Einen Vogel zeigen

Warum ist unsere Sprache von Vögeln durchsetzt? Und warum wird das Belauschen von Vögeln, das „Birdwatching“, immer populärer? Eine Vogelperspektive.

Einen Vogel zeigen“ hat im Laufe derGeschichte drei verschiedene Deutungen erfahren. Wörtlich nimmt es der „Birdwatcher“ unserer Zeit, der seine Gefolgschaft von Vogelliebhabern am glücklichen Anblick eines seltenen Gefiederten in der Natur teilhaben lässt. Symbolhaft galt der Spruch zur Zeit der Minnesänger, als der Ritter die Angebetete in seine Liebeslaube zu locken bemüht war, wo sich auch sein zur Beizjagd abgerichteter Falke befand, wie auf mittelalterlichen Miniaturen ersichtlich: „Komm in meine Bude, ich zeig dir meinen Vogel.“ Aus dem später inder derben Volkssprache der Hinweis, „vögeln“ zu wollen, wurde. In meiner Studentenzeit bedienten wir uns mit dem gleichen Ziel anderer Symbole: „Ich zeig dir meine Briefmarkensammlung.“ Die nicht selten abschlägige Antwort junger Damen lautete: „Duhast wohl einen Vogel!“

Und damit kommt die dritte Deutung zutage, es geht dabei um die Symbolik von „Tick“ oder „bekloppt“. Für „kloppen“ wäre allerdings der Specht zuständig, aber dieser steht wiederum im Wienerischen für „spechteln“, das heißt für den Voyeur sexueller Ereignisse. Der aus dem oder in das Flugloch seiner Baumhöhle blickende Spechtvogel weckt Assoziationen mit einem Neugierigen, der durch ein Schlüsselloch zu lugen sich genötigt fühlt. Ein „schräger Vogel“ also oder, brav bürgerlich moralisierend, ein „Dreckspatz“, „Dreckfink“. Weil Haussperling und Buchfink gerne die unverdauten Haferkörner aus Rossknödeln picken, wobei hier Sex von prüden Gemütern mit Dreck gleichgesetzt wird.

Vogelsymbolik im reichen Ausmaß also, von Pleitegeier bis Lercherlschas, wobei Letzteres, der Darmwind des kleinen Sängers, im Wienerischen für das absolut Minimale, das lächerlich Bedeutungslose steht. Die Ornithologie in der Umgangssprache macht somit dienicht unwesentliche Rolle von Gefiederten in unserem Dasein deutlich.

Verstärkung erfuhr das Mensch-Vogel-Verhältnis neuzeitlich, wie bereits angedeutet, durch das „Birdwatching“ breiter Bevölkerungskreise. Deshalb so genannt, weil uns dieses Hobby aus Großbritannien erreicht hat, wo sogar eine Vogelart, der Baumfalke nämlich, den Namen „Hobby“ trägt. Eine wunderbare, manchmal unfreiwillig komische, wissenschaftlich aber auf jeden Fall ernst zu nehmende Leidenschaft begeisterungsfähiger Mitbürger unserer Zeit! Sie sind die Kontrasttypen jener Zeitgenossen, die sichbeim „Joggen“ gegen jedes Naturerlebnis, das ihre Sinneswahrnehmung störend reizen könnte, in eine Schutzhülle verpacken: den Leib in enges Latex gepresst, die Augen mit Spiegelbrillen verblendet, das Gehör durch Ohrstöpseln mit Discomusik-Berieselung vor der Tonkulisse des Waldes abgeschirmt. So hecheln sie durch die Natur, den Vogelgesangnicht hören wollend, die Blumen in den richtigen Farben nicht sehen könnend und ihre schweißtriefende Haut vor der milden Waldesluft fest isolierend. Eingekapselt in optische, haptische und akustische Scheuklappen, ist für einen solchen „Waldläufer“ das Laufen wie im Hamsterrad und der Wald eineganz und gar entbehrliche Kulisse.

Die diesem konträre Lebensform ist der „Birdwatcher“, der seine Sinne in der Natur ständig von Neuem schärft, beim Pirschen sparsam in der Bewegung ist, anstatt „sportlich“ monoman vor sich dahinzustapfen, und mit seinem Fernglas stets voller Neugier (Gier nach Neuem) die Avifauna observiert. Aus solchen Typen sind die Größten unserer Zunft entstanden: Charles Darwin etwa oder die beiden Nobelpreisträger Niko Tinbergen und Konrad Lorenz, aber auch schon ganz am Anfang der naturwissenschaftlichen Welt-„Anschauung“ ein Kaiser Friedrich II. von Hohenstaufen, der wohl genialste Vogelforscher seiner Zeit. Geradezu hellseherisch hat der Staufer als Erster den Vogelzug richtig gedeutet. Rund 600 Jahre später ging Darwin beim „Birdwatching“ von Galapagosfinken das entscheidende Licht auf, was Evolution betrifft: eine kopernikanische Wende auch für die Selbsterkenntnis des Menschen! Für Tinbergen waren es an erster Stelle Lachmöwen, für Lorenz waren es Dohlen und Graugänse, die ihnen zur Gründung der Verhaltensforschung verholfen haben: ein Paradigmenwechsel auch für die Humanpsychologie! Und sie alle waren insofern Amateure, als diesem Begriff das lateinische Verb „amare“ zugrunde liegt, was „lieben“ oder „gern tun“ bedeutet.

Diese Naturforscher von Rang waren leidenschaftliche Vogelbeobachter, und mit ihnen zusammen ist es dem weltweit wachsenden Heer von „Birdwatchern“ mit ihrem ständig neuen Erkenntnisgewinn zu verdanken, dass die Ornithologie heute an der Spitze der biologischen Wissenschaften steht. Weil bei dieser Art der Feldforschung es nicht nur um Ergebnisse geht, sondern auch und vor allem um Erlebnisse. Triebfeder des Rationalen, ist hier das Emotionale einer Trägerrakete gleich, die den Raketenkopf der Erkenntnisse in das Universum unseres Daseins transportiert. Dazu aber bedarf es ästhetischer Auslöser wie des prächtigen Anblicks unserer gefiederten Mitgeschöpfe etwa. Nicht zufällig wurde in der Antike die Ornithologie als „Scientia amabilis“ bezeichnet, die liebenswürdige Wissenschaft. Ich persönlichhatte das unverschämte Glück, als besessenerAmateur der Vogelkunde seit Kindesbeinen mit Fernglas unterwegs die wunderbarsten Erlebnisse meines Daseins beim „Birdwatchen“ zu haben, und ich wünsche Gleiches meinen Lesern aus vollem Herzen. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.04.2016)

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