Über Gott und die Welt

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Themenbild(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Wollen wir ein wenig über „Gott und die Welt“ plaudern? Unverbindlich, unbekümmert. Doch Achtung: Schnell finden wir uns damit auf aktuellstem, brisantestem Terrain. Denn dies Thema ist zu einem Kampfthema in unruhiger Zeit geworden.

Wer ankündigt, über Gott und die Welt zu sprechen, darf mit einem wissenden Lächeln rechnen. Über Gottund die Welt – das ist eine Redensart, die fröhliche Unbekümmertheit ebenso signalisiert wie eine unverbindliche Beliebigkeit, die es sich erlauben kann, über alles Mögliche zu räsonieren, ohne thematische Fixierung, ohne gedankliche Verbindlichkeit, ohne Ergebnisorientierung. Gleichzeitig schwingt in diesen Bestimmungen auchein Moment von Freiheit mit: reden können, ohne sich auf etwas festlegen zu müssen, von einem zum anderen springend, dieses und auch jenes streifend, ohne jeden Anspruch auf schlüssige Argumentation oder angestrengte Überzeugungsarbeit.

Wer über Gott und die Welt spricht, löst keine Probleme, entschärft keine Konflikte und beugt sich auch nicht den Vorgaben der herrschenden Diskurse. Über Gott und die Welt zu reden könnte als anarchische Gesprächsform gewertet werden, die quer steht zu den Ansprüchen, die aneine zeitgemäße Kommunikationskompetenz gerichtet werden. Allerdings:Ganz so beliebig ist die Rede über Gott und die Welt dann doch wieder nicht. Es handelt sich dabei weder um Small Talk noch um jenen Tratsch, der Gerüchte über alles und jeden verbreitet. Wer über Gott und die Weltspricht, nimmt sich die Freiheit, auch einmal über jene großen Fragen zu sprechen, deren Erörterung entweder als wenig zielführend oder als unpassend empfunden wird. Wer über Gott und die Welt spricht, spricht manchmal buchstäblich über alles und nichts.

Hinter der Wendung „Gott und Welt“ verbirgt sich allerdings eine der präzisesten Formeln der europäischen Geistesgeschichte. Eigentlich erstaunlich, wie diese zum Inbegriff des Ungenauen, des Weitschweifigenund Abschweifenden werden konnte. Allein aus dieser Bedeutungsverschiebung könnte man eine These ableiten: Über Gott und die Welt zu sprechen konnte nur deshalb zu einem Synonym für Beliebigkeit werden, weil wir aus Gründen, die noch untersucht werden müssten, keine Lust mehr haben, über Gott und die Welt im Wortsinn zu reden. Und tun wir dies doch, dann in ebenjenem lockeren Tonfall, der sich ergibt, wenn man eben einmal wirklich über Gott und die Welt sprechen will.

Der Philosoph Robert Spaemann hatvielleicht deshalb seine Autobiografie unter den Titel „Über Gott und die Welt“ gestellt. Diese Autobiografie besteht aus einer Reihe lockerer Gespräche, die Stephan Sattler mit dem Philosophen geführt hat. Lebenserinnerungen wechseln mit Reflexionen, die Welt als Konglomerat von Orten, Stationen, Gefahren und Begegnungen kreuzt sich mit einem intellektuellen Werdegang, der seinen christlichen Hintergrund nicht verleugnet und sich auch mit der Frage beschäftigt, ob es denn noch vernünftige Gründe geben kann, an Gott zu glauben. Wer über Gott und die Welt spricht, wird diese Fragen wohl anschneiden. Insofern es aber seit Langem in der Philosophie die Überzeugung gibt, Gottesbeweise hätten sich seit Immanuel Kant erledigt, lässtsich das intellektuelle Faszinosum solcher Beweise wahrscheinlich am besten im Plauderton artikulieren. Wer über Gott unddie Welt spricht, verschafft sich dadurch die Möglichkeit, über Dinge zu sprechen, über die man sonst nicht mehr spricht, er verhandelt das Ernste im Ton des Unernsten und das Unernste im Stil des Ernsten.

