Aufstehen, waschen, ankleiden, herrschen, sterben

 Wahlspruch „Viribus Unitis“. Gipsabguss der Hand Kaiser Franz Josephs. – Bis 27. November in der Ausstellung „Der ewige Kaiser“ in der Österreichischen Nationalbibliothek.
Wahlspruch „Viribus Unitis“. Gipsabguss der Hand Kaiser Franz Josephs. – Bis 27. November in der Ausstellung „Der ewige Kaiser“ in der Österreichischen Nationalbibliothek.(c) Wolfgang Freitag
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November 1916: Kaiser Franz Joseph, den Tod vor Augen. Chronik seiner letzten Tage.

Des Kaisers 84. Geburtstag am 18. August 1914 war kein großesEreignis gewesen. Franz Josephs Reich befand sich im Krieg. Wohl gab es die übliche Gratulationscour. Die Truppenführer in Serbien und in Galizien hätten dem Kaiser gerne die ersten entscheidenden Siege gemeldet. Doch eshatte lediglich ein paar größere Gefechte gegeben. Und in der Folge musste sich Franz Joseph daran gewöhnen, dass man ihm Niederlagen und gewaltige Menschenverluste meldete. Dann, im Mai 1915, war die Kriegserklärung Italiens gekommen, die Franz Joseph weder verhindern konnte noch verhindern wollte. Und die einzige einigermaßen authentisch überlieferte Äußerung des Kaisers lautete: „So werden wir halt jetzt zugrunde gehen.“ Er soll geweint haben.

Der Krieg ging weiter. Siege und Niederlagen wechselten sich ab. Franz Joseph musste schließlich akzeptieren, dass es der k. u. k. Armee nur mehr mit deutscher Hilfe möglich war, zum Erfolg zu kommen. Das war im Mai und Juni 1915 in Galizien und Russland derFall gewesen, im Oktober in Serbien. 1916 wendete sich das Blatt abermals. Die ausschließlich von österreichisch-ungarischen Truppen geführte Offensive in Südtirol scheiterte nach einigen Anfangserfolgen. Zeitgleich starteten die Russen eine Großoffensive, die fast zum Zusammenbruch der österreichischen Front im Osten geführt hätte. Wieder waren es nur die deutsche Truppenhilfe und die deutsche Befehlsführung, die das Schlimmste verhinderten. Der Preis, den Franz Joseph dafür zu zahlen hatte, war enorm und gipfelte in einem weitgehenden Souveränitätsverzicht.

Mit der Bildung der GemeinsamenObersten Kriegsleitung im August 1916 willigte der österreichische Monarch ein, dass in letzter Konsequenz nur mehr der deutscheKaiser über Fortsetzung oder Beendigung des Kriegs entschied, über Waffenstillstand oder Sonderfrieden und die damit verbundenen Folgen. Franz Joseph akzeptierte das. Damit hatte sich Europas ältester Monarch, der Erbe des römisch-deutschen Reichs, demdeutschen Kaiser untergeordnet. Doch Franz Joseph war – im Gegensatz zu seinem Generalstabschef Franz Conrad von Hötzendorf – Realist genug, um das Unausweichliche hinzunehmen. Er stellte die Weichen für die Zeit nach ihm.

Der Krieg musste weitergehen. Ein Verzichtfrieden kam für Franz Joseph nicht infrage. Eine Reichsreform, wie sie schon mehrfach angedacht und gefordert worden war, lehnte er ab. Und er wollte auch keine personellen Änderungen an der Spitze Österreichs wie Ungarns und noch weniger eine Änderung in seiner engsten Umgebung. Auch wenn einige seiner Berater fast so alt waren wie er selbst. Sie bildeten einen „geriatrischenZirkel“ und hielten den Monarchen mithilfe der Tagesroutine am Leben.

Gerade das Beharrungsvermögen des Kaisers und die Einflussnahme seiner engstenUmgebung ließen in Deutschland die Bereitschaft, in Franz Joseph den letztverantwortlichen Entscheidungsträger von Deutschlands wichtigstem Verbündeten zu sehen, schwinden. Im September 1916 ging man so weit, die Möglichkeit einer zwangsweisen Resignation Franz Josephs in den Raum zu stellen, um an seine Stelle einen Regenten zu setzen, der den deutschen Wünschen und Forderungen bereitwillig folgen würde. In einerDenkschrift für den Ersten Generalquartiermeister, General Erich Ludendorff, hieß es im September 1916 recht ungeniert: Sollte sich Kaiser Franz Joseph einer von Deutschland gewünschten Neuordnung seines Reichs widersetzen, müsste der Kaiser „unter einem sanften, überzeugenden Druck“ zur Abdankung gezwungen werden. Man sollte denn auch gar nicht mehr auf den alten Kaiser setzen, sondern sich in erster Linie um dessen Nachfolger, Erzherzog Karl Franz Joseph, bemühen.

