Fan 'e Fryske Letterkunde

„Expedition Europa“: im versackenden Friesland.

Es war in einem buckligen Keller der Uni Edinburgh, dass ich auf die zweite Amtssprache der niederländischen Provinz Friesland aufmerksam wurde: Da schwärmten mir Mitarbeiterinnen des Sprachprojekts „Scots“ von der fürstlichen Ausstattung des friesischen Sprachinstituts vor.

Nun kurve ich also in Westfriesland herum. Zugbrücklein über Kanälchen, einReetdach, Fähnchen aus roten Herzlein. Im Städtchen Dokkum schlafe ich gestreichelt von hellem Glockenspiel ein, und beim Kauf von 40 Milliliter Kräuterlikör warnt mich der Händler: „Mit Maß genießen!“ Die Friesen müssen mal schneidiger gewesen sein, sonst gäbe es im calvinistischen Friesland keine katholischeReliquie: Mit 80 ritt der heilige Bonifatius ein letztes Mal zur Bekehrung der Friesen aus; Dokkum hat einen Teil seiner Schädeldecke.

Da sich der schottische Separatismus das ganze britische Öl unter den Nagel reißen will und da auch die kleine „FryskeNasjonale Partij“ den Zugriff auf Gasvorkommen im Programm hat, beschäftigt mich der Fund unter dem Wattenmeer. Vier Milliarden Kubikmeter Gas, im betroffenen Küstenort Ternaard fordert aber eine Bürgerinitiative: „Lasst Friesland nicht versacken!“

Ich gehe in die „Fryske Akademy“. Den dauernd erweiterten Gebäudekomplex stellt ein eigener Bildband vor, das nur noch auf dem platten Land lebendige Friesische wird von 70 Mitarbeitern verwaltet, und das hat sie fett gemacht. Da ich nun in der Tür stehe, setzen sie mich in eine mannshohe, rot gepolsterte Gesprächskoje. Ein ernster Hüne kommt und sagt, er sei einer von vier „woordenboekschrijvers“ hier und habe keine Zeit. Meine Frage, wie viele Wörter er schon ins Wörterbuch geschrieben habe, findet er blöd. Ich mühe mich mit dem Zischlaut in „Frysk“. Der Friesologe sieht mich angewidert an.

„Mein Herr, was machen Sie da?“

Zum Glück haben sie in einem weiteren Großbau gerade die erste Konferenz „fan 'e Fryske Letterkunde“. Einer spricht soeben auf Niederländisch über „de lengte vanTsjêbbe Hettinga's versregels“ und amüsiert mit Selbstironie. Im vollen Saal leuchten weiße Haarmähnen, deren Gender und Geschlecht von hinten nicht immer auszumachen ist. Während der Kaffeepause höre ich viel Niederländisch. DerBlick geht auf ihr Wahrzeichen hinaus, auf den krummen Turm von Leeuwarden. Dieser begann 1529 abzusacken. Man hatte die Idee, auf zehn schiefen Metern senkrecht weiterzubauen, weshalb der Turm nun mehr als schief ist. Er sackt auch weiter ab. Ansonsten ist es ein guter Tag, der neue Paolo Coelho erscheint auf Friesisch.

Am Abend wieder in Dokkum, studiere ich das regionale Schrifttum. Mir scheint, das Friesische bläst den Abstand zum Niederländischen orthografisch auf – „ynternet“. Ich belausche die Menschen in den Bars. Aus der Ferne klingt esmanchmal wie Englisch. Das ist wohl das „Stadtfriesische“, von dem der gestresste Wörterbuchschreiber gesprochen hat. Ich reiße Artikel aus dem „Friesch Dagblad“ heraus: Der Friese, der in Burma durch Ziehen des Steckers eine buddhistische Zeremonie störte, bekam drei Monate. Ein Gericht brachte Entschädigungen für Opfer des Erdbebens voran, das Shell und Exxon-Mobil beim Gasbohren unweit in Groningen auslösten.

Am Nebentisch sitzen vier junge Frauen, drei blond. Eine kann nicht mehr an sich halten: „Mein Herr, was machen Sie da?“ Es trifft sich, dass die neugierige Dokkumer Stadtfriesin im neun Kilometer entfernten Ternaard aufgewachsen ist. Vom Vier-Milliarden-Gasfeld hat sie aber noch nie gehört. Wenn ich schon da bin, frage ich sie nach etwaigem friesischem Separatismus. Sie stutzt. Die Frage hat sie sich noch nie gestellt. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.10.2016)

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