Von Macht und Tod und Leben

Allzu oft sehen Jäger in Erholungssuchenden ignorante Eindringlinge, denen die Bedürfnisse von Wild und Jagd egal sind. Was wohl häufig zutrifft und so bleiben wird, solange die Jäger ihr paternalistisches Gehabe nicht aufgeben. Für eine gesellschaftsfähige Jagd: ein Plädoyer.

Wildtiere gehören zwar niemandem, sind aber keineswegs sich selbst überlassen, wie streunende Hunde. Jäger kümmern sich um das Wild. Ihnen verdanken wir nicht nur das tote, sondern auch das lebende. Allen Ernstes. Denn für Jäger sind Wildtiere wortwörtlich lebenswichtig. Wenn das Wild ausstirbt, können sie nicht mehr jagen. Und sie jagen gerne und viel. Seit den 1950er Jahren hat sich die Anzahl der Jäger verdoppelt, doch die Zahl des pro Jäger erlegten Schalenwildes ist nicht gesunken, sondern um mehr als 50% gestiegen. Ein einziger alter Einserhirsch im Lauf des Jägerlebens? Unmöglich. An wessen Wand nur einer hängt, gehört nicht zum Establishment. Nachfrage schafft Angebot. Und so hat es sich die Jägerschaft zur Aufgabe gemacht „Gefahren und Nöte vom Wild abzuwenden“ und Jagdschutz, nomen est omen, verpflichtet zudem zur „Bejagung von Raubwild oder von Tieren, die dem Wild schädlich sein können.“

Als größter Schädling gelten… wir, die wir nichtjagend im Revier unterwegs sind. Jäger verstanden das bürgerliche Jagdrecht von Beginn an als all-exklusives Hoheitsrecht: Mein Revier ist meine Burg. Die ersten, die die Mauern stürmten, waren „die alpenbedürftigen Vereinsschärler“, die „massenhaft wie Heuschrecken über unsere Berge herfallen, in jeder Schlucht herumkrabbeln, jeden Kogel mit Lärm beunruhigen“. Und diese ersten Alpinisten forderten die Jäger sogar auf, ihrem Verein doch beizutreten. Welch ein Ansinnen! Klang „Alpenverein“ 1862, im Jahr seiner Gründung, für Jäger doch „beinahe so schön wie Tuberkulose“. Schade, damals hätten Jäger der Jagd und dem Wild wohl leicht einen Platz im Bewusstsein dieser berg- und naturbegeisterten Menschen sichern können.

113 Jahre später kam dann wirklich Sand ins Getriebe der gut geölten Jagdwirtschaft: Das Forstgesetz von 1975 definierte erstmals den Wald auch als Wohlfahrts- und Erholungsort und gestand der Bevölkerung zu, ihn mit Einschränkungen als solchen zu nutzen. Das war eine tiefgreifende Veränderung der jagdlichen Rahmenbedingungen, aber die Jagdpolitik wollte auch diesmal die neuen Akteure im Lebensraum des Wildes nicht in die Verantwortung für das Wild einbinden. Wozu auch? Bis heute hat sich doch die klassische Strategie bewährt, unerwünschte Einflüsse auf das Wild zu eliminieren: Nahrungsengpässe werden mittels Fütterung ausgeschaltet, Beutegreifer erlegt, für die geschützten unter ihnen gilt „shoot, shovel and shut up“, für Jäger gilt die Unschuldsvermutung, und für Nichtjäger gelten Sperrzonen.

