Nur kein „starker“ BP: Warum denn?

Die Rechte des österreichischen Bundespräsidenten: Replik auf Oliver Rathkolbs Beitrag im „Spectrum“ vom 14. Mai.

Die nach der Verfassungsnovelle 1929 (B-VGN 1929) dem Bundespräsidenten (BP) zustehenden Machtbefugnisse sind auf den ersten Blick zweifellos weitreichend. Besonders hervorstechend sind zwei: 1. die Befugnis des BP, den Nationalrat (NR) aufzulösen, wozu jedoch ein Vorschlag der Bundesregierung (BReg) vonnöten ist; 2. das Recht des BP, die BReg zu ernennen und zu entlassen. Ein Gegengewicht findet letztere Befugnis jedoch in der Regelung, nach welcher die vom BP ernannte BReg stets des Vertrauens der NR-Mehrheit bedarf, um im Amt zu bleiben. Das Regierungssystem des B-VG ist also kein präsidiales, sondern ein parlamentarisch-präsidentielles mit deutlichemÜbergewicht des NR in der Praxis.

Wohl könnte nun ein BP eine ihm parteipolitisch nahestehende BReg ernennen und sich von dieser die Auflösung des NR vorschlagen lassen, weil er sich von Neuwahlen ein für „seine“ BReg günstiges Ergebnis erhofft. Solches ist schon einmal geschehen: BP Miklas löste den NR im Jahr 1930 auf, als die Regierung seiner Christlichsozialen Partei (CS) im NR keine Mehrheit mehr fand. Die Hoffnung auf eine neue Regierungsmehrheit wurde freilich durch die Stimmbürger pulverisiert, welche sich solch interessegeleitetes Agieren verbaten – und der CS massive Stimmenverluste bescherten. Es gibt keinen Grund, anzunehmen, dass eine von BP und BReg vom Zaun gebrochene Wahl heute anders ausginge: Auch die von der ÖVP auf weit weniger spektakuläre Art provozierten Neuwahlen von 1995 und 2008 führten zu ÖVP-Niederlagen.

Nicht nur Seipels Anliegen

Die starke Stellung des BP war Ergebnis eines Kompromisses zwischen den bürgerlichen Mehrheitsparteien des Jahres 1929 (CS, GDVP, Landbund) und der Sozialdemokratie. Die Exekutive zu stärken war dabei kein exklusives Anliegen Ignaz Seipels, der CS oder der Heimwehren, sondern auch jener verfassungstreuen politischen Kräfte, welche einen immer unverhohlener angedrohten Staatsstreich der Heimwehren verhindern wollten: Es war der parteifreie BK Johannes Schober, der die B-VGN 1929 ausverhandelte und die wesentlichen Teile derselben durch das Parlament brachte.

Die B-VGN 1929 fand also wohl Seipels Gefallen – sein Werk war sie indes nicht; und die Heimwehr verlor ihren Gefallen an der B-VGN 1929 spätestens, als die BReg Schober die frisch gestärkte Exekutive nutzte, um die Heimwehren kaltzustellen. Auch daran kann ersehen werden, dass die starke Stellung der Exekutive, in welcher der BP die Rolle der Machtreserve spielt, für Krisensituationen durchaus angemessen konzipiert ist. Der Amtsinhaber muss freilich auch gewillt sein, diese seine Rolle wahrzunehmen.

Abschließend: Auffällig ist, dass die präsidialen Machtbefugnisse zuletzt von sozialdemokratisch punzierten Intellektuellen öffentlich problematisiert wurden, und zwar seit dem ersten Wahlgang der BP-Wahl 2016. Deren Problembewusstsein scheint pünktlich entstanden zu sein, als ruchbar wurde, dass nicht mehr einer der Ihren dieses Amt bekleiden wird. Wie viel intellektuelle Redlichkeit man also insbesondere den Herren Rathkolb und Noll für ihre zeitgerecht zu Markte getragene Besorgtheit zugestehen soll, muss jeder Leser für sich selbst entscheiden. ■


Felix Karl Vogl, geboren 1984 in Bregenz, Mag. jur., ist Steuerberater und Rechtsanwaltsanwärter in Vorarlberg sowie Dissertant der Rechtsgeschichte an der Universität Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.05.2016)

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