Putsch, Bombe und Red Bull

„Expedition Europa“: durch die Unruheherde des Balkans.

Ich fahre über den Balkan, von einem Unruheherd zum nächsten. Da man nie weiß, wie lange es noch geht, führe ich die Begehung in Tschecherln durch, bei Slibowitz und Viljamovka-Birne.

Spuž, Montenegro, ein Vorort von Podgorica. Im bekannten Spužer Gefängnis sitzen zwölf Bürger Serbiens für einen angeblichen Putschversuch am Wahlabend des 16. Oktober ein. Es ist dunkel, schmutzigweiße Straßenköter unter nassem Nebel. Die umliegenden Häuser sind schwer geschützt. Erst im September wurde ein Häftling, als er im Gefängnishof seine Runde drehte, von einem Heckenschützen abgeknallt. Gegenüber der Haupteinfahrt eine Bar. Im ersten Stock ist das „Lepenac“ ein Rohbau, im Erdgeschoß bin ich der letzte Gast.

Die blondierte Wirtin wirft den Ofen an, zu meinem Tisch weht keine Wärme her. Ich frage sie, ob sie den Häfen je von innen sah. Sie verneint, bekreuzigt sich. Ich lese die Tagespresse. Laut Regierungszeitung „Pobjeda“ hat sich Oberputschist Dikić beim Einschlagen einer Glasscheibe geschnitten, laut Oppositionsblatt „Dan“ wollte er sich mit einem Glassplitter umbringen. Ich bitte die Wirtin um Aufklärung. Sie: „Das sind Geschichten für kleine Kinder“, so wie die Versprechen einer besseren Zukunft in Europa. „Gehen Sie ins Spital, das ist nochauf dem Standard von König Nikola.“ Sie schaut nur den Oppositionssender „Vijesti“. Und den Wetterbericht.

„Fragen Sie die Polizei!“

Jajinci, Serbien, 450 Kilometer nordöstlich, liegt in den Hügeln vor Belgrad. An neuen Straßen stehen neureiche Villen. Ein sonniger Nachmittag. Hier wurden kurz nach dem Montenegro-Putsch Waffen gefunden, auf der Zufahrt zum Haus des Vaters von Premierminister Aleksandar Vučić. Serbien ermittelt wegen eines Attentatsversuchs auf Vučić. Statt Kaschemmen finde ich im Nobelort Bankettrestaurants. Im „Oaza“ zwei gedämpft debattierende Herren. Ihre Meinung verraten sie nicht: „Fragen Sie die Polizei!“

Zubin Potok, 400 Kilometer südlich, befindet sich im Nordkosovo. 93 Prozent sind Serben. Der zu Brüssel bekehrte Exnationalist Vučić hat ihnen eine Autonomie ausgehandelt, deren Umsetzung wegen Tränengasschlachten kosovo-albanischer Politiker aussteht. Zubin Potok ist doppelt im Gerede: Am 15. Oktober pilgerten sechs hiesige Burschen ins montenegrinische Kloster Ostrog. Sie wurden als Putschisten verhaftet, tags darauf aber freigelassen. Und am 3. April war auf die Sporthalle von Zubin Potok ein Anschlag verübt worden, mit einer Bombe und MG-Salven – kurz vor einem Auftritt von Vučić. Dieser erklärte dazu: „Alle in Zubin Potok wissen ungefähr, aus welcher Küchedas kam.“ Er nannte keine Namen.

Als ich die lang gezogene Hauptstraßeentlanggehe, rast ein weißer Kleinwagen durch. Plötzlich büchst er auf den Gehsteig aus, auf einen Passanten zielend, der zur Seite springt. Da der Passant unbekümmert weiterspaziert, nehme ich dies als joviale Grußart hin. Der Kellner im leeren Restaurant lobt: „Hier ist es schön ruhig.“ Gegen zehn folge ich einemStrom junger aufgetakelter Frauen. West-Techno und Red Bull im „Clubbing“, das um ein Uhr schließt. Der letzte Sammelpunkt ist die Imbissbude, Hotdogs oder Palatschinken mit Marmelade, Nutella oder billigerer „Eurokrem“. Nun können wir reden. Einige kommentieren denSporthallenanschlag vom April nicht, einer nennt ihn „lange her, so drei Jahre“.

Ein Recke mit soldatisch scharfem Profil, hagestolz besoffen, geht auf das heruntergekurbelte Fenster eines herbeigefahrenen Wagens zu. Seiner Miene nach zu urteilen, erschießt er den Fahrer gleich. Es folgt jedoch eine herzliche Begrüßung. Spuž, Jajinci und Zubin Potok stehen wohl für die harmloseren Unruheherde. An die anderen fahre ich auch. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.12.2016)

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