Das Kreuz mit der Geschichte

Eichenbäume, ein „Friedenskreuz“ in der Wachau und der Zweite Weltkrieg am Balkan: über Heldendenkmäler – und andere Strategien der Erinnerung.

Die Zwetschken fallen ins Gestrüpp – und das seit dem Sommer 1943. Es ist keiner da, die Früchte zu ernten, wer sollte das verwachsene Dickicht, das sich in den Jahrzehnten gebildet hat, durchdringen? Wer vermutet in einem Buchen- und Eichenwald einen Obstbaum? Wo der Baum stand, war einst ein Garten, und von hier eröffnete sich ein paradiesischer Blick auf die slawonische Hochebene. Eine Idylle, wenn es nach dem Augenschein geht, wenn es gelingt, die Geschichte auszublenden. Slawonien ist der östliche Landesteil Kroatiens und liegt zwischen den Flüssen Save und Drau, im Osten an der Donau.

Das Böse und Schreckliche auszublenden ist ein bewusster Vorgang. Nichtwissen führt jedoch zum selben Ergebnis. Österreicher waren im Zweiten Weltkrieg hier stationiert und haben hier wie am restlichen Balkan als Teil der deutschen Wehrmacht gekämpft. Vielleicht sind wir die ersten Österreicher, die in diese mörderischen Idylle nach Nježić kommen, die ersten nach der Zerstörung am 22. Juni 1943. An dieser sogenannten Sühnemaßnahme waren Einheiten der 187. Reservedivision, darunter auch die Kampfgruppe Jockisch, beteiligt – unter ihnen Deutsche und Österreicher, einige davon kamen aus der Wachau. Die, die vor uns hierhergekommen waren, hatten das Dorf zerstört, vollkommen, die Häuser niedergebrannt und unbewohnbar gemacht. Nježić ist nur eine Station unserer Spurensuche nach der 187. Reservedivision.

Es ist nicht einfach, nach Nježić zu kommen, heute wie damals. Wir kommen von Požega. Im 19. Jahrhundert hatte die Stadt aufgrund der vielen künstlerischen und sozialen Vereine, die hier gegründet wurden, den Beinamen „slawonisches Athen“. Von der Straße führt eine Sandpiste in das, was einmal ein kleines Dorf mit rund zwölf Häusern war, mitten in den Wäldern, der letzte Ort für einige Kilometer. Ein guter Ort für Partisanen, das wusste auch die deutsche Besatzungsmacht in Kroatien.

Nach langsamer Fahrt, Schlaglöchern undgroßen Steinen ausweichend, kommen wir auf ein freies Feld. Hier wachsen die Zwetschkenbäume der Nachkriegszeit. Überall sonst wäre die Klassifizierung Nachkriegszeit eindeutig, doch hier in Kroatien wächst Gras über die Ruinen eines Krieges, während die Einschusslöcher des jüngsten, des Jugoslawienkrieges, wie offene Wunden an vielen Häusern bis heute zu sehen sind. Wenn wir durch die kleinen Ortschaften fahren und die Menschen neben der Straße nach Ereignissen und Relikten fragen, die mit den Kriegshandlungen der 1940er-Jahre zu tun haben, fragen sie meistens, welchen Krieg wir meinen.


Ein paradiesischer Blick eröffnet sich dem Wanderer, der aus dem Buchen- und Eichenwald oberhalb von Rührsdorf auf das mit Felsen durchsetzte Plateau tritt, einem der schönsten Ausblicke in der Wachau, am anderen Ufer der Donau grüßt Weißenkirchen. Wer sich über diesen Blick freut, hat ein Kreuz im Rücken, ein „Friedenskreuz“. „Zum Gedenken für die gefallenen Helden der Kampfgruppe Jockisch“ ist auf einer Marmortafel neben dem hoch aufragenden hölzernen Kreuz zu lesen. Wehrmachtshelme und ein verwitterter Lorbeerkranz vervollständigen das Ensemble. Sieht so der Frieden aus? Auf einem improvisierten Blatt wird der Hintergrund für die Errichtung des Kreuzes geschildert, wird das Gedenken an die Kampfgruppe Jockisch erläutert, die zur „Bandenbekämpfung“ in Kroatien eingesetzt war, wie es heißt. Die malerische Landschaft in der Wachau bietet manche Überraschung und zeigt auch, dass sich hinter einem vermeintlichen Frieden Kriegsverbrechen verbergen können. Das sogenannte Friedenskreuz in Rührsdorf zeigt auch, wie wenig die Nürnberger Nachfolgeprozesse ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gedrungen sind. Der Heldenbegriff, der auf zahlreichen österreichischen Kriegerdenkmälern zu finden ist, wird relativ. Immerhin war der Kommandant des LXIX. Reserve-Armeekorps in Kroatien, Ernst Dehner, einer der Angeklagten im Prozess Nummer sieben in Nürnberg gegen die „Generäle Südost“. Dehner wurde zu sieben Jahren Haftet verurteilt, von denen er jedoch nur drei im Gefängnis verbrachte. Der Einheit, der ein „Friedenskreuz“ gesetzt wurde, war Ernst Dehner unterstellt. Lange Jahre stand in der Wachau also unbehelligt und unkommentiert ein Erinnerungszeichen für Kriegsverbrechen.

