Der starke HBP

Clemens Fabry
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Schlaglichter der Vergangenheit: von der Kornblume zur Präsidentenrepublik. Über die Aufregerthemen im Präsidentschaftswahlkampf 2016.

Wie kaum in einem anderen Präsidentschaftswahlkampf seit der Debatte um KurtWaldheims Kriegsvergangenheit werden dieser Tage zeitgeschichtliche Themen zu zentralen Inhaltenvon Plakaten oder Interviews und Diskussionen. Plötzlich haben auch viele Kommentatoren und politische Beobachter sowie Wähler und Wählerinnen das Gefühl, als würdeuns die ferne Vergangenheit einholen. Das beginnt mit der Deutung der Kornblume als Nazisymbol und endet mit den autokratischen Rechten des Bundespräsidenten.

Die Kornblume ist aufgrund ihrer Farbe sicherlich kein Symbol als „Europablume“, wie jüngst behauptet. Schon ein kurzer Blick in die Zeitungsdatenbank der Österreichischen Nationalbibliothek (Anno) genügt, um die politische Symbolik zu entschlüsseln. So polemisierte das sozialdemokratische „LinzerTagblatt“ gegen Christlichsoziale im Christlich-deutschen Gesangsverein, die 1923 einenKranz aus Kornblumen bei der Bannerweihe präsentierten, da die Kornblume eindeutig der Schönerer-Bewegung zuzuordnen sei. In der Habsburgermonarchie wurde dieses Symbol immer wieder von den Christlichsozialen als Anti-Habsburg-Bekenntnis und „Preußenheuchlerei“ angezeigt; die k. k. Statthalterei in Linz sollte daher das Tragen der Kornblume bei den Studenten verbieten. Georg von Schönerer übernahm von den deutschnationalen Burschenschaften eine Reihe von Symbolen, so auch die Kornblume, die dann im Verbund mit der schwarz-rot-goldenen Fahne, den Reichsgründungs- und Sedan-Feiern sowie der Verehrung des deutschen Kaisers und Bismarcks die Symbolik der gesamten deutschnationalen Gruppe in der Habsburgermonarchie wurde.

Schönerer und dessen rabiater rassistischer Antisemitismus wurden dann auch von den Nationalsozialisten hochgelobt. Hitler schrieb in „Mein Kampf“, dass er als Schüler das Zeichen der Alldeutschen, die Kornblume, trug und statt der Kaiserhymne „Deutschland über alles“ sang. Sowohl Schönerer als auch der christlichsoziale Bürgermeister Wiens, Karl Lueger, wurden aufgrund ihres Antisemitismus zu prägenden Vorbildern für Hitler, wie die kommentierte Neuedition von „Mein Kampf“ nachhaltig dokumentiert. In der Zeit des Verbots der NSDAP während der Kanzlerdiktatur von Dollfuß und Schuschnigg wurde die Kornblume wie in der Monarchie zu einem Erkennungszeichen, diesmal der illegalen Nationalsozialisten, unter denen sich aber bereits viele ehemals Großdeutsche befanden. Das Tragen einer Kornblume wurde daher mit 48 Stunden Arrest bestraft.

Bis zu Kriegsende 1945 und in den ersten Jahrzehnten danach war die Kornblume nunmehr ein klandestines NS-Wiedererkennungssymbol der ehemaligen NSDAP-Mitglieder. 1957 kehrte sie als Festsymbol der FPÖ per Anweisung der Parteigeschäftsführung zurück und wurde auf die 1848er-alldeutsche Tradition rückprojiziert, obwohl es 1848 dieses Symbol bei den Studentenverbindungen noch gar nicht gab! Erst im Laufe der 1870er-Jahre wird die Kornblume das deutschnationale Gegenstück zum Edelweiß des österreichischen Kaisers. Dass damit eine Ablehnung der österreichischen Kulturnation verbunden war, ist viele Jahrzehnte FPÖ-Parteilinie gewesen, die erst in den vergangenen Jahren aufgegeben wurde. Zuletzt trugen FPÖ-Mandatare bei der Eröffnungssitzung des Wiener Gemeinderates 2015 und bei der ersten Sitzung des Nationalrates2008 sowie 2013 die Kornblume. Daher stellt sich die Frage, für welche Traditionen die Kornblume steht, die sich auch durch ein rot-weiß-rotesBändchen nicht so einfach zum Österreich-Bekenntnis aufmascherln lässt.

