Von der Angst, ausgelacht zu werden

Als erste Frau studierte sie Regie am Reinhardt-Seminar. Und dann waren da noch jene Düsseldorfer Intendantinnen-Tage, da sie das Gefühl hatte: „Ich habe nur deshalb Probleme, weil ich eine Frau bin.“ Volkstheaterdirektorin Anna Badora im Gespräch.

Neun Jahre lang war Anna Badora als Intendantin am Grazer Schauspielhaus förmlich überhäuft mit Anerkennung. Da hat sie der „Abenteuernerv“ gezwickt. Sie hatihren bis 2017 laufenden Vertrag vorzeitig gekündigt, um die künstlerische Leitung des Wiener Volkstheaters zu übernehmen. Das Haus war ihr nicht fremd. Als Studentin hatte sie hier die Ära von Gustav Manker miterlebt. In den 1990er-Jahren hatte sie auf Einladung ihrer Vorgängerin Emmy Werner Erfolge als Regisseurin gefeiert. Seit ihrem Amtsantritt geht Badora in jeder Hinsicht aufs Ganze. Sie findet damit naturgemäß nicht allgemeine Zustimmung. Vom Umbau des Zuschauerraums bis zum Revirement im Ensemble waren ihre Maßnahmen stets umstritten. Sie hat einen intelligenten Spielplan mit riskanten Projekten vorgelegt, will den symbolischen roten Stern auf dem Dach durch ein gesellschaftspolitisch zugespitztes Programm ersetzen. Doch die künstlerische Bilanz ist bis jetzt eher durchwachsen, und der Gegenwind ist rau geworden.

Wie beurteilt sie selbst die Situation? „Fragen Sie mich am Ende der Spielzeit nochmals. Wenn das Gefühl da ist, dass es vorwärtsgeht, schafft man alles. Wenn ich merke, dass das Team zusammenwächst, kriege ich unglaubliche Motivationsschübe.“

Dass Theater nur als Teamarbeit funktioniert, ist für Anna Badora, geboren 1951 im polnischen Wallfahrtsort Tschenstochau, kein leeres Schlagwort. Der Individualismus, dem man hierzulande huldigt, ist ihr grundsätzlich fremd, denn sowohl der kommunistische Staat als auch die katholische Kirche haben ihr vor allem eines vermittelt: „Als Individuum bedeutest du gar nichts. Es zählt das, was du für den anderen tust.“ Und während ihrer Schauspielausbildung in Krakau blieben egozentrisches Gehabe und psychologische Grübeleien draußen: „Wir wurden danach beurteilt, wie gut der Partner in der betreffenden Szene war.“

In ihrer Jugend war Badora als Leichtathletin erfolgreich, „aber der Leistungssport hat mich als Lebensziel nie gereizt“. So träumte sie davon, Astronautin, Chirurgin oder Mikrobiologin zu werden. Alles schien möglich – nur eine Laufbahn am Theater nicht. Sie wollte nämlich keinesfalls Schauspielerin sein. „Ich war nicht besonders hübsch und hatte Angst, ausgelacht zu werden.“ Einen anderen Weg schien es nicht zu geben, denn „ein Regiestudium konnte man nur als Zweitstudium absolvieren“.

Doch dann hatte sie ihr Erweckungserlebnis. „Mein Lieblingscousin brauchte Geld für seinen Scooter. Ich wollte ihm helfen und erfuhr von einem sehr gut dotierten Rezitationswettbewerb.“ Unter professioneller Anleitung studierte sie ein Programm ein. „Als ich beim Vortrag dann gespürt habe, welche Resonanz ich damit auslöse, hat es mich gepackt.“ Sie bewarb sich für einen der wenigen Ausbildungsplätze an der Staatlichen Hochschule für darstellende Kunst in Krakau und wurde aufgenommen.