Die Gedanken mussten nicht weitergesponnen werden, denn plötzlich, am 21. Oktober 1916, begannen sich die Ereignisse zu überstürzen. Es war ein Samstag. Franz Joseph war an diesem Tag, wie im Winterhalbjahr üblich, statt um drei Uhr früh erst um 03.30 Uhr aufgestanden. Nach dem Waschen und Ankleiden begann er in seinem Arbeitszimmer mit der Erledigung von Akten. Um 07.50 Uhr kam der Chef der kaiserlichen Militärkanzlei, Generaloberst Artur Freiherr vonBolfras, mit den militärischen Tagesmeldungen. Er blieb eineinhalb Stunden. Auch das war üblich, denn Franz Joseph verbrachte mit niemandem in seiner Umgebung so viel Zeit wie mit Artur von Bolfras. Um 09.45 Uhr kam der österreichisch-ungarische Generalstabschef, Generaloberst Conrad von Hötzendorf. Er blieb volle zwei Stunden. Conrad wollte kein Ende finden. Er war aus Teschen angereist und trachtete, den Termin exzessiv zu nützen. Vor allem vom Kriegsschauplatz Siebenbürgen gab es Erfreuliches zu berichten. Nach fast drei Stunden Meldungen über das Kriegsgeschehen kam für acht Minuten der Präsident der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, Geheimer Rat von Berzeviczy. Um 11.55 gab es – wie es im Tagesjournal des Flügeladjutanten heißt – das sogenannte Allerhöchste Frühstück. Schon nach einer Viertelstunde setzte Franz Joseph seine Audienzen fort und empfing den Gemeinsamen Finanzminister Baron Ernest von Koerber. Im November sollte die 5. Kriegsanleihe begeben werden, mit der Geld für ein weiteres halbes Jahr Kriegführung in die Staatskassen gespült werden sollte.

Dann wurden wieder Akten erledigt. Und irgendwann gegen 15 Uhr informierte manden Kaiser, dass der österreichische Ministerpräsident, Karl Graf Stürgkh, erschossen worden war. Das war genau jenes Ereignis, das die Ordnung ins Wanken brachte, die Franz Joseph um jeden Preis beibehalten wollte.

Wie sehr ihm die Tat naheging, wissen wir nicht. Dabei musste sich der Kaiser sagen, dass die Ermordung des österreichischen Ministerpräsidenten durch Friedrich Adler indirekt auch ihm gegolten hatte. Denn es war „seine“ Politik, die Graf Stürgkh zu vollziehen hatte, es war „sein“ Krieg, und es war „sein“ Ministerpräsident. Ein Fanal. Und dennoch: Rein äußerlich schien sich für Franz Joseph nicht viel verändert zu haben. Um 17 Uhr an diesem 21. Oktober war Allerhöchste Familientafel mit vier Gedecken angesagt. Drei Familienangehörige leisteten dem Kaiser bei einem bescheidenen Abendessen Gesellschaft. Dann endete der Tag für ihn. Er war gesundheitlich nicht auf der Höhe, hatte sich etwas erkältet. Doch es solltenichts an seinem Tagesablauf ändern. Er beförderte, ernannte, verlieh, nahm zur Kenntnis und entschied.

Und am darauffolgenden Tag stand FranzJoseph wieder um 03.30 auf. Um 07 Uhr war Allerhöchster Kirchgang angesagt – es war Sonntag. Nach einem halben Dutzend Terminen kam am Nachmittag jener Mann, den sich Franz Joseph als Nachfolger für den ermordeten Ministerpräsidenten wünschte: Ernest von Koerber. Noch vor seiner Audienz war eifrig gegen ihn intrigiert worden. Die Militärs wollten einen der Ihren als Ministerpräsidenten haben. Der Kommandant der Südwestfront, Erzherzog Eugen, telegrafierte dem Kaiser, dass „staatliche und vor allem dynastische Interessen in dieser schweren Zeit zur Aufrechterhaltung der Ruhe im Innern und insbesondere für die Erhaltung der guten Stimmung an der Front eine kraftvolle militärische Verwaltung“ erforderten. Doch Franz Joseph hatte anders entschieden. So wie er schon in den Jahren davor gegen eine Militarisierung der Zivilverwaltung gewesen war, sollte auch jetzt kein General an die Spitze der österreichischen Regierung kommen. Er befahl den Gemeinsamen Finanzminister Ernest von Koerber zu sich. Der erbat sich Bedenkzeit, denn bevor Koerber die undankbare Aufgabe übernahm, die er schonzwischen 1900 und 1904 zu meistern gesucht hatte, wollte er sich mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Istvan Graf Tisza treffen und die anstehenden Probleme des Dualismus besprechen.