Das zweite Aufregerthema im Wahlkampf 2016hat „Presse“-Chefredakteur Rainer Nowak am 29. April in einem Kommentar präzise angesprochen: Der Bundespräsident hat auf der Basis der Verfassungsnovelle 1929 in Krisenzeiten ein Macht- und Durchsetzungspotenzial, das in der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen wurde: So kann er die Bundesregierung aufgrund eigener Entscheidung entlassen, einen Bundeskanzler seines Vertrauens ernennen, der wiederum eine Bundesregierung nominiert, die der Bundespräsident bestellt, und diese kann dann die Auflösung des Nationalrates initiieren, die der Bundespräsident mit einem Federstrich verfügt, so der frühere Verwaltungsgerichtshofpräsident Clemens Jabloner. – Ein Blick in die zeitgenössische fachwissenschaftliche Literatur und die stenografischen Protokolle sowie Protokolle des Ministerrates 1929 genügen, um zu erkennen, dass hier durchaus das Modell der Weimarer Verfassung in abgemilderter Form nachgeahmt wurde – sich radikal unter anderem durch den starken Bundespräsidenten von der parlamentarischen Verfassung 1920 unterscheidend.

Die Verfassungsreformdebatte von 1929 war der Höhepunkt der Revisionsdebatte der Verfassung von 1920 und stand im Zeichen der Diskreditierung der „Parteiendemokratie“ durch die Christlichsoziale Partei. Es war kein Zufall, dass deren ideologische Führungspersönlichkeit, Ignaz Seipel, seine programmatische Rede in Deutschland, in Tübingen, hielt – unter Hinweis auf den europäischen Trend, da ja nicht das Volk, sondern die Parteien herrschen. Seipel sympathisierte allerdings damals schon mit den antidemokratischen Heimwehren, die ihrerseits den „Austrofaschismus“ nach italienischem Vorbild anstrebten – mit Netzwerken tief in die österreichische Wirtschaft, Bürokratie und Politik hinein.

Für den prägendsten Verfassungsjuristender Jahre nach 1918, Hans Kelsen, bedeutetenaber schon die radikale Reform und Politisierung des Verfassungsgerichtshofes einen absoluten Bruch mit seinem demokratischen Grundverständnis. Kelsen interpretierte diese Entwicklung als „umso verhängnisvolleren Schritt, als die faschistischen Tendenzen der christlichsozialen Partei zu dieser Zeit schon ziemlich deutlich waren“. Er interpretierte die Zustimmung der Sozialdemokratie zu diesem Entwurf als Kompromiss, um die Autonomie Wiens zu sichern.

Ignaz Seipel hingegen begrüßte die Einschränkung der „Parteienherrschaft“, da er für reine „Wahlparteien“ plädierte und ganz offen gegen die sozialdemokratischen Kammervertreter und Gewerkschaften sowie den paramilitärischen Schutzbund auftrat. Besonders positiv kommentierte er dieModellierung des Amts des Bundespräsidenten nach dem Weimarer Modell – mit direkter Volkswahl, Notverordnungsrechten und dem Recht der Berufung und Abberufung der Bundesregierungen. In der Literatur wird bis heute übersehen, dass die autoritäre Phase der Zweiten Republik bereits 1929 und nicht erst 1933 begann.

Der damals jüngste Abgeordnete der Christlichsozialen, Kurt Schuschnigg, ab 1932 Justizminister und 1934 Nachfolger von Bundeskanzler Engelbert Dollfuß, machte dies als Berichterstatter ganz klar: Durch die Direktwahl und autokratischen Rechte des Bundespräsidenten wurde die parlamentarische Demokratie eingeschränkt. Nach einem Vergleich mit den Verfassungen der USA und jener im Deutschen Reich präsentierte er die gemischtpräsidiale Variante für Österreich mit dem Parlament und Bundespräsidenten (mit geringerer Macht als in der Weimarer Verfassung) auf derselben Ebene.

Dass nach der Zerschlagung des Nationalsozialismus 1945 die Provisorische Staatsregierung Renner nicht auf die 1920er-Verfassung zurückging oder überhaupt eine neue Verfassung entwickelte, hängt bereits mit dem frühen Kalten Krieg zusammen. Karl Renner wollte ursprünglich eine neue Verfassung, auch um aus parteipolitischen Gründen – schwarze Länder versus rotes Wien – den Einfluss der Bundesländer zu reduzieren. Doch sein eigener Parteifreund Adolf Schärf trat offen dagegen auf, da er eine kommunistisch dominierte Volksfrontregierung und eine Art „Räterepublik neu“ fürchtete. Dass die KPÖ und dann auch ab 1946 plötzlich die sowjetische Besatzungsmacht die Verfassung 1920 in der Fassung 1929 als „Heimwehrverfassung“ bezeichneten und ändern wollten, hat endgültig jede Reformchance im Kalten Krieg und Ost-West-Konflikt verhindert.

Aber schon 1947 versuchte Schärf, nachdem Renner lange erkrankt und ÖVP-Bundeskanzler Leopold Figl verfassungsgemäß auch Bundespräsident war, durch eine Art Benimmfibel die Implantierung der Realverfassung zu reduzieren: „Der Bundespräsident kann, aber muss nicht ein wahrer Garant der Verfassung und der Demokratie sein.“ Der Rechtsanwalt Schärf wusste sehr wohl um die „Giftzähne“ der 1929er-Verfassung, so die treffende Benennung durch die sozialdemokratische Abgeordnete Käthe Leichter. Renner selbst wollte sofort neben dem Ministerrat eine Art Kabinettsrat unter seinem Vorsitz einrichten, obwohl er durch die Bundesversammlung und nicht durch das Volk gewählt war. Bundespräsident Körner, der erste durch das Volk gewählte Bundespräsident, verhinderte im Alleingang die Aufnahme des VdU (Verband der Unabhängigen, des Vorläufers der FPÖ) in die Koalition mit ÖVP und SPÖ. Zuletzt zeigte Thomas Klestil, gestärkt durch ein Gutachten des Verfassungsjuristen Friedrich Koja aus dem Jahr 1997, die autokratische Macht des Amtes des Bundespräsidenten – nicht nur, als er zwei FPÖ-Kandidaten von der Regierungsliste strich, sondern auch, als er die Vertretung Österreichs beim EU-Rat mit aller Macht erzwingen wollte oder den Vorsitz in dem 2001 vom Nationalrat geschaffenen Nationalen Sicherheitsrat beanspruchte.

Selbst auf der Homepage des Bundespräsidenten thematisiert der Nestor der österreichischen Verfassungsjuristen, Ludwig Adamovich, den eindeutig autoritären Kontext der 1929er-Verfassungsnovelle. Zu Recht weist er darauf hin, dass viele Kompetenzen wie das Notverordnungsrecht oder die Entlassung des Nationalrats nur auf Vorschlag der Bundesregierung erfolgen können. Doch wie das oben zitierte Beispiel Jabloners zeigt: Entlässt der Bundespräsident die Bundesregierung, kann er letztlich ohne Probleme Neuwahlen erzwingen.

Seit der Wahl Renners zum Bundespräsidenten am 20. Dezember 1945 durch die Bundesversammlung schwindeln sich aber Juristen, Historiker und die österreichischen Wählerinnen und Wähler mit dem Hinweis auf Realverfassung und das kompromissbereite „österreichische Wesen“ über den zutiefst autokratischen Kern der 1929er-Novelle hinweg. Wer immer zum Bundespräsidenten gewählt wird: Es sollte im Interesse eines lebendigen Parlamentarismus endlich eine strukturierte Debatte über eine Verfassungsreform geben, die die letzten „Giftzähne“ der 1929er-Novelle entfernt und, möglichst durch eine Volksabstimmung legitimiert, eine moderne Verfassung schafft.

Erst dann ist die tickende Zeitbombe von 1929, die 1945 wieder scharf gemacht wurde, beseitigt. Auf dem Papier haben wir Elementeeiner „präfaschistischen Präsidentendiktatur“,wie Andreas Khol vor Kurzem zu Recht festgestellt hat; nur ist dies nicht Klestil anzulasten: Er hat die Verfassungsmöglichkeiten des Bundespräsidenten punktuell ausgenützt,sich aber dann doch in die Realverfassung gefügt. Wäre er weitergegangen, hätten wir wohl heute eine andere Verfassungsregelung über die Rechte und Pflichten des Bundespräsidenten. Das kritische Bewusstsein in Sachen „Giftzahn“ scheint mir im heurigen Präsidentschaftswahlkampf zu steigen. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.05.2016)

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