Im Jahr 2014 wollten manche Bewohner der Wachau, Michael Schimek vom Arbeitskreis Wachau und der Bürgermeister von Rossatz und Rührsdorf, Erich Polz, dieses Kreuz der Geschichte nicht mehr tragen. Was soll jedoch mit einem in Metall gegossenen Geschichtsbild passieren? Dass die Tilgung nicht das Problem lösen kann, war klar. Nach einem Wettbewerb, ausgeschrieben von der Abteilung Kunst im öffentlichen Raum, entschied sich die Jury für den Entwurf von Martin Krenn. Das „Friedenskreuz“ bleibt in seiner jetzigen Form unverändert, wird jedoch durch eine Arbeit des Künstlers John Heartfield kommentiert. In Absprache mit den Erben kann Heartfields karikaturistische Fotomontage „Deutsche Eicheln“, auf Metallgitter gedruckt, vor dem Kreuz angebracht werden. Der künstlerische Eingriff Krenns stellt den Bezug zur Geschichte her und macht die gesamte Anlage zum „Mahnmal Friedenskreuz St. Lorenz“.


Es gibt unterschiedliche Strategien der Erinnerung. Eine davon ist die Zerstörung und Auslöschung. Davon konnten wir uns bei unserer Spurensuche in Kroatien überzeugen. Die Kriege der 1990er-Jahre haben auch vor den Erinnerungszeichen des Zweiten Weltkriegs nicht haltgemacht. Nahezu alle Partisanendenkmäler, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden waren, lagen in Trümmern – zerstört nach der Auflösung Jugoslawiens. Die Zerstörung der Erinnerung kommt deren Negierung gleich und ist damit keine wirkliche Option für eine demokratische Gesellschaft.

Die Beseitigung von Erinnerungszeichen verhindert den Dialog mit Geschichte. Eine Politik der Tabula rasa würde nicht nur problematische Denkmäler beseitigen, sondern auch die Möglichkeit eines produktiven Dialogs mit der Geschichte verhindern. Martin Krenns Arbeit erfordert die Auseinandersetzung mit Geschichte. Beinahe provokant wirddie Fotomontage Heartfields als Folie vor das Kreuz gesetzt. Je nach Wetter und Lichtsituation ist einmal das Bild vor dem Kreuz, dann wieder das Kreuz selbst besser zu sehen. Eichenlaub und Eicheln, aber auch die Stahlhelme, die auf der Fotomontage Heartfields zu erkennen sind, zitieren die Symbole auf der ursprünglichen Anlage.

Zusätzlich hat sich Krenn mit Schülern der Maturaklassen der Höheren Bundeslehranstalt für Mode und wirtschaftliche Berufe Krems in einem intensiven Workshop mit der Thematik beschäftigt. Die Schüler haben in ihren Heimatgemeinden nach Kriegerdenkmälern gesucht, diese erforscht und analysiert. Das Ergebnis dieser intensiven Arbeit sind Collagen, die als Teil des Mahnmals im Umkreis der Anlage installiert wurden.


Parallel zur künstlerischen Bearbeitungwurde auch ein kleiner Forschungsauftrag ausgeschrieben. Wir wurden beauftragt historische Fakten zur Kampfgruppe Jockisch zur Verfügung zu stellen. Kein leichtes Unterfangen, die Beteiligung von Österreichern im Zweiten Weltkrieg ist bis heute nicht erfasst, Studien über die Aktivitäten am Balkan sind eine Seltenheit, sieht man von militärhistorischen Rechtfertigungs- und Jubelschriften ab. Mit Unterstützung des Historikers Sebastian Remus gelang es, rund 2000 Seiten im militärgeschichtlichen Archiv in Freiburg zu finden und auszuwerten.