Am 25. Oktober mittags kam Ernest von Koerber abermals zum Kaiser und lehnte die Übernahme der Ministerpräsidentschaft ab. Franz Joseph wollte es nicht hinnehmen und soll sich der Schilderung Koerbers zufolge halb aus seinem Sessel erhoben haben, „totenbleich, die Augen vorquellend“, und er habe die Hände fast flehentlich erhoben und „mit der Stimme eines Gemarterten“ gerufen: „Haben Sie denn gar kein Mitleid mit mir?“ Koerber fürchtete jeden Moment, dass ein Schlaganfall den Kaiser töten könnte. Die Szene muss auf den designierten Ministerpräsidenten wie ein Schock gewirkt haben. Er fügte sich, knüpfte an seine Bestellung aber Bedingungen. Wieder vergingen dieTage, ehe Koerber am 30. Oktober dem Kaiser den erfolgreichen Abschluss seiner Bemühungen meldete. Nach mehr als einerWoche war die Regierungskrise beendet. Sie hatte den Kaiser viel Substanz gekostet, doch er hatte seinen Willen durchgesetzt. Und seine Tage nahmen wieder das Bild gewohnter Routine an.

In bunter Reihenfolge und so, wie sie gerufen wurden oder um eine Audienz angesucht hatten, kamen die Menschen im Minuten- oder im Stundentakt, der päpstliche Nuntius, Kardinal Scapinelli, zur Abschiedsaudienz, tags darauf, am 31. Oktober, sein Nachfolger, Kardinal Valfré di Bonzo, kamen Generäle und Würdenträger. Am Sonntag, 1. November, Mittag, erfolgte die Vereidigung des Ministerpräsidenten und der neuen österreichischen Regierung, dann kamen der Präsident des Obersten Gerichtshofs, Baron Max Vladimir Beck, Unterrichtsminister von Hussarek-Heinlein und der Minister des Äußern Graf Burián. Der bunte Reigen setzte sich fort. Minister und Militärs kamen und gingen. Dann, am 6. November, erfuhr der Besucherreigen eine erste noch nicht wirklich merkbare Veränderung. Es kamen immer häufiger Familienmitglieder, um den Kaiser zu besuchen. Am Vormittag des 8. November machten Erzherzog Franz Salvator und die Kaisertochter Marie Valerie die Aufwartung. Am Nachmittag folgte Erzherzog Leopold Salvator. Zwei Tage später kam abermals die Erzherzogin Marie Valerie, mit ihren Kindern. Am Nachmittag besuchten Marie Valerie und Tochter Hedwig den alten Herrn ein drittes Mal. Und wieder einen Tag darauf kamen Franz Salvator, Marie Valerie und Erzherzog Friedrich. An diesem Tag, dem 11. November,trug der Flügeladjutant in das Tagesjournal mit Bleistift ein: „S. M. krank“.

Franz Joseph laborierte an einer beginnenden Lungenentzündung. Der Obersthofmeister, Fürst Montenuovo, machte sichwohl keine Illusionen über den Ernst der Situation und schrieb am 10. November anden Obersthofmeister des Thronfolgers, den früheren Minister des Äußern Leopold Graf Berchtold, nach Siebenbürgen: „ Nur 2 Wortein Eile, um dir zu sagen, dass der Zustand S. M. leider noch nicht gebessert ist. Letzten Abend sogar 37,6, also etwas Fieber, heute Früh wieder fieberfrei nach guter Nacht. S. M. arbeiten wie gewöhnlich, empfangen von Früh bis Abends – Morgen König von Bayern – und würde es mir nie verzeihen, dass ich diese Zeilen schreibe.“

