Wie Bären an kleinen Feuern

„Expedition Europa“: Otaci – wo Roma in Palästen wohnen.

Diese prunkvollen Zigeunerpaläste im Südosteuropa, ich wollte endlich einmal einen von innen sehen. Ich fuhr dafür nach Otaci, an den moldawisch-ukrainischen Grenzfluss Dnister. Über Grenzstädte wurde genug geschrieben und vielleicht auch darüber, wie ethnische Ukrainer im moldawischen Otaci den russischen Kriegsnarrativ nacherzählen und in der ukrainischen Schwesterstadt Mohyliw-Podilskyj den ukrainischen. Der Warenstrom der Ameisenhändler auf der Dnisterbrücke hat sich umgedreht, die Ukraine ist nun billiger. Wegen der Sanktionen geht das Obst von den moldawischen Plantagen nicht mehr nach Russland, sondern in die wenig lukrative Ukraine. Ich war schon zu Beginn des Krieges hier, beide Seiten sind seither verarmt.

Moldawien wird von der moldawisch-rumänischen Staatsnation sowie von Ukrainern, Russen, Gagausen und Bulgaren besiedelt. Roma sind nur eine kleine Minderheit, sie prägen nur vier oder fünf Gemeinden. Da wir Roma automatisch als die Ärmsten der Armen ansehen, überrascht ihr Status in Moldawien: Im ärmsten Land Europas sind sie allem Anschein nach die reichste Volksgruppe.

In Otaci leben russischsprachige Ukrainer in Plattenbauten oder Landarbeiterhäuschen und romanessprachige Roma in Palästen. Die Ukrainer von Otaci hassen die Zigeuner. „Dieses Volk war noch nirgends von Nutzen.“ „Schon in der Sowjetunion haben sie sackweise Waren verschoben.“ „Sie haben ihr Geld mit Drogenhandel in Russland gemacht.“ „Wenigstens in Otaci haben sie nicht gestohlen, aber das fängt jetzt auch an.“ Als gesichert darf gelten: „Manche sind in die Garage ausgezogen. Im Winter pressen sie sich wie Bären an kleine Feuer.“

Mitte, an den Rand geschoben

Auf dem Hauptplatz von Otaci schlugen jugendliche Roma die Zeit tot, ein Zentrum war das nicht. Alles, was Mitte ausdrückt, war an den Rand geschoben: das Rathaus, die Kirche, sogar der Lenin vor den Betonrippen des nie fertiggestellten Uferstadions. Ich setzte mich frühstückend vor eine Greißlerei. Roma-Mütter in bodenlangen, indisch-floralen Gewändern und die blonde ukrainische Verkäuferin in erotisch kurzer, taillierter Schürze. Ich musste nur ein wenig warten, da saßen schon zwei Roma mit Bierchen bei mir, der Enddreißiger Vasile mit seiner geschiedenen blondierten Schwägerin. Er hatte „mit Parfums gehandelt“, sie „mit Jacken in Uschgorod“. Einer der Paläste gehörte Vasile, „ein Ziegelbau am Hang, 18 mal zwölf Meter, zwei Etagen“. Er gestand, dass er sich die Gasheizung nicht leisten konnte: „Man muss nur ein, zwei Zimmer bewohnen.“ Um eine Pönale für die verspätete Verlängerung seines Personalausweises zu bezahlen, schnorrte mich Vasile an. Ich gab ihm das Geld: „Dafür zeigst du mir dein Haus.“ Vasile versprach's, kniff dann aber: „Zu mir den Hang hinauf gilt ein Fahrverbot.“ Er zeigtemir das Haus seiner Schwester, „das sieht sowieso genauso aus“.

Wir betraten das Haus. Die Räume waren groß und sehr hoch, durch Flügeltüren verbunden. Überall Parkett. Im ersten Raum zwei Ledersitzgruppen, dort schlief ein Bub. In die rote Küche waren zwei Fernseher eingebaut, ein roter Diwan lud zum Rasten. Ein großes Stiegenhaus aus Holz, Polystyrolreliefs an Wand und Decke, ein Porträt des Sohnes in Pilotenuniform und der Tochter in einem Blumenherzen. Auch der erste Stock war eingerichtet. Weitere Wohnzimmer mit abgelegten Teppichen und Kisten. Ein hängendes Schwert aus Moskau, das enorme Brautkleid einer 16-Jährigen. Im Elternschlafzimmer hing Pharaonenkunst, aber persönliche Gegenstände waren nicht zu sehen. Während an anderen Zigeunerpalästen Fenster oder Verputz fehlten, war auch dieser vorzeigbare Palast nur zum kleineren Teil bewohnt. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.08.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.