Bei den drei Hexen

„Expedition Europa“: Abtreibungspillen in Nordirland.

Mein Weg zum „Abortion Pills Trio“ führte über die neue Brücke von Derry. Sie wurde von der EU finanziert und 2011von Regionalkommissar Johannes Hahn eröffnet. Ich verspürte Stolz auf den Landsmann, verband die Fußgängerbrücke dochverfeindete Ufer des nordirischen Bürgerkriegs und räkelte sie sich doch in einer sinnlichen Doppelkurve über dem Foyle-Fluss. Ich kam eine Woche, nachdem das „Abtreibungspillen-Trio“ den demonstrativen Schritt gesetzt hatte, sich selbst beim Polizeiposten Derry anzuzeigen. In Nordirland gilt, ähnlich wie in Irland, ein weitgehendes Abtreibungsverbot. Die drei Frauen hatten in Derry Abtreibungspillen vertrieben, welche die niederländische NGO „Women on Waves“ mit Schiffen und Drohnen verteilt. Ich wollte wissen, was die drei Frauen antreibt.

Sie empfingen mich in ihrem Stammcafé Sandinos, einem Altbau mit feschen Bobos in Flussnähe. Eine Wandmalerei erinnerte an die nicaraguanisch-palästinensische Kampfbruderschaft. Umkreist von Neugierigen, erwarteten mich zwei der drei Frauen. Die Einzige aus dem Trio,die Protestantin und Mutter war, war verhindert. Die zwei nahmen ihre großen Kaffeehäferl und führten mich in den ersten Stock hinauf. Dort war niemand, plötzlich war es still. Mir wurde etwas unheimlich zumute. Ich bekam den Gedanken nicht aus dem Kopf, die Frauen wärendie drei Hexen aus „Macbeth“.

Abtreibungsverbot in Nordirland

Sie trugen Hochwasserhosen und Outdoor-Regenjacken. Colette Devlin, 68, warMathematiklehrerin. Von ihrem Kiefer stand eine Warze ab, ihre Stimme war rau, sie saß bucklig da. Wenn die „Atheistin“ von Etappensiegen gegen Kirche und Konservative sprach, brach ein dunkles Kichern aus ihr hervor. Kitty O' Kane, 69, arbeitete im Bereich „psychische Gesundheit“. Sie wirkte klüger als Devlin, und als sie eine der wenigen Negativreaktionen auf ihr Engagement erwähnte, verglich sie das Trio selbst mit Shakespeares Hexen. Sie spielte die Szene an: „Where hast thou been, sister? – Killing swine.“ Ich lachte befreit auf. Einmal sagte sie: „Wir wollen doch Frauen, die Kinder wollen, diesen Wunsch nicht austreiben.“ Sie machte dazu, wohl auch ironisch, eine irre kinderfressende Miene.

Die drei kämpften schon seit 40 Jahren zusammen, etwa in der „Alliance for Choice“. Früher sammelten sie Geld, damit Frauen zum Abtreiben nach England fahren konnten. Sie erklärten, sie hätten sich reiflich überlegt, dass nicht junge Frauen das Abtreibungsverbot durch Selbstanzeige herausfordern sollten. Devlin schnippte mit den Fingern: „Wir Alten haben nichts mehr zu verlieren, wir brauchen auch diesen Post-Graduate-Mist nicht.“ Sie fanden es falsch, dass junge Irinnen, die beim Abtreiben erwischt wurden, auf schuldig plädierten, um mit einer Bewährung davonzukommen. Devlin verlangte ein Abtreibungsreferendum, O'Kane „eine Revolution“.

Ich fragte sie, ob sie nie ein schlechtes Gewissen empfänden. Devlin rasch:„Überhaupt nicht. Ich wüsste nicht, warum.“ O'Kane: „Darüber habe ich nicht einmal nachgedacht. Für uns ist das ein Gesundheitsthema.“ Sie klagte, dass Derry im Unterschied zum boomenden Belfast „elend dran ist“, „es gibt massenhaft Teenage-Schwangerschaften“. Sie gingen,ohne zu bezahlen; im Sandinos mussten sie schon die ganze Woche nicht bezahlen. „Wir sind Stars“, krächzte Devlin. Sie freute sich, dass „uns hauptsächlich jungeMänner in ihren Zwanzigern um Selfies bitten“.

Ich ging über die gewundene Gio-Hahn-Gedächtnisbrücke zurück. Gio, Gio,diese Kurven! Mädels lagerten auf der Brücke, nuttig gekleidete, mit Bräunungscreme bearbeitete Kandidatinnen für Teenage-Schwangerschaft. Die Selbstanzeige des „Abortion-Pills-Trios“, die liegt. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.09.2016)

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