Berchtold mochte das für sich behalten haben, doch der Thronfolger, Erzherzog Karl,war ähnlich informiert worden. Tags darauf hieß es dann aus Wien, Franz Joseph habe 38,4 Grad Fieber. Er hatte wohl nicht von sichaus den Wunsch geäußert, dass der Thronfolger nach Wien kommen sollte. Auf Drängen seiner Umgebung willigte er schließlich ein. Erzherzog Karl übergab das Kommando seiner Heeresgruppe und fuhr los. Trotz der bevorzugten Abfertigung kam der Hofzug des Thronfolgers nur langsam weiter. Erzherzog Karl meldete sich erst tags darauf beim Kaiser. Wieder kann man bestenfalls mutmaßen, was besprochen worden ist, denn bei keinerAudienz wurde etwas notiert. Es waren Vieraugengespräche. Karl vermied es aber offenbar, wirklich wichtige Themen anzusprechen. Und er rechnete damit, dass der Kaiserbald sterben würde. Während Franz Joseph trotzdes steigenden Fiebers weiterhin alles tat, umNormalität zu zeigen, den Minister des Äußern, den ordenbehängten Fürsten Wilhelm von Hohenzollern und seine Kabinettsdirektoren empfing, fuhr der Thronfolger nach Schloss Wartholz in Reichenau an der Rax und begann sich auf die Übernahme der Regierungsgeschäfte vorzubereiten.

Dabei zeigten sich erste Konfliktfelder. Karl wollte einen raschen Waffenstillstand und Frieden mit Rumänien, ohne territoriale Forderungen zu stellen. Er wollte die Entwaffnung Rumäniens und nur das Recht zum Durchmarsch, um k. u. k. Truppen gegenRussland dirigieren zu können. Berlin wollte mehr. So billig sollte Rumänien nicht davonkommen. Als Nächstes wollte Karl vom österreichischen Ministerpräsidenten Koerber wissen, wann der das im März 1914 sistierte österreichische Parlament einberufen wolle. Koerber „drehte und wand“ sich, notierte Graf Berchtold. Unter den gegebenen Umständen könne er nicht dazu raten, hieß es. Schließlich ging es noch um die Frage des Oberbefehls über die Armee und die Flotte. Sollte Karl den Oberbefehl noch vor dem Toddes alten Kaisers, nachher und überhaupt übernehmen? Er schwankte.

Bei allen diesen für den Thronfolger wohlbesonders wichtigen Themen suchte er aber nicht das persönliche Gespräch, sondern bediente sich einiger weniger Personen seines Vertrauens, um die entsprechenden Fragen zu stellen. Das Mitglied des Herrenhauses Karl Max Egon Fürstenberg musste mit Koerber über die Einberufung des österreichischen Reichsrats sprechen. Graf Berchtold sollte bei Minister Burián sondieren, wie er zur Übernahme des Armeeoberkommandos durch Karl stünde. Der wusste keine Antwort.

Währenddessen verließen den alten Kaiser die Kräfte. Er wollte nur mehr einige wenige Menschen seiner engsten Umgebung sehen: die jüngste Tochter Marie Valerie, Fürst Montenuovo, General Bolfras und die beiden Kabinettsdirektoren. Dass ihn Frau Schratt besucht habe, ist eine der vielen Legenden, die sich um den Tod des alten Kaisers ranken. Sie stimmt nicht.

Noch immer galt es Akten zu erledigen und gab es die Tagesmeldungen von den Kriegsschauplätzen. Die Abstände zwischenden einzelnen Terminen, die der Kaiser an seinen letzten Lebenstagen wahrnehmen wollte, wurden größer. Eine Diarrhoe verschlechterte sein Befinden.

Der 21. November war ein wolkiger, ein wenig windiger, doch schöner Tag. Der Obersthofmeister erhielt 16 Minuten, die Erzherzogin Marie Valerie 20 Minuten, der aus Reichenau zurückgekehrte Erzherzog Karl mit seiner Frau sechs Minuten. Gewissermaßen abschließend notierte der Flügeladjutant: „Vormittag 10 Uhr verrichteten S. M. Allerhöchst seine Andachten. Abends 9 Uhr 5sind S. Majestät sehr sanft überraschend schnell verschieden.“

Franz Josef hatte den Tod mehrfach vor Augen gehabt: 1848 im Gefecht bei Santa Lucia in der Nähe von Verona hatte er seine Feuertaufe erhalten, ohne wirklich in Gefahr gewesen zu sein. Entgegen dem, was Joseph Roth in seinem „Radetzkymarsch“ zum Ausgangspunkt seiner Erzählung machte, war Franz Joseph in der Schlacht von Solferino weit entfernt und nie so gefährdet, dass er vom Leutnant Trotta hätte gerettet werden müssen. Doch natürlich sah er Tote und sah das Sterben auf dem Schlachtfeld, zum zweiten und letzten Mal in seinem Leben. Er weinte am Sargseines Sohnes Rudolf und vor allem am Sarkophag der Kaiserin Elisabeth. Über die Toten des Weltkriegs vergoss er keine Tränen, zumindest nicht im Beisein anderer. Nur die Möglichkeit, dass sein Reich zugrunde gehen könnte, ließ ihn weinen.