Gott und die Welt: Mit diesen Begriffen war eine Wirklichkeitskonzeption auf den Punkt gebracht, die eine fundamentale Bipolarität, eine grundsätzliche Zweideutigkeit, eine unhintergehbare Differenz zu ihrer Voraussetzung erklärt. In verschiedenen Begriffspaaren mit je unterschiedlichen Bedeutungsnuancen schwingt diese Dichotomie mit. Begriffe und Konzepte, die an Gott anschließen, wie das Heilige, die Transzendenz,das Unendliche und Unsterbliche, ja, das Geistliche und der Glaube, stehen in Kontrast und Konkurrenz zum Profanen, zur Immanenz, zum Endlichen und zur Sterblichkeit, schließlich zum Weltlichen und seiner Vernunft. Man könnte, riskant genug, diese Polarität bis auf Aurelius Augustinus zurückführen. Augustinus stellte in seiner Betrachtung der Weltgeschichte zwei Reiche einander gegenüber: die Civitas terrena, das Reich des Irdischen, Weltlichen, mitunter auch Teuflischen, und die Civitas Dei, das Reich Gottes, wobei für Augustinus das Reich Gottes nicht zusammenfällt mit der real existierenden Kirche. Diese war für ihn nicht unbedingt der Vorgriff auf diese Herrschaft des Ewigen und Göttlichen.

Augustinus fasste nun – Erbe seines manichäischen Denkens – Geschichte als einen Kampf dieser zwei Reiche, dieser zwei Prinzipien auf: Weltlichkeit, Macht, Sinnlichkeit, Gier, Sexualität gegen Göttlichkeit, Transzendenz, Immaterialität, Geistigkeit, Askese. Es ist ein Kampf, der nach Augustinus die gesamte Geschichte von der Schöpfung bis zum zerfallenden Imperium Romanum seiner Zeit durchzieht. Geschichte wird also hier erstmals interpretiert als Rivalität zweier Prinzipien, ein Kampf, der irgendwann einmal mit dem Sieg des Guten über das Böse enden soll. Es war dies ein äußerst folgenreiches Konzept, das in seinen säkularisierten Formen bis in die Gegenwart weiterwirkt.

Brisant wird die Rede über Gott und Welt also deshalb, weil diese Reiche, diese Sphären einander nicht distanziert gegenüberstehen, sondern sich berühren, durchdringen, in Konflikt miteinander geraten und als Konkurrenten im Kampf um die Seele des Menschen auftreten. Gott und Welt stehen so einander auch nicht neutral gegenüber, bis heute ist zumindest in unserer Sprache die Erinnerung an die völlig unterschiedliche Bewertung dieser Dimensionen aufbewahrt. Die Welt war lange ein Synonym zumindest für die Verlockungen des Schmutzigen und Bösen. Sich der Welt hingeben, der Welt verfallen, der Welt unterwerfen bedeutet immer, sich von einem Glanz blenden lassen, hinter dem ein Verhängnis lauert. Die Welt war der Ort der Eitelkeiten und des falschen, unglücklichen Bewusstseins. Das mittelalterliche Denken kannte noch den Topos der „Frau Welt“, oft dargestellt als schöne, verführerische Frau, deren Rückseite ihr wahres Gesicht zeigt: einen vergänglichen, kranken, ekelerregenden Körper. Wer diesen Verführungen der Welt entgehen wollte, musste trachten, dem Getriebe der Welt zu entkommen und Zuflucht zu finden in jener anderen Sphäre, die dem Wahren, dem Reinen, dem Ewigen und Göttlichen zugeordnet war.

Gott und die Welt. Man könnte die damit verbundenen Vorstellungen, Wertungen und affektiven Einstellungen auch mit der Nomenklatur des Religionswissenschaftlers Mircea Eliade beschreiben, die dieser in den Fünfzigerjahren des vorigen Jahrhundertsentwickelte: das „Heilige“ und das „Profane“. Mit diesen Begriffen bezeichnete Eliade in erster Linie Ordnungsprinzipien des sozialen Lebens. Eliade vertrat die These, dass für den religiösen Menschen der Raum, in dem er lebt und der ihn umgibt, nicht „homogen“ ist, sondern Teile und Bezirke aufweist, die von allen anderen prinzipiell verschieden sind. Es sind „heilige“ Räume, die erst die Orientierung für die „profane Welt“ geben. ImBereich des Heiligen gelten andere Gesetze als im profanen Raum. Gott ist im heiligen Bezirk gleichsam in die Welt eingewandert und schafft so zur profanen Welt nicht nur einen Kontrast, sondern auch die oft ritualisierten Formen einer anderen Welt in dieser Welt. Die Faszination, die etwa Tempel und Gotteshäuser aller Art auch auf nicht religiöse Menschen ausüben, zeugt noch immer von der Kraft dieser Unterscheidung. Diese Doppelung oder Aufteilung der Welt wirkt aber auch in Zeiten fort, die sich der umfassenden Profanisierung verschrieben haben, Spuren einer „religiösen Wertung der Welt“ werden sich, so Eliade, immer finden und nicht austilgen lassen.

