Wie man heutzutage mit Richard Wagner auf eine schwarze Liste kommt. Nachrichten vom Vorschreiten der nationalrussischen Kulturrevolution – und was von ihr in Wien zu erfahren ist.

Will man über die aktuelle russische Kulturpolitik reden, kommt man an der Farce, die sich vor mehr als einem Jahr an der Oper von Novosibirsk zugetragen hat, nicht vorbei. Marina Davydova, die heuer das Theaterprogramm der Wiener Festwochen verantwortet, spricht von einer „Idiotie und einem völligen Debakel“. Die undurchsichtige Affäre rund um eine angeblich blasphemische „Tannhäuser“-Inszenierung hat nicht nur einem der fähigsten russischen Opernmanager, Boris Mesdritsch, den Job gekostet, sie hat auf eigenartige Weise auch Einfluss auf zwei der interessantesten Produktionen, die heuer bei den Wiener Festwochen zu sehen sein werden.

Novosibirsk ist eine Millionenstadt mit einem gut dotierten Opernhaus. Offenbar – aber das ist nur eine der möglichen Lesarten – war Direktor Mesdritsch ins Visier einer kriminellen Struktur geraten, die die örtliche orthodoxe Kirche so weit instrumentalisieren konnte, um gegen den Direktor mit dem Vorwurf der Gotteslästerung vorzugehen. Der Kasus hat die russische Regierung und die russische Öffentlichkeit längere Zeit intensiv beschäftigt. Marina Davydova hat die Umtriebe aus nächster Nähe beobachtet: „Das Neue daran war, dass kriminelle Strukturen die Kirche benützen konnten, um ihre Interessen durchzusetzen. Das war eine konservative Revolution.“

Für den geschassten Direktor ist die Geschichte schlecht ausgegangen, Mesdritsch steht auf einer schwarzen Liste und wird in Russland so schnell keine neue Stelle finden. Der junge und außergewöhnlich talentierte Regisseur der „Tannhäuser“-Inszenierung, Timofei Kuljabin, hat glücklicherweise keinen Karriereeinbruch erlitten. Er inszeniert am Moskauer Bolschoitheater Donizettis „Don Pasquale“ und wird in Wien bei den Festwochen seine durchaus originelle Produktion von Tschechows „Drei Schwestern“ zeigen. Doch davon später.

Die Affäre ist auch insofern bemerkenswert, als sie etwas von der taktischen Vorgangsweise dieser „konservativen Revolution“ verrät. Sie ist oberflächlich betrachtet grotesk, weil doch ohne jede Arroganz behauptet werden kann, dass das Werk Richard Wagners im Allgemeinen, die Oper „Tannhäuser“ und der Minnesang im Besonderen nicht zu den gängigen Themen der russischen Öffentlichkeit gehören. Die Fachwelt war sich auch einig, dass Kuljabin mit der Inszenierung eine der interessantesten Regiearbeiten der Saison abgeliefert hatte – und alle, die diese inzwischen abgesetzte Inszenierung gesehen haben, bestätigen, dass keinerlei antireligiöse Umtriebe auf der Bühne zu bemerken waren.

Beobachtet man diese Kabale der russischen Kulturpolitik, an der sich alles, was Rang und Namen hat, eifrig beteiligte, fallen aber doch Bruchlinien auf. Da ist einmal Kulturminister Wladimir Medinski, der sich in einer Kommission mit dem schönen Namen „Zur Verhinderung der Fälschung der Geschichte zum Schaden der Interessen Russlands“ seine politischen Sporen verdient hat. Formal ist Medinski Ministerpräsident Medwedjew unterstellt, aber Medwedjew hat in dieser Angelegenheit deutlich hörbar geschwiegen.

Die Fäden bis in den Kreml dürften, wie so oft in kulturpolitischen Fragen, auch diesmal über den Filmregisseur Nikita Michalkow gelaufen sein, der hinter der Maske des jovialen Grandseigneurs einem geradezu archaischen Russlandbild anhängt, das man sich gar nicht düster genug ausmalen kann. Aus dieser ultrareaktionären Ecke weht der Wind, und das kulturelle Moskau rüstet sich für den Moment, wo das, was in Novosibirsk seinen Probelauf gehalten hat, nun auch in der Hauptstadt exekutiert werden soll. Man ist gewarnt.

Denn natürlich fällt auf, dass sich die beiden besten Regisseure der jüngeren Generation, Kyrill Serebrennikow und Konstantin Bogomolow, auf Moskaus Bühnen, also unmittelbar vor den Toren des Kreml, ganz andere Freiheiten herausnehmen. Marina Davydova über die paradoxe Lage: „Plötzlich beschäftigen sich 140 Millionen Russen und Russinnen mit ,Tannhäuser‘. Das ist doch absurd. Und in der unmittelbaren Nähe der Staatsmacht wird Oscar Wildes ,Idealer Gatte‘ von Bogomolow gezeigt oder seine ,Brüder Karamasow‘, die, was das antiklerikale Pathos anlangen, tatsächlich provokant sind.“ Bogomolows Inszenierung von Oscar Wildes „Ein idealer Gatte. Komödie“ wird im Rahmen der Wiener Festwochen gezeigt. Man wird sich also ein Bild machen können und eine Idee bekommen, was heute auf Moskaus Bühnen so alles möglich ist.

Marina Davydova über die liebsten Feindbilder der konservativen Kulturpolitik: „Die beiden, Serebrennikow und Bogomolow, sind die hervorstechendsten und wichtigsten Figuren des zeitgenössischen russischen Theaters. Die konservative Kritik nennt sie auch immer in einem Atemzug. Beiden ist der Hang zur großen Form eigen. Sie brauchen die große Bühne, sie brauchen viele Darsteller, und sie suchen den theatralischen Effekt.“

Der Mann mit der Botschaft

Wobei Marina Davydova den Unterschied zwischen den beiden so formuliert: „Serebrennikow“ – er war im vergangenen Jahr mit seiner Gogol-Adaption der „Toten Seelen“ in Wien präsent – „ist immer der Regisseur mit einer Message, der Mann mit der Botschaft. Jede seiner Inszenierungen ist ein klares Statement. Bogomolow ist vielschichtiger. Auch bei ihm sieht es oberflächlich so aus, als setze er ein Statement, aber darauf würde ich mich nicht verlassen. Wenn sich die Zuschauer bei Bogomolow zu sicher wähnen, schlägt er Volten, das sorgt für Irritationen.“

Das Fortschreiten der national-russischen Kulturrevolution geht also nicht so rasch, wie es sich ihre Proponenten vielleicht wünschen würden. Nicht nur können Serebrennikow und Bogomolow allen Anfeindungen zum Trotz weiterarbeiten. Auch der Regisseur des „Tannhäuser“, Timofei Kuljabin, war in der Zwischenzeit nicht untätig. Er hat sich, ganz konträr zum Thema Richard Wagner, eines Herzstückes der russischen Theaterliteratur angenommen und Tschechows „Drei Schwestern“ Neues abgewonnen.

Marina Davydova: „Ich kann nur hoffen, dass das Publikum den Code annimmt. Für Russland ist es ein sehr wichtiges Stück. Jeder kennt jede Phrase auswendig. Man kann das gar nicht mehr hören. Deswegen wird Kuljabin auf den gesprochenen Text verzichten. Die Schauspieler werden sich mit Gebärden unterhalten, und der Text läuft mit. Sie bekommen also den ganzen Tschechow, sogar mit den Regieanweisungen!“ ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.03.2016)

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