Im Frühjahr 1914 hatte man tatsächlich mit seinem Tod gerechnet, als er eine schwere Lungenentzündung nur knapp überlebte. Dann kam der Krieg, und der Kaiser bemühte sich von 1914 bis in den November 1916, Österreich-Ungarn wie bis dahin zu regieren, er traf Entscheidungen und widerrief sie nicht. Bei wenigen Gelegenheiten war er nochmit Außenstehenden in Berührung gekommen: wenn man ihm in Schönbrunn Ovationen bereitete oder ihm zu seinem 85. Geburtstag gratulierte. Doch im Großen und Ganzen war er unsichtbar geworden, drohte zu versteinern, ein Monument seiner selbst.

Dass er längst ein Symbol geworden war, dürfte ihm bewusst gewesen sein, ein Symbolfür die noch bestehende Einheit des Reichs und ein Symbol für Gewesenes, für gute und für schlechte Tage, die er im Zeichen seiner Devise „Viribus Unitis“ mit seinen Völkern durchlebt hatte. Er war für drei Generationenprägend geworden und schien „schon immer dagewesen“ zu sein. Der ewige Kaiser.

Unzählige Nachrufe wurden geschrieben,jene aus den Reihen der Feinde der Habsburgermonarchie sorgten für Empörung,denn vielleicht hatte man sich doch eine gewisse verbale Zurückhaltung erwartet. Die italienische Presse fand nur abfällige Worte. In Frankreich hieß es: „kein Bedauern“. Auch die österreichische Emigration schloss sich dem Chor der Hasser an.

In Österreich-Ungarn wurden wie bei besonderen Gelegenheiten Plakate affichiert, die mit der Anrede „An Meine Völker“ begannen. Der neue Kaiser, Karl I., in Ungarn König Karl IV., teilte den Völkern des nun von ihm regierten Reichs den Verlust seines Großonkels mit. Dem Wunsch des neuen Herrn entsprechend, sollten die Menschenihr Geld aber nicht für Trauerkleidung ausgeben, sondern stattdessen Trauerabzeichen kaufen, deren Ertrag dem Militär-Witwen- und Waisenfonds zugutekommen sollte.

Tage später wurden dann auch Passagen aus dem Testament Franz Josephs veröffentlicht. Der Letzte Wille des Kaisers war eine Art Notariatsakt ohne Stempelgebühr. Nüchtern, ohne Reflexionen über ein Leben an derSpitze eines Großreichs. Da hieß es in einer etwas altertümelnden Ausdrucksweise: „Meinen getreuen Völkern sage Ich Dank für die treue Liebe, welche sie Mir und Meinem Hause in glücklichen Tagen und in bedrängten Zeiten bethätigten“; und unter Punkt 15: „Auch Meiner Armee und Flotte gedenke Ich mit den Gefühlen gerührten Dankes für ihre Tapferkeit und treue Ergebenheit. Ihre Siege erfüllten Mich mit freudigem Stolze, unverschuldetes Missgeschick mit schmerzlicher Trauer.“ Franz Joseph hatte dieses Testamentschon 1901 geschrieben und es offenbar nicht für nötig gefunden, etwas daran zu ändern. Er fand kein Wort über diesen „seinen“ Krieg und die bis dahin vielleicht 700.000 Toten seines Reichs. Natürlich wusste man nicht, dass das Testament schon 15 Jahre davor geschrieben worden war. Es las sich ja noch immer aktuell, ohne es zu sein. Franz Joseph fand jedenfalls keine Worte für die sich anbahnende Katastrophe. Vielleicht hatte er das Gefühl, es wäre ohnedies schon alles gesagt worden. ■

AVISO: „Die Presse Geschichte“

Zum 100. Todestag widmet „Die Presse“ Kaiser Franz Joseph eine Ausgabe ihrer „Geschichte“-Reihe. Das Magazin erörtert auf 120 Seiten seine Erfolge, Krisen, Niederlagen. Erhältlich im Einzelhandel sowie unter diepresse.com/geschichte. € 8,90;
für „Presse“-Abonnenten € 6,90.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.11.2016)

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