Die 187. Reservedivision war vorgesehen für die Ausbildung von Rekruten und übernahm die Aufgaben einer Besatzungsmacht im Raum von Slawonien. Sie war aber auch in verschiedene Kampfaktionen eingebunden, etwa in den Versuch, Tuzla zurückzuerobern. Die Aufgaben als Besatzungsmacht waren keineswegs rein administrativer Natur. Dazu gehörte die Aushebung von Geiseln für „Sühnemaßnahmen“, das Erschießen oder Hängen von Geiseln, die Vernichtung von Dörfern, die Sicherung von Bahnstrecken, Gebäuden und Dörfern. Allein ein Blick auf die Partisanentätigkeit im August und September 1943 zeigt, was sich in dem Gebiet, für das die 187. Reservedivision zuständig war, abgespielt hat. Fast kein Tag ohne einen Vorfall. Wie mag es den Rekruten, die zu 80 Prozent gerade 20 Jahre alt waren, mit dieser Unsicherheit gegangen sein, nicht zu wissen, wann der Feind wo und wie zuschlagen wird?


In Kutina verlassen wir die Autobahn. Unsere Reise ist ein Wagnis, wir suchen, um zu sehen. In Kutina bekommen wir einen Geschmack von der gespaltenen Geschichte. Auf dem Kirchhof ein erst 1993 errichtetes Kreuz für die Domobranzen, Mitglieder der slowenischen Heimwehr, die nach der Kapitulation Italiens mit den beschlagnahmten Waffen als antikommunistische Einheit auf Seite der deutschen Besatzer gegen die Partisanen kämpften. Dieser Geschichte wird gedacht, das Denkmal auf dem Friedhof für die Partisanen wirkt verwaist.

Am Beginn dieser Reise kennen wir die immunisierende Wirkung der Friedhöfe noch nicht: Wenn Denkmäler für Partisanen die Wendungen der Geschichte überstanden haben, dann höchstens auf Friedhöfen. In den folgenden zwei Tagen werden wir auf Dutzende zerstörte Denkmäler stoßen, manchmal scheint es, als seien die Gedenksteine mit einem Hammer in lauter kleine Puzzlesteine gehämmert worden. Die Zerstörung und das Tilgen von Denkmälern sind eine Möglichkeit, um zu zeigen, dass sich das Bild auf die Geschichte geändert hat. Die Denkmäler, die wir dokumentieren, wurden zwar zerstört, aber meistens an ihrenAufstellungsorten belassen. Manche wurden sogar in eine neue „Form“ gebracht. Mit diesen historischen Puzzlesteinen wird quasi eine neue Geschichte erzählt.

Die vorletzte Station unserer Spurensuche ist Nježić. Sandstraßen, kilometerweit kein Anzeichen einer Besiedlung. Als wir die Hoffnung fast aufgegeben haben, sehen wir plötzlich eine Hausmauer zwischen den Bäumen hervorragen. Zum Glück hat jemand an die Wand den Namen der Siedlung geritzt: Nježić. Und wo ist hier ein Ort? Wir gehen links am zerstörten Haus vorbei und finden im Gebüsch die Ruinen von weiteren Häusern, verwachsen die Steine und die Holzbalken mit Moos überzogen. Darunter die Brandspuren der deutschen Flammenwerfer. Zwei, drei neue Häuser stehen hier, die Rollläden sind heruntergelassen, die Ruinen hat man sich selbst und dem Wald überlassen. Ein gespenstischer Anblick. Heute gibt es kein Nježić mehr, aber einige Bewohner haben sich damit offenbar nicht abfinden wollen und hier gebaut.

Bei der Rückfahrt zur Autobahn kommen wir noch durch den Ort Lipik. Hier wurden bei einer „Säuberung“ im Mai 1944 zwölfKommunisten erschossen und vier Gewehre sichergestellt. Kein Ort ist ein weißer Fleck auf der Landkarte des Mordens. ■

Friedenskreuz: Das Mahnmal

Am 3. April, 14.30 Uhr, wird Martin Krenns Mahnmal Friedenskreuz St. Lorenz offiziell seiner Bestimmung übergeben. Erreichbar über den Welterbesteig Wachau von St. Lorenz aus. Neben Martin Krenn, Gregor Kremser und Robert Streibel sprechen unter anderem der Bürgermeister der Gemeinde Rossatz-Arndorf, Erich Polz, sowie John J. Heartfield, Enkel des Künstlers John Heartfield.

Am 6. Juni wird die dazugehörige Buchpublikation, „Das Kreuz mit der Geschichte“, verantwortet von Gregor Kremser und Robert Streibel, im Schloss Rossatz präsentiert. Beginn 20 Uhr.

Weitere Informationen unter www.publicart.at.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.04.2016)

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