Zauberer gesucht

Ein zukunftsorientiertes Programm soll er erarbeiten, teamorientiert soll er sein und neue Publikumsschichten gewinnen. Kann das genügen? Am 9. Dezember endet die Bewerbungsfrist für die Wiener Staatsoperndirektion: dringliche Ergänzungen zum offiziellen Jobprofil.

Noch ein paar Tage lang ist der Posten des Wiener Staatsoperndirektors ausgeschrieben, eines künstlerischen Geschäftsführers, ja, natürlich auch einer Geschäftsführerin. Gefordert werden – laut Ausschreibung – die künstlerische und organisatorische Gesamtleitung des Hauses sowie die Vertretung nach außen, die Erarbeitung und Umsetzung eines zukunftsorientierten künstlerischen Programms für die Wiener Staatsoper unter Berücksichtigung der Weiterentwicklung des Repertoires und der Gewinnung neuer Publikumsschichten, ja, neben der Leitung des Hauses die nationale und internationale Positionierung der Wiener Staatsoper.

Gesucht wird eine teamorientierte Persönlichkeit mit Erfahrung in der Leitung eines Musiktheaterunternehmens oder vergleichbaren Erfahrungen, die die Stellung der Wiener Staatsoper zukunftsorientiert weiterentwickelt.

Nichts steht da von einer Zauberin oder einem Zauberer, die oder der gebraucht wird, um jene staunende Erwartung, die im Raum schwebt, sanft zu fassen und mit dem Bühnenrahmen zu versehen, dann, wenn das Publikum, über die Stehplatzbrüstung gebeugt, die ersten Töne erwartet. Jene zu findende Person, die quasi den Zauberstab in der Hand hält, der allabendlich die Musik im Raum in einer Inszenierung für alle Sinne, von Licht und Duft, erschafft, muss so unbeugsam wie verantwortlich, so fantasievoll wie auch bescheiden den immer wieder aufs Neue zu belebenden seelenlosen Körper erwecken. Christoph Schlingensief nannte es einmal Intensivstation – der Zauberer leitet ein Intensivteam.

Herausgehoben aus dem Alltag, im Kostüm des Festtags sitzt das Publikum den ebenso kostümierten Figuren der Aufführung gegenüber, konkurrierend einander im Auge behaltend, die beiden Ensembles, jenes auf und jenes gegenüber der Bühne. Wie schön, wenn sie einander berühren oder gar die Plätze wechseln; das Publikum folgt den Wegen, die der Zauberstab schlägt, in der Hand der Regisseure, wie Konwitschny einer ist.

Neben der sorgsamen Verwaltung des Opernalltags und der behutsamen Beschützung der Magie – der duftenden Sinnlichkeit beraubt in all den Webvarianten – sollte der Gesuchte Dichter und Komponisten, Dichterinnen und Kompositionen zum gedeihlichen Gespräch verbinden – Mozarts Idee vom „wahren Phönix aus einem gutem Komponisten und einem gescheiten Poeten“ – und aus den angebotenen Ideen ein Angebot ans Publikum machen; mit all der Neugier, die ihm nach der langen Organisationsarbeit noch geblieben ist, und mit allem Respekt die Musikschaffenden ermutigen, ihnen sanft die Regeln seines Hauses ans Herz legend, nicht als Fesseln, sondern als guter Rahmen, also einer, der Musiker und Musikerinnen und das gesamte Ensemble bestärkt, das unbekannte Neue mit Energie und Enthusiasmus zu verkörpern.

Wenn es, wie im Wien Museum 1999, eine Ausstellung des ungebauten Wiens gab, wenn auch 2006 im Mozart-Jahr Deutschbauer/Spring eine Programmschiene der abgelehnte Projekte eröffnen wollten, dann ist die unveröffentlichte Liste der ungewordenen Opernwerke der Wiener Staatsoper schmerzlich und die Stille der ungehörten Musik ein Verlust: Jelinek-Neuwirths Opernstoff eines pädophilen Kärntner Arztes zählt dazu oder auch Werner Pirchners ungeschriebene Oper, sie sind an die Wasseroberfläche des Meeres der Verluste gestiegen. All die anderen Enttäuschten, Abgeschasselten sind untergetaucht – entmutigt.

Welch ein Glück, dass die Opernfischer von Osnabrück bis Mannheim, von Bielefeld bis London, von München über Schwetzingen bis Donaueschingen die Opernschätze aus Österreichs Gegenwart und unmittelbarer Vergangenheit auflesen und präsentieren. So können sich Georg Friedrich Haas oder Bernhard Lang oder Johanna Doderer oder Olga Neuwirth erproben, denn es braucht mehrere kompositorische Versuche, die Gesetze der Bühne und des Formats Oper zu erkennen und zu verinnerlichen.

Seltsam wenig ist die Oper theoretisch erfasst worden; während Drehbuchschreiben ein Fach ist, ist die Librettologie eine junge, schmale Wissenschaft. Es gibt keine Libretto-Ausbildung, keine Libretto-Schreibschule in Österreich, nicht einmal ein Dramaturgiestudium. Das gibt den Impresarii besondere Verantwortung, sie brauchen Vorstellungskraft und Intuition für Themen der Opernbühne. Stoffe sind aufzunehmen, die unsere Welt bereichern und Auswege bieten.

Wenn Oper nicht nur ein steriler Abstellraum der musealen Aufführungen ist, dann genießt sie die Reibung des Widerstands der Moralisten, der religiösen Gruppen, der, nein, nur mancher politischer Parteien. Dann ist sie nicht Putz, sondern vielmehr Notwendigkeit, nicht Erinnerung, sondern Vorbereitung auf Erkenntnis. Es sind moderne Mythen, ungeglättet und noch nicht abgelegt in den Geschichtsbüchern, die das Musiktheater von heute erzählen soll, und es darf sich einen Namen aus dem Genre-Rahmen Oper wählen; „Oper“ oder auch„Ode“ oder „Opernode“, „Theater für ein Opernhaus“, „Dramma musicale“ oder, zum Beispiel, „Inszeniertes Konzert“.