Davon gibt es viele und davon viele, die unbestritten dem Wild zu Gute kommen: Brut- und Nistplätze für Auer- und Birkwild oder - auch wenn man die Fütterung prinzipiell hinterfragen sollte - rundum Winterfütterungen für Rotwild. Zahlreiche andere Sperrzonen dienen dazu, die Jagd einfacher und vorhersehbarer zu machen - und uns Störenfriede ganzjährig aus dem Revier zu vergrämen. Denn nicht nur um winterliche Futterplätze, sondern um JEDE der unzähligen kleinen Futterstellen, die allesamt nur dazu dienen, Wild zu lenken oder für den Abschuss anzulocken, gilt im Umkreis von mindestens 200 Meter für jagdfremde Personen eine Sperrzone, die nur auf öffentlichen Wegen begangen werden darf. Diese jeweils 12.5 ha darf der Jagdberechtigte explizit mit nicht registrierten, nicht gekennzeichneten Wildkameras überwachen und die Bilder per MMS oder E-Mail live auf sein Handy senden.

Allsehendes Jägerauge

Dieses allsehende Jägerauge dient zwar vorrangig dazu, Wild zu überwachen, doch so kann Pinkeln im Wald nicht nur zur Straftat, sondern auch zum unfreiwilligen Sexting werden. Hochauflösende Bilder - Gesichtserkennungsprogramm - schon sind wir identifiziert. Schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen gibt es ausdrücklich keine, weil jeder, der dort unterwegs ist, ohnehin de iure ein Straftäter ist. Wie harmlos ist dagegen das dem Jagdschutzpersonal zugestandene Anhalterecht! Privatsphäre im Wald, das war einmal. Nur auf Wege darf die Kamera nicht gerichtet werden. Ohne sie explizit abzuschaffen, macht die Jagdpolitik so die Wegefreiheit Schritt für Schritt rückgängig.

Das sind Machtspielchen einer Jägerschaft, die gerne argumentiert, dass von ihren Leistungen die Allgemeinheit „weitaus mehr als die handelnden Jäger selbst“ profitiert - zumal Jäger für die Erbringung dieser landeskulturellen Dienstleistung sogar bezahlen. Mal ehrlich: Würden Sie ihr Kind einem Erzieher, ihr Haustier einem Tierarzt überantworten, der ihnen dafür große Summen bezahlt? Lassen wir doch die Augenauswischerei. Wer zahlt, schafft an. Je größer die Summen, umso mehr wird das Wild zum Dienstleister, der zur Verfügung stehen muss. Jede Störung wird monetär verrechnet. Mountainbiker auf Forststraßen? „Wir würden dann viel weniger für unsere Jagdreviere zahlen“ konstatiert Dr. Lebersorger für die österreichische Jägerschaft lapidar. Haftungsfragen lassen sich durch gesetzliche Anpassungen oder Veträge mit touristischen Vereinen regeln. Aber welcher Grundbesitzer will sich schon das Spielbein Jagdpachteinnahmen kürzen lassen, auch wenn sein wirtschaftliches Standbein die Forstwirtschaft ist? Und Jäger wollen ja nicht billiger, sondern jederzeit ungestört jagen. Ein nachvollziehbarer Wunsch, der sich im 21. Jh. mit Denkweisen und Methoden aus dem 19 Jahrhundert aber nur schlecht umsetzten lässt.

Denn die verschiedensten naturbedürftigen Gesellschaftsgruppen krabbeln längst nicht mehr nur auf den Zinnen der Revierburgen, sondern stehen schon seit Jahrzehnten im Burginnenhof. Spätestens jetzt wäre es an der Zeit, gemeinsam mit denen, die den Lebensraum des Wildes als Erholungsraum nutzen, eine Übereinkunft auszuhandeln. Stressen Nichtjäger Wildtiere? Natürlich. Besonders dann, wenn die Störungen plötzlich und nicht absehbar sind. Tiere sind ja auch nur Menschen. Aber auch und vor allem Jäger sind ein Störfaktor für Wildtiere, und vielerorts und für Arten wie Reh, Hirsch und Gams ließen sich durch eine Anpassung der Jagdzeiten und Methoden auch nichtjagdliche Störeffekte deutlich verringern. Aber Nichtjäger stressen auch Jäger. Denn anders als Autofahrer, die ihr Fahrverhalten selbstverständlich an das Verkehrsaufkommen anpassen, fällt es wohl nicht nur dem Generalsekretär der österreichischen Jägerschaft schwer, sein Jagdverhalten auf die geänderten Bedingungen einzustellen: „Die Jagd würde schwieriger und unvorhersehbarer werden. Wenn auf jeder Forststraße Mountainbiker unterwegs sind, muss ich das als Jäger einkalkulieren.“ Aber sicher. Viel zu lange schon haben Freizeit-Jäger verabsäumt, die naturbedürftige Freizeit-Gesellschaft einzukalkulieren.

