Ein Busen für den Genossen

„Expedition Europa“: über die Zünder zur Sprengung Bosniens.

Ich fahre über Unruheherde des Balkans. Sitze, trinke, lausche. So im Zentrum von Sarajewo, einer Exklave für bosnische Bobos. Ein Museum arbeitet die Belagerung zusammen mit Srebrenica auf, als Kunstprojekt, auf Englisch. Ich gehe ungläubig über die „Heckenschützen-Allee“. 14.000 Tote zwischen 1992 und 1995: War die Belagerung von Sarajewo nicht das größte Verbrechen? Ein „Menschenrechts-Filmfestival“ zeigt zum Abschluss einen schönen leeren Essay-Stadt-Film. Zwei der sieben Macher tragen die gleichen taubengrauen Jeans, den gleichen anthrazitgrauen Pullover, sprechen gleich toll Englisch und fahren sich ähnlich reflexiv-subversiv durchs Haar. Seid ihr Brüder, frage ich sie. Irrtum. Der eine ist Bosnier, der andere Portugiese.

Zünder zur Sprengung Bosniens liegen überall. Eben verhafteten Kriegsverbrechern demonstrieren Kroaten Solidarität, angefangen vom Kardinal. Gebanntes Warten auf den 9. Jänner, auf das 25-Jahr-Jubiläum der serbischen Entität. Das Referendum über diesen Feiertag wurde vom Verfassungsgericht vorher verboten und hinterher annulliert.

Ich will „Serbisch-Sarajewo“ sehen. Es darf nicht mehr so genannt werden, doch führt die Republika Srpska verstreute Stadtränder als „Stadt Ostsarajewo“. Wo 1914 Franz Ferdinand ermordet wurde, steige ich in den Bus 103. Er endet im Wohnmassiv Dobrinja. Ich laufe durch Lukavica, angewachsen durch die Aussiedlung von Sarajewo-Serben 1996. Die breiten Straßen und das kühle Bunt der neuen niedrigen Wohnblöcke haben etwas Sibirisches. Die Sberbank im neuen Rathaus.

Schnaps, der nach Labor schmeckt

Ich esse in einem ungeheizten Čevapčići-Grill. Der Birnenschnaps schmeckt nach Labor. Nie wieder Krieg, sagen ältere Männer. Im Straßenbild fallen mir die vielen Soldaten auf. Ich setze mich ins „MOCKBA Moskau“, eine geheizte Café-Bar. Auch hier entspannt ein Soldat. Ich trete näher. „Ja, wir sitzen dienstlich im Café.“ – „Was ist das für eine Uniform?“ – „Die von Bosnien. Aber alle haben ihre eigene Armee. Kroaten, Serben . . .“

Ich fahre nach Kumanovo, Mazedonien. Das Land steht auf der Kippe eines zweifachen Bürgerkriegs, mazedonisch-albanisch und Regierung–Opposition. Nach zwei Verschiebungen wird am11. Dezember endlich gewählt. Kumanovo empfängt mich mit verfeuerter Braunkohle, als brüchig hinbetoniertes Massiv grauer Plattenbauten. Am 9. Mai 2015 erschütterten 13 Stunden des Horrors das albanische Viertel: Acht Polizisten und 14 kosovarische Terroristen waren tot.

Das albanische Viertel heißt „Divo Naselje“. Armselige Flachbauten, der Tatort liegt in der Straße mit den üppigen Villen. Der Staat hat rasch entschädigt, anstelle der kaputt geschossenen Häuser stehen schon drei mehrstöckige Neubauten. Es fehlt nur der Putz. Verschleierte Hausfrauen, vor der Tür ein Dutzend orientalischer Flachschuhe. Kumanovo ist auch die mazedonische Stadt mit dem höchsten Anteil von Serben. Am späten Abend finde ich im Zentrum eine Art einsehbare Wohnküche. Ich trete ein. Genosse Tito blickt an Pamela Andersons Busen vorbei, eine Lokalrunde kann ich für zehn Euro schmeißen. Geheizt wird das „BakusProm“ nicht. Die Gäste sind ältere Käuze, „Serben, schon halb Mazedonier“.

Der einzige Junge ist Anwalt, stammt aus der Republika Srpska und will mir im Rausch von einem großen Dilemma erzählen: 600 oder 6000 Kumanover würden auf eine Nato-Basis ins nahe Kosovo pendeln, für 6000 Euro monatlich. Sein anwesender Onkel sei Koch in Afghanistan: „6000 Euro!“ Andere Arbeit gebe es nicht. Die Älteren ziehen den Jungen von mir weg. Es läuft Tennis, und sein Onkel ruft: „Ich liebe Putin, Trump und Djokovic.“ Weiters ruft er: „Ich bin Bosnier!“ Und küsst seinen Neffen. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.12.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.