Hörst du überhaupt zu?

Geistesabwesend: wenn einem beim gemeinsamen Frühstück plötzlich ein Einfall kommt.

Schreibende, ob Dichter, Redakteur oder Glossist, haben eine Eigenheit, die das Zusammensein mitLebenspartnern, Freunden oder sogar Arbeitskollegen, die einen Anspruch auf Präsenz und Aufmerksamkeit haben, nicht immer ganz einfach macht: Es kommt vor, dass sie, sozusagen mittendrin, sich woanders hinbewegen und die anderen da sitzen lassen, wo sie gerade selber noch waren. „Hörst du überhaupt zu?“, heißt es dann, und natürlich hat er/sie zugehört, kann auch die letzten Sätze genau wiederholen, war aber tatsächlich zugleich an einer anderen sogenannten Baustelle.

Der Blick wirkt auf einmal geistesabwesend, dabei war genau das Gegenteil der Fall, der Geist war vielmehr überaus anwesend, und er hatte etwas mitgebracht: Die Formulierung oder der Name, nach der oder dem man so lange schon ergebnislos gesucht hatte, war auf einmal da und wollte nicht vergessen werden.

Das, was wir einen Einfall nennen, ist ja immer auch ein Überfall, etwas tritt in Erscheinung oder ins Leben, was in Todesanzeigen „plötzlich und unerwartet“ genannt wird, eine Überraschung, auf die vielleicht gewartet wurde, mit der aber nicht wirklich zu rechnen war.

Der Einfall mischt sich ein, drängt sich vor mit dem Habitus des Genius (egal, als wie unbrauchbar und dämlich er sich am Ende entpuppen mag), er hat etwas Selbstherrliches, ja, und er hat durchaus etwas Herrliches: In unserem nüchternen Umgang mit der Kunst und ihrer Produktion ist ja das Einzigartige und Geniale in Verruf geraten, nicht zuletzt weil es die Nicht-Genialen als überheblich und selbstverliebt empfinden, sicher auch nicht ganz zu Unrecht.

Der Erleuchtete: stets rücksichtslos

Die damit verbundene Rücksichtslosigkeit, die den, der den Einfall hat, auf einmal befreit, scheint die Danebensitzenden schuldlos in eine Art Schattenexistenzzu rücken, aus der sie der Verblendung des scheinbar Erleuchteten zuschauen dürfen, das heißt, in sein leicht schielendes Auge.

So manche haben sich daher in der Hoffnung auf erhöhte Einfallsdichte, aber auch aus Rücksicht auf die „gewöhnliche“ Umgebung einen Rückzugsort geschaffen, wo sie dann oft genug stumpfsinnige Stunden verbringen, zunehmend unbehelligt von jeder Art spontaner Idee, die die Erlösung wäre, die sich aber prompt einstellt, sobald man wieder in Gesellschaft ist und weg von freier Entfaltung, ja ohne Papier und Bleistift stumm memorierend, was nicht vergessen werden will/soll/darf.

Was dann mit etwas Glück entsteht, sorgt hinterher ja nicht nur für Erleichterung beim Schreibenden, sondern vielleicht doch auch für Beglückung bei den „Zuschauenden“. Ohne eine Art von Hingabe kann nichts entstehen, und das geschieht nun einmal nicht nach Stechkarte. Wer in der Werkstatt arbeitet, im Büro oder auf der Probebühne, überrascht niemanden, wenn ihm die Muse die Hand auf die Schulter legt. Wen es aber beim gemeinsamen Frühstück oder während des Fernsehabends erwischt, der wird gern angeschaut, als müsste er sich für einen herzlosen Seitensprung rechtfertigen. Später freuen sich im Zweifelsfall alle an dem Störenfried: „Was dir aber auch alles so einfällt!“

So wird der, der davon/dafür lebt, sein eigenes Brot zu backen, eigenbrötlerisch, ungesellig. Manchmal jedenfalls, momentan, unfreiwillig. Dabei ist dann nicht einmal garantiert, dass hier ein Brot entsteht, in das auch andere gern beißen werden. Der wunderbare Einfall, die tragende, befeuernde Idee, so trefflich sie im Augenblick auch immer scheinen mögen – das Güte- und Haltbarkeitssiegel kommt erst mit der Zeit.

Wenn überhaupt. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.05.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.