Thomas Bernhard und das Elend der Übersetzer

„Ein übersetztes Buch ist wie eine Leiche.“ So weit Thomas Bernhard, dessen weltweite Wirkung andererseits nicht zuletzt darauