Die Ethik und ein Haufen Geld

„Expedition Europa“: der größte Investor der Welt – in Oslo.

Nach Norwegen flog ich, um eine Ahnung davon zu kriegen, wohin sich der ethische Kompass der westlichen Zivilisation dreht. Zusammen mit Schweden spielt Norwegen nämlich die Rolle einer moralischen Weltregierung. Auch wenn sie nur ein Dreiviertelpromille der Weltbevölkerung ausmachen, sind es ausschließlich Norweger, die den Friedensnobelpreisträger bestimmen. Die Milliarden des norwegischen „EEA Fonds“ ernähren in Osteuropa Zehntausende Restauratoren, Roma-Projektbetreiber und Aktivisten in Fragen sexueller Orientierung. Und dann ist da dieser historisch einmalige Haufen Geld, angespart aus den Einnahmen von Öl und Gas. Mit einem Volumen von derzeit etwa 750 Milliarden Euro ist Norwegens staatlicher Ölfonds der größte Investor der Welt. Der Fonds regiert weltweit in 9000 Unternehmen hinein. Er wird von einem eigenen Ethikrat kontrolliert. Der Vorsitzende dieses Ethikrates sagte mir ein Interview zu.

Ich musste an einem Ausläufer des Oslofjords durch eine Straße von Verwaltungsblöcken. Die Zentrale des Mischkonzerns Ferd sah nicht nach den drei Milliarden Nettovermögen aus. Ein lichtdurchfluteter Mittelgang, immerhin die beste Aussicht auf den Lysakerfjord. Da sich auch der fünftreichste Norweger nichts einbilden darf, holte mich Johan H. Andresen persönlich von der Rezeption. Ein schlanker Hüne mit voll tönender Stimme. Auf seiner Visitenkarte stand:„Eigner und Geschäftsführer“. Sein kleines Chefbüro war voll mit Büchern und Zetteln. Die Statue, die zentral zwischen zwei Fensterfronten mit Fjordblick thronte, zeigte eine nackte Frau. Klassisch weiblich, wenig Gesicht, volle Brüste.

Wenn ein Markt verrottet ist

Ich fragte ihn, warum der fünfköpfige Ethikrat nur Juristen, den Ex-Vize von Ferd und ihn umfasst; im deutschen Ethikrat etwa sitzen je zwei Vertreter der katholischen und evangelischen Kirche. Er entgegnete, „Investmentverständnis“ sei vonnöten. Letztlich gehe es doch immer darum, dass man nicht stehlen darf. „Ich bin nicht sicher, dass du einen Priester brauchst, damit er dir das erzählt.“ Der Ethikrat überprüfe jedes Jahr 300 Firmen, „mit Hilfe von Internetsuchmaschinen scannt er das Portfolio“. Demnächst könnten Textilproduzenten auf die Verbotsliste kommen. „Die Leute dachten, das ist cool, die können Unternehmen rausschmeißen. Aber warum sollten wir das tun? Wir sollten eher Risken reduzieren, zukünftige Risken evaluieren.“ Ich fragte, ob VW demzufolge im Portfolio bleibt, das künftige Risiko von Beschiss bei Abgaswerten ist ja eher klein. Über konkrete Unternehmen durfte er nicht sprechen. Sein Grinsen sagte mir: Du hastunsere Logik kapiert, Junge.

Andresen führt einen Familienbetrieb, der 1849 als „Tiedemans Tabaksfabrik“ begann. Im Ethikrat hat er nun politisch vorgegebene Richtlinien anzuwenden, die Tabak in eine Reihe mit Landminen und Nuklearwaffen stellen. „Darauf habe ich keine Sicht“, wich er aus. Er hatte die Tabakfirma verkauft, „aus geschäftlichen und moralischen Gründen, das Angebot konnten wir nicht ausschlagen“. Empfand er gar keine Sentimentalität dabei? Der Milliardär in kühler Maskulinität: „Ich habe in 15 Jahren mehr Wert geschaffen als der Rest der Familie in 150 Jahren.“

Andresen machte viel Geld, indem er 2009 Hedgefonds aufkaufte. „Wir investieren gerne, wenn ein Markt verrottet ist. Ich blieb still sitzen, und der Preis ging hoch.“ Wie gehen Hedgefonds mit seinem „Social Entrepreneurship“ zusammen? „Wie eine Hand und ein Handschuh.“ 2012 nahm er an der Bilderberg-Konferenz teil. Ich fragte noch nach dem Geheimnis seines Erfolgs. „Selbsteinsicht.“ Nach dem Interview mit dem Vorsitzenden des Ethikrates ging ich ans Wasser runter. Auf den Stegen genossen Andresens Mitarbeiter die Mittagspause. Rauchen sah ich niemanden. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.05.2016)

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