Feindbild Deutschtum

Ihre Meinung zum Schauspielerberuf hat sie deswegen nicht revidiert. „Ich wollte an Konzepten arbeiten, einen Blick auf die Welt weitergeben.“ Nach zwei Jahren zog es sie in den Westen. Sie besuchte einen Straßentheaterworkshop in Amsterdam, sie ging nach Deutschland, erschrak vor der fremden Sprache, die sie bislang nur in Nazi-Filmen gehört hatte. „Das Deutschtum war ein abstraktes Feindbild für mich.“

1976 kam sie nach Wien. Die Atmosphäre, die sie an Krakau erinnerte, behagte ihr; außerdem brauchte sie hier für einen einjährigen Aufenthalt kein Visum. „Ich wollte ja nur ein Jahr bleiben und dann nach Polen zurückgehen, aber ich habe rasch gemerkt, wie naiv das war.“ Sie verdiente ihren Unterhalt, indem sie in einem Möbelhaus Staub wischte und bei der Firma Niemetz um sechs Uhr früh am Fließband Schwedenbomben einsortierte. Eine Komparsin am Volkstheater gab ihr Deutschunterricht. „Ich konnte besser schreiben als reden.“

Sie bekam eine Stelle als Regieassistentin in St. Pölten, wo sich die Bühnenarbeiter in ihrem Dialekt über sie lustig machten. „Ich hatte am Anfang von nichts eine Ahnung und war für alles zuständig. Es war eine harte, aber gute Schule.“ Als sie dem Intendanten gestand, dass sie am Reinhardt-Seminar Regie studieren wollte, lachte er sie aus. „Ich musste kündigen, obwohl ich noch gar nicht wusste, ob ich aufgenommen werde. Aber oft ist es gut, keine Wahl zu haben.“

Nach eineinhalb Jahren war sie endlich am Ziel ihrer Wünsche. Und als Susi Nicoletti ihr nahelegte, doch zuerst die Schauspielklasse zu besuchen, um die Sprache besser zu lernen, war sie zu keinem Kompromiss mehr bereit. „Ich war zu ungeduldig“, sagt sie und wirkt heute noch erstaunt, dass sie damals die einzige weibliche Bewerberin für das Regiestudium war. 1979 erhielt Anna Badora ihr Regiediplom, mit Auszeichnung. Und begab sich auf die freie Wildbahn, um die inzwischen ausgestorbene „Generation der Dinosaurier“ aus nächster Nähe zu studieren. Der polnische Theatertheoretiker Jan Kott, Dramaturg am Burgtheater, vermittelte sie als Hospitantin zu Giorgio Strehler: „Strehler war ein Zauberer. Er konnte unvorstellbar gut mit Licht umgehen.“ Der nächste „Dinosaurier“ war Peter Zadek, dem Badora zweieinhalb Jahre lang als Assistentin diente. „Die intensivste Zeit meines Lebens. Vier Stunden Schlaf, der Rest gehörte dem Theater.“ In dieser Konstellation begriff sie den unbedingten Anspruch künstlerischer Arbeit,der das Unmögliche nicht kennt.

Auch mit Klaus-Michael Grüber hat Badora gearbeitet, etwa bei seiner auf drei Personen reduzierten „Faust“-Inszenierung mit Bernhard Minetti 1982 in Berlin. „Das Gretchen war eine 17-jährige Laiendarstellerin, die ich auf der Straße entdeckt hatte. Ich habe Grüber sehr bewundert – ein sehr poetisches, von Sehnsucht und Einsamkeit gezeichnetes Theater.“ Inzwischen führte sie längst selbst Regie, hatte Engagements an renommierten Bühnen in Deutschland, wurde 1986 Hausregisseurin in Basel, wo ihr eine gefeierte Inszenierung von Tschechows „Möwe“ gelang, und erhielt die Einladung, ans Staatstheater Mainz zu wechseln. Gleich mit der ersten Premiere, Tschechows „Iwanow“, landete sie auf der Titelseite von „Theater heute“, und das ZDF rief „das Theaterwunder von Mainz“ aus. „Ich fühlte mich wie auf einer Insel“, erinnert sich Badora an eine der glücklichsten Phasen ihrer Karriere.