Wie solche Spuren aussehen, welcheFormen und Gestalten das Heilige in einer säkularisierten und profanisierten Welt annehmen kann, hat Umberto Eco schon vor Jahrzehnten in zahlreichen Essays, die in der deutschen Übersetzung sinnigerweise unter dem Titel „Über Gott und die Welt“ versammelt wurden, vorgeführt. Von Gott war in diesen Texten natürlich nicht mehr explizit die Rede, wohl aber davon, dass wir auf ein neues Mittelalter zusteuern und die islamische Welt generell zu einer theokratischen Vorstellung des sozialen und politischen Lebens zurückkehrt – dies schrieb Eco 1979. Aber auch die damals in Italien wütenden „Roten Brigaden“, also der linke politische Terrorismus, wiederholte für Eco in „gewalttätigen Formen ein von der Mystik geprägtes Szenario“: das „Verlangen nach leidvoller Zeugenschaft“, „Martyrium“ und „reinigendem Blutbad“. Vom islamischen Terror unserer Tage ließe sich wohl Ähnliches sagen – das sollte zu denken geben.

Doch abgesehen von diesen Exzessen, die nicht nur in einer religiösen Gestalt erscheinen, sondern vielleicht doch nur aus ihrem unmittelbaren oder verdeckten religiösen Gehalt zu verstehen sind, zeigt sich für Eco das Heilige in der profanisierten Welt auch und vor allem in der Massenkultur, vor allem im Film. „Superman“ und „Casablanca“ erfüllen nun die religiösen Urbedürfnisse des Menschen: den Wunsch nach einem Wesen, das als vollkommenes existieren muss, weil es als solches gedacht werden kann, und den Wunsch nach Erlösung vom Bösen. Ecovergaß dabei nicht, auf jene Definition des Heiligen zu verweisen, die der Religionswissenschaftler Rudolf Otto am Ende des Ersten Weltkriegs publiziert und an die auch Mircea Eliade angeschlossen hatte: Otto hatte das Heilige als das „Numinose“bestimmt, abgeleitet vom lateinischen Wort für göttliche Wesen. DiesesNuminose ist vor allem durch das Moment des „tremendum“ bestimmt, des Schauervollen, dann durch das Moment der „majestas“, des Übermächtigen, und schließlich durch das Moment des „fascinans“, des Anziehenden. Lange vor Rudolf Otto hat allerdings schon Søren Kierkegaard gewusst, dass „Furcht“ und „Zittern“ die adäquaten Erfahrungsweisen des Heiligen und damit die einzigen authentischen religiösen Gefühle darstellen. Die Bezirke des Heiligen, die topografischen so gut wie die imaginären, erzeugen dann auch in ihrer Resonanz – um mit Hartmut Rosa zu sprechen – jene Gefühle derFurcht, der Erhabenheit und der Attraktion, die dem Heiligen als emotionaler Erfahrungsraum korrespondieren. Entscheidend für diese Erfahrung ist, dass sie nicht als eine Erfahrung der Welt, sondern als eine Erfahrung jenseits der alltäglichen Erfahrungen erfahren wird. Es verwundert so wenig, dass in modernen, säkularisierten Gesellschaften mitunter diese religiösen Erfahrungen durch ästhetische Empfindungen substituiert werden konnten und die Kunsttempel zu jenen Orten wurden, die nun die profane Welt transzendieren.