Oper geht uns nahe, der oratorische Pazifismus des Ernst Krenek in „Pallas Athene weint“ oder der Krankenhauszyklus, den gerade dieser Tage, im Herbst 2016, das Sirene-Operntheater erfunden und erbaut hat. Sie hat mit uns und wir haben mit ihr zu tun, oder mit manchen von uns. Sie gibt uns etwas auf und bestärkt uns nicht in Vorurteilen.

Wenn Rennfahrer- und Boxer-Opern, Spitalsdramen und Opern über Wendehälse wie jene von Richard Dünser über „Radek“ ihr Publikum finden, warum dann in der Staatsopern-Verbannung? Die Hundertscharen des zeitgenössischen Musiktheaters, die ins Museumsquartier oder ins Akzenttheater pilgern, die des Musiktheaters wegen in Spielorte wie Hallenbäder oder Hofstallungen wandern, würden auch in die Staatsoper kommen. Warum sie also nicht einladen, in Form von Kooperationen, einer Neubelebung des Staatsopern-Studios, einer Gastspielkooperation? Warum das Risiko nicht gemeinsam tragen? Und den Erfolg auch?

„Es ist keine Koketterie, wenn ich behaupte, nicht berechtigt zu sein, über Oper zu referieren. Ich bin nur Opernkomponist, weil mich Oper fast immer nur als Lächerlichkeit langweilte oder als Peinlichkeit empörte und so zum Versuche provozierte, es besser oder anders zu machen. Es sei vorweggenommen, dass ich keine fünf Opern bis zum Ende durchgestanden habe“, antwortet Otto M. Zykan ungefähr in den 1980er-Jahren auf die Frage „Oper heute?!“. So sehr die Operngeschichte ein Ideenpool ist, so wenig ist Kontinuität allein Qualität. Opernerlebnis ist nicht Besserwisserei im simplen Hörvergleich.

Oper in all ihrer Obszönität und Vulgarität ist Projektionsfläche für Moral und Zensur, der Altarraum der konzentrierten Aufmerksamkeit – eine Erfindung Gustav Mahlers im 20. Jahrhundert – gilt nur der Disziplinierung des Publikums, nicht der Glättung der Themen: Die an Uraufführungen arme Ära Gustav Mahlers musste der Zensur wegen „Salome“ an Graz abtreten. Paul Hindemiths „Sancta Susanna“ ist bis heute Reibungsfläche der christlichen Religiosität oder Sexualmoral.

Moral und Oper, Prüderie und Exzess sind Nachbarn in der Schwüle des Opernhauses: Sex auf der Bühne wie in Richard Strauss' „Rosenkavalier“ zwang die Generation der Groß- oder Urgroßmütter zum entrüsteten Wegsehen oder gar zum Rückzug aus den vorderen Reihen der Loge. Allerdings, die Rache des Opernbaues: Gerade der hintere Teil der Logen in den Opernhäusern galt weniger dem Hören, sondern der körperlichen Erfrischung in jedweder Weise.

In der Ausschreibung der Stelle des Operndirektors fehlt die Arbeitsplatzbeschreibung. Das ist die (Staats-)Oper: das Zentrum einer Stadt, Verkehrsknoten, gern gewählter Treffpunkt und bestes Haus. Staatsoper ist die begehrteste Location der Stadt, angemietet von Verlagen, politischen Verbänden und Jazzfestivals. Der Jazz glänzt im roten Samt der Staatsoper, Parteireden – die CDU hielt 1947 ihren Parteitag in der Berliner Staatsoper ab, SPD und KPD 1946 in der Staatsoper Admiralspalast – bekommen einen güldnen Rahmen.

Oper und Politik sind ein Geschwisterpaar, verwandt und doch gegensätzlich, die Oper selbst verdankt sich kaiserlicher und fürstlicher Hochzeitsfeierlichkeiten; das außergewöhnliche und unauflösbare Ereignis der Hochzeit sollte als politischer Pakt mit der außergewöhnlichen Ausgabe einer Opernaufführung besiegelt werden.

Man braucht gar nicht in der Operngeschichte bis zu Verdi als politischemOpernkomponisten zurückzugehen um die Dimension der Opernbühne zu erfassen, sondern nur die Meldung der New York Times vom 19. November dieses Jahres zu lesen: Da trat nach einer Aufführung des Musicals „Hamilton“ – der letal endenden Geschichte um den ersten US-Finanzminister – einer aus dem Ensemble vor und richtete an den designierten Vizepräsidenten die intensive Bitte, die Werte des Landes und seine Menschen zu achten. Umgehend forderte der designierte Präsident auf Twitter eine Entschuldigung.

Die Realität des Spiels ist bedrohlich: Der Zauberstab wirkt weit über die Bühne hinaus, über das Dunkel des Publikumsraumes hinaus. Die Verantwortung betrifft nicht nur Plakatwände auf den Baugerüsten des Hauses. Oper rüttelt an politischen Einstellungen, an religiösen Überzeugungen, an Erinnerungen. Sie will nicht gedeutet, illustriert und wiederholt werden, sie will immer neu aufgeführt werden. ■

Geboren in Wien. Dr. phil., Mag. artium.Lehrtätigkeit an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien. Musikjournalistin bei Ö1. Herausgeberin der Texte OttoM. Zykans in den beiden Bänden „Zykan – Staat – Kunst“ und „Zykan – Weise – Poesie“ (Hollitzer Verlag, Wien).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2016)

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