Ihr Wirken als Schauspieldirektorin in Mainz hatte ein überraschendes Angebot zur Folge: die Generalintendanz des Düsseldorfer Schauspielhauses. Gustaf Gründgens' Thron erwies sich allerdings als Schleudersitz, der selbst eine so unerschrockene Kämpferin an ihre Grenzen brachte. Von Kulturpolitikern und Presse wurde sie offen angefeindet und in ihrer Kompetenz infrage gestellt. Nach der Premiere von Einar Schleefs „Salome“-Inszenierung 1997 habe man sie „fast angespuckt“. „Es war superhart. Ich war die einzige weibliche Intendantin in einem Theater dieser Größenordnung, und ich hatte zum ersten Mal das Gefühl, ich habe nur deshalb Probleme, weil ich eine Frau bin.“

Sie hielt durch, von 1996 bis 2005. Unterstützung boten ihr in dieser Zeit zwei Frauennetzwerke. Ein professionelles, in dem die damalige Kultusministerin von Nordrhein-Westfalen weibliche Führungskräfte zum zwanglosen Austausch versammelte. „Das war wunderbar. Man konnte sich gegenseitig helfen, von der Rechtsberatung bis zur gelungenen Selbstinszenierung.“ Und ein privates, in dem die Kinderbetreuung gewährleistet war. Denn Anna Badora hatte schon 1989, in ihrer Zeit als freie Regisseurin, ihren Sohn Jan zur Welt gebracht. In Düsseldorf befand sie sich zusätzlich zu den beruflichen Turbulenzen in der Trennungsphase von dessen Vater. Eine schicksalhafte Zeit, die ihr andererseits die Begegnung mit der „Liebe ihres Lebens“ bescherte. Durch den Biophysiker Thomas Finkenstädt, mit dem sie in zweiter Ehe glücklich ist, hat auch Badoras frühes Interesse für Mikrobiologie ein Echo gefunden. Und weil er mittlerweile mit einem Internetunternehmen selbstständig ist, kann er stets an ihrer Seite sein.

„Kantinentratsch ertrage ich nicht“

Die Geburt ihres Sohnes hatte Badora klammheimlich organisiert, gewissermaßen als ihren persönlichen Coup de théâtre. Ihre Schwangerschaft konnte sie bis zum siebenten Monat unter Pullovern kaschieren. Die unvermeidliche berufliche Unterbrechung deklarierte sie offiziell als Urlaub. „Ich hatte den Ruf, eine Abenteurerin zu sein, also habe ich gesagt, ich bin auf einem Segeltörn in der Südsee. Nach der Entbindung bin ich ins Bräunungsstudio gegangen, nach zwei Wochen habe ich an den Münchner Kammerspielen wieder zu arbeiten begonnen. Es wäre damals absolut unprofessionell gewesen, als Mutter im Theater aufzutreten. Ich hätte keinen Vertrag mehr bekommen.“

Da haben sich die Zeiten wohl geändert. Und Badora findet es „toll, dass junge Kolleginnen heute ihr Baby einfach ins Theater mitbringen und zwischendurch ganz selbstverständlich die Brust auspacken“.

In diesem Sinne glaubt sie daran, dass sich auch in den Direktionsetagen ein anderer Geist etablieren kann. „Konkurrenz muss es im Theater immer geben, aber die soll sich auf die künstlerischen Ziele beschränken. Ich freue mich, dass drüben im Burgtheater Karin Bergmann sitzt. Wir haben uns schon im Vorfeld getroffen, wir sprechen miteinander, stimmen uns ab.“ Die Konkurrenz im Persönlichen hingegen, das „Denken in Feindbildern“, wirke wie schleichendes Gift. „Diese Art, hinterrücks zu schimpfen und zu intrigieren, auch im eigenen Haus, diesen Kantinentratsch – das ertrage ich nicht, dagegen trete ich vehement auf. In so einer Atmosphäre kann man künstlerisch gar nichts erreichen. In Düsseldorf und in Graz ist es mir gelungen, das abzuschaffen.“

Am Volkstheater, darüber macht sich Anna Badora keine Illusionen, bleibt hinter den Kulissen noch viel zu tun – menschlich; von der unumgänglichen Generalsanierung gar nicht zu reden. Von ihrem inhaltlichen Konzept, das sie erstellt hat, „ohne dabei auf die Burg und die Josefstadt zu schielen“, ist sie felsenfest überzeugt: „Das passt wie die Faust aufs Auge. Ich will den Künstlern Freiräume schaffen und das Haus zukunftsträchtig machen.“ ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.04.2016)

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