Jäger haben die Generalvollmacht für den Umgang mit Wildtieren. Nur sie dürfen beabsichtigt und gezielt in deren Leben eingreifen, dürfen töten, einzäunen, fangen oder füttern. Der Jäger entscheidet wann, wo, wie er jagt, die Jägerschaft bestimmt die Regeln der Jagd. Konsequenterweise sollen - und wollen - Jäger die Probleme an den Schnittstellen zwischen Wild und Umwelt alleine lösen, auch wenn sich diese Konflikte nur in Teamwork entschärfen lassen. Aber die Entscheidungshoheit über jagdbares Wild abzugeben, etwa alpine Vereine in die Jagdplanung und Jagdgesetzgebung miteinzubeziehen und damit auch Verantwortung zu teilen, ist für die autokratische Jägerschaft bis heute undenkbar. Sogar zum Beobachten des Wildes rund um eine Futterstelle ist ausschließlich der zuständige Jäger berechtigt - allen anderen muss er es „im Wege eine Bittleihe“ erlauben. Überbehütung und zu viel Kontrolle kann bei Kindern zu Entwicklungsstörungen führen - in der Jagd führt sie zu Kommunikationsproblemen mit der nichtjagenden Gesellschaft. Vorschrift und Belehrung ja, nicht aber Verständigung auf Augenhöhe. Schließlich ist die Jägerschaft quasi uniformiert und bewaffnet. Doch allgemeines Interesse am Wohlergehen unseres Wildes ist dringend nötig.

Aber wer, abgesehen von Forstwirten, denen der Wald ein Anliegen ist, will sich denn schon mit Jägern an einen Tisch setzen und über Wild und Jagd reden? Die einzigen, die als Gesellschaftsgruppe ein nichtjagdliches Interesse an Wildtieren haben, sind die Tierschützer, die Jäger gern als „extrem“ bezeichnen. Extrem sind sie zwangsläufig, denn da das Tierschutzgesetz für die Jagdausübung nicht gilt, dürfen und wollen, von Ausnahmen abgesehen, amtliche Tierschutz-Ombudsleute für die Jagd nicht zuständig sein. Gesellschaftliche Veränderungen aber entstehen durch ein Auf und Ab gegensätzlicher Anschauungen und Tierschützer, gerade extreme, sind ein wertvolles jagdgesellschaftliches Korrektiv - und ein dringend notwendiges. Denn die Jägerschaft ist eine Gesellschaftsgruppe mit einer religiös anmutenden Weigerung, auf veränderte gesellschaftliche Werte einzugehen, wie sich etwa am irrationalen Festhalten an bleihaltiger, und damit giftiger Munition zeigt. Oder bei der Jagd auf eingezäuntes Wild und dem Abschuss von in Volieren gezüchteten Federviehs. Die Wagenburgmentalität der Jagdpolitiker gründet aber wohl nicht nur in ihrer Angst vor vermeintlichen „Fallen und Tretminen“ des Tierschutzes (verwunderlich, denn ohne das Engagement der Tierschützer wären die Reviere heute noch mit Tellerfallen bespickt), sondern auch darin, dass die meisten Tierschützer nicht nur bestimmte tierverachtende Jagdmethoden wie Gatterjagd und Massenabschuss von Zuchtgeflügel ablehnen, sondern die Jagd an sich.

