Dietmar Grieser: Wer war "Lili Marleen"?

Wie eine Gemüseverkäuferin und eine Hilfskrankenschwester aus dem Berlin des Jahres 1915 in das berühmteste Lied des Zweiten Weltkriegs kamen. „Lili Marleen“: der Schlager, der keiner hätte werden dürfen.

Das Jahr 1952, mein Volontariatsjahr beim „Pfälzischen Merkur“ in Zweibrücken, der Kleinstadt an der pfälzisch-saarländischen Grenze, in deren Umkreis seit mehr als zwei Jahrhunderten meine väterliche Familie ansässig war. „Heimatpresse“ nannte man nach 1945 jenen Typ Regionalzeitung, für deren Abonnenten die Berichterstattung über Müllabfuhr, Kaninchenzuchtoder den jüngsten Tanzkursabschlussball mehr Gewicht hatte als die großen Ereignisse aus Politik, Wirtschaft und Kunst. Wir waren drei festangestellte Redakteure; ich, der Praktikant, hatte gerade das Abitur hinter mich gebracht.

Unser Büro war nachkriegsbedingt dürftig ausgestattet, die vier Schreibtische waren eng aneindergerückt, das einzige Telefon „gehörte“ dem Chef. Nur für diskrete Gespräche mit Gewährsleuten, die uns „heikle“ Informationen lieferten, gab es ein Kammerl, zu dem aber ein Frischling wie ich keinen Zutritt hatte. Unter diesen geheimnisumwitterten Besuchern war ab und zu auch ein etwa 40 Jahre alter, gut aussehender und sehr selbstbewusst auftretender Herr, von dem ich nur wusste, dass er in der nächstgelegenen Hauptstadt, Kaiserslautern, für den Regionalsender Südwestfunk arbeitete und Karl-Heinz Reintgen hieß. Reintgen, so sickerte irgendwann durch, hatte während des Krieges eine wichtige Rolle im Rundfunkwesen der Wehrmacht gespielt, undzwar im 1941 von den Hitler-Truppen besetzten Jugoslawien. Sein besonderes Verdienst sei es gewesen, den Militärsender„Radio Belgrad“ aufgebaut und mit der Entdeckung und Verbreitung eines Soldatenliedes groß gemacht zu haben, von dessen fünf Strophen ich damals nur den Refrain „Wie einst Lili Marleen“ kannte. Nach und nach erfuhr ich mehr: Obwohl weder vom Text noch von der Melodie her als „nazistisch“ belastet, galt das balladenhafte kleine Werk im Nachkriegsdeutschland als verpönt und wurde von keinem der dortigen Rundfunksender ausgestrahlt. Aber war es denn mehr gewesen als ein schlichtes, allenfalls rührseliges Liebeslied – diese Geschichte vom jungen Wachposten, der vor dem Einrücken an die Front davon träumt, seine Liebste wiederzusehen, „vor der Laterne, vor dem großen Tor“?

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