Keine Frage, dass sich das Heilige in einerprofanen Welt in unterschiedlichen säkularisierten Formen erhalten kann – vom ästhetisch Erhabenen über die Unantastbarkeit der Menschenwürde bis zur Anbetung des Silicon Valley. Gerade Letzteres könnte tatsächlich als ein paradigmatisch heiliger Ort der Gegenwart beschrieben werden, auf den alleklassischen Bestimmungsstücke des Numinosen zutreffen: Macht, Faszinationund Erschrecken. Und nur wenigen Ausgewählten ist es erlaubt, diesen Ort zu betreten und mit den Hohepriestern der digitalenReligion in Kontakt zu treten. Wem dies gelingt, der erzählt davon und vondem, was er nun weiß und andere nicht wissen, in jenem Modus der Erleuchtung, der in früheren Zeiten Menschen charakterisierte, denen sich ein Gott mitgeteilt hatte. Und wie die biblischen Propheten verkünden die Jünger des Silicon Valley, dass wir alle untergehen werden, wenn wir nicht in uns gehen und uns „fit“ machen für die digitale Zukunft und ihre Verheißungen, die selbst schon wieder paradiesische Ausmaße erreichen: vom selbst fahrenden Auto über automatisierte Nahrungsmittelzustellung – wir bekommen eine Welt, in der Milch und Honig fließen – bis zur Unsterblichkeit.

Wie das alte, so zieht auch das neue Heilige scharf eine Grenze zur profanen Welt. Der Dualismus ist nicht auszurotten, und die Bewohner der profanen Welt sind immer diejenigen, die vom Heiligen Geist – Pardon: Spirit! – noch nicht erfasst worden sind. Wer heute über Gott und die Welt spricht, spricht auch immer über diesen Riss, der das Heilige vom Profanen trennt. Das durch Augustinus ins Christentum importierte manichäische Denken ist nicht allmählich verschwunden, sondern erlebt gerade in der Gegenwart eine neue Renaissance. Tatsächlich war schonlange nicht mehr so viel von einer gespaltenen Gesellschaft die Rede, von einer zerrissenen Welt, und es gehört auch zum Erbe der Rede über Gott und die Welt, dass die Welt, der Raum des Profanen, die reine Immanenz, auch der Ort der Trostlosigkeit ist. Hier tummeln sich die Unbelehrbaren, die Verstockten, die Unbeweglichen, die Verbitterten und die Ängstlichen, hier tummeln sich vor allem diejenigen, die den falschen Propheten folgen und ihren Verführungen unterliegen.

Natürlich, man soll die Säkularisierungsthese nicht zu weit treiben, und nicht alles, was in Vokabular oder Gestik an religiöse Kommunikationsformen und die dazugehörigen Formeln erinnert, indiziert im strengen Sinn eine Wiederkehr der Religion. Die findet schon dort statt, wo sich Gott nicht hinter den technoiden Euphemismen der Moderne verbergen muss, sondern als solcher angerufen werden kann, sie findet dort statt, wo heilige Schriften und die Worte der alten Propheten plötzlich wieder den Anspruch erheben, sich dem Raum desProfanen ganz entziehen zu können, aber der Welt ihre Ordnungsmuster oktroyieren wollen.

Ja, es stimmt, „Gott und die Welt“ ist zu einer Floskel der Beliebigkeit geworden, aber es ist auch die präziseste Formel dafür, was wirklich das Spannungsfeld der menschlichen Existenz ausmacht: die Dualität zwischen Immanenz und Transzendenz, Profanität und Heiligkeit, Wirklichkeit und Imaginärem, letztlich Vernunft und Glaube. Die Frage ist: Was geschieht, wenn diese Sphären sich wechselseitig aufsaugen? Der Gottesstaat, wie ihn radikale Strömungen im Islam verkünden, zehrt von der Idee, dass das Immanente vom Transzendenten beherrscht und die Differenz von Gott und Welt zum Verschwinden gebracht werden soll. Die moderne säkularisierte Lebenswelt versucht ebenfalls, diese Differenz zumindest in ihrer klassischen Form einzuebnen, jedoch in die andere Richtung. Nun gibt es keine Transzendenz, keinen Gott mehr, der außerhalb dieser Welt gedacht werden kann, Gott wird, im schlimmsten Fall, zu einer illegitimen Projektion, zu einem Opiat, zum Symptom einer Neurose, zu einem machtgeleiteten Betrugsmanöver, im besten Fall zu einer kulturhistorisch interessanten Chiffre für soziale Fragen.