Jagd ist ein sehr altes Verhalten um Macht zu demonstrieren, und in einer Demokratie ist es die Aufgabe der Gesellschaft sicherzustellen, dass Jäger sie gesellschaftverträglich ausüben. Die meisten von uns erachten Tieropfer, auch jene auf dem Altar der Macht, gelinde gesagt, für höchst unzeitgemäß.

Aber Jagd ist nicht nur Statussymbol, es gibt viele unterschiedliche Beweggründe zu jagen, Wildbret ist einer von vielen. Und egal welchen gesellschaftlichen Wert die Jagd haben mag, gibt es weltweit in jeder Gesellschaft einen gewissen Prozentsatz an Menschen, die Freude an der Jagd haben, es gab ihn zu allen Zeiten - ebenso wie einen gewissen Prozentsatz an Homosexuellen. Und auch wenn für manche von uns das Verhalten dieser Sozietäten - deren Schnittmenge eher gering sein dürfte - in keiner Weise nachvollziehbar ist, ist es weder krank noch widernatürlich. Damit sollten wir uns abfinden und nicht die Jagd an sich bekämpfen, sondern eine gesellschaftsfähige Jagd einfordern und mitgestalten.

Jagdlust und Bewegungslust

Möchten wir das? „Mögen hätt' ich schon wollen, aber dürfen hab ich mich nicht getraut!" würde mancher Karl Valentin zitieren. Wir täten gut daran zu mögen und uns die Mühe zu machen, denn stärker noch als die Jagdlust ist die Lust an der Bewegung, und wenn wir diese im Lebensraum freilebender Wildtiere stillen wollen, müssen wir unserer Sorgfaltspflicht Wildtieren gegenüber nachkommen.
Das bedeutet Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse der Wildtiere, die örtliche Sonntage brauchen (ja, Ruhezonen) und Kooperation mit den naturverbundenen Jägern, welche das Jagdwild nicht als Renommierobjekt sehen und welche auf Können und Jagdglück vertrauen, statt auf planbare, sichere Abschüsse zu setzen. Solche Jäger gibt es. Nur mit Unterstützung der Gesellschaft können sie Wildtiere als integralen Bestandteil unserer Natur erhalten und vor der leistungsgesteigerten Land- Forst- oder Tourismuswirtschaft und vor allem auch der intensiven Jagdwirtschaft bewahren. In seltenen Fällen funktioniert ein Miteinander bereits, basierend auf Information, Verständnis (Eine Bergtour gelingt auch ohne Wild - eine Jagd nicht), Kompromissbereitschaft und gegenseitiger Rücksichtnahme - mit einem für alle bereicherndem Ergebnis.

Aber wir müssen uns trauen dürfen. Zu oft noch sehen Jäger Erholungssuchende als ignorante Eindringlinge. Was wohl häufig zutrifft und so bleiben wird, solange die Jäger ihr paternalistisches Gehabe und ihre abgehobene Abkapselung nicht aufgeben. Nicht allen geht‘s gut, wenn’s der Jagdwirtschaft gut geht. Eine neue Betrachtungsweise täte hingegen allen gut. Was unternehmen Jagdbewirtschafter und Jagdpolitiker nicht alles, um Blutauffrischung für Wildtiere durchzuführen, zu rechtfertigen und zu legalisieren! Eine jagdweltanschauliche Denkauffrischung ließe sie weit bessere, nämlich gesellschaftliche Trophäen ernten.

Geboren 1962 in Wien. Studium der Zoologie und Humanbiologie in Wien. Dissertationüber „Winterökologie ostalpiner Rotwildherden“. Dr. phil. Im Rahmen eines Post-Doc-Stipendiums der Österreichischen Akademie der Wissenschaften Studie über den „Einfluss der Winterfütterung auf die Populationsökologie von Rothirschen“. Forschungsprojekte in Österreich, Schottland, Kanada.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.05.2016)

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