Nicht nur die philosophische Debatte, vorallem die praktische Politik der Gegenwart hat sich an diesen widersprüchlichen Deutungen abzuarbeiten. Die aufgeklärte Position, die sich gerne Gott ohne die Welt und die Welt ohne Gott vorstellen wollte, lässt sich vielleicht theoretisch konzipieren, in der Praxis scheitert sie an jenenGläubigen, die, in welcher Weise auch immer, Gott selbst in der Welt am Werke sehen wollen und das Ihre dazu beitragen möchten. Wie sehr wir schonwieder in deren Bann stehen, lässt sich übrigensaus dem neuen Trend ableiten, dass auch liberale, nicht religiöse und nicht gläubige Menschen nun dazu aufrufen, einer Religionsgemeinschaft beizutreten, weil dadurch der soziale Zusammenhalt gestärkte werde. Man weiß nicht: Ist das eine Kapitulation der Aufklärung vor den neuen Herrschaftsansprüchen der alten Götter oder der hilflose Versuch, Religion ohne Gott wenn nicht zu denken, so doch zu praktizieren?

Angesichts solcher Entwicklung, die unter dem Titel einer Renaissance der Religion ein postsäkulares Zeitalter einläuten könnte, möchte man doch daran erinnern, dass die Hoffnungen des modernen Menschen nicht im Heiligen, auch nicht in der Sakralisierung des Profanen, sondern in der Weltlichkeit der Welt lagen. Der Begriff der Welt konnte und kann nämlich auch als Gegenbegriff zu den heiligen Orten der Furcht und des Zitterns gedacht werden, als Inbegriff dessen, was das Leben dem Menschen bieten kann. Im Begriff der Welt schwebte immer schon die Ahnung von der Zugehörigkeit zu einer planetarischen Gemeinschaft mit. In die weite Welt hinausziehen, sich eine gewisse Weltläufigkeit aneignen, den Menschen als ein weltoffenes Wesen begreifen – all diese Formulierungen deuten die Welt nicht nur als einen existenziellen Möglichkeitsraum des Menschen und als einen Sehnsuchtsort, sondern bestimmen Welt immer als einen größeren Zusammenhang, eine Totalität, wiesie in Hegels Begriff „Weltgeist“ zum Ausdruck kommt, eine raumzeitliche Einheit, wie sie im Begriff des „Weltalters“ noch mitschwingt, einen normativen Anspruch, wie er von Goethe etwa im Begriff der „Weltliteratur“ festgelegt wurde. Und in Kants Rede vom „Weltbegriff der Philosophie“ drückte sich der Gedanke aus, dass es der Philosophieletztlich um den Gesamtzusammenhang des Daseins gehen muss.

Der Begriff der Welt selbst enthielt so ein Konzept der Globalisierung, lange bevor diese auf Handel und Technik reduziert wurde. Welt bestimmt so den Horizont menschlichen Handelns überhaupt, und sie übersteigt immer den engen Rahmen der unmittelbaren Befindlichkeit. Allerdings: Es gibtauch die von Günther Anders in den 1930er-Jahren vorgebrachte These von der existenziellen „Weltfremdheit des Menschen“: derMensch als ein in dieser Welt unbehaustes Wesen, das sich seine Welt immer erst selbst bauen muss. Wer danach fragt, in welcher Welt wir eigentlich leben wollen, setzt genau diese Fremdheit in der Welt und die damit verbundene Offenheit der Weltgestaltung voraus.

Wer über Gott und die Welt spricht, kann in einem leichten Plauderton beginnen. Schneller, als man glaubt, sieht man sich gezwungen, sehr genau über diese Begriffe nachzudenken, weil es in ihnen um das Gegenteil der Beliebigkeit geht: Es sind tatsächlich die zentralen Fragen der Philosophie, die unter diesem Titel abgehandelt werden müssen. Die Unverbindlichkeit, die die Formel „Über Gott und die Welt“ nahelegt, hat dennoch – oder vielleicht deshalb – ihre Gründe. Von Theodor W. Adorno, der ja nichtunbedingt als Humorist in die Philosophiegeschichte eingegangen ist, stammt der schöne Satz: „Philosophie ist das Allerernsteste, aber so ernst wieder auch nicht.“ Wer über Gott und die Welt spricht, nimmt diesen Satz ernst – oder auch nicht. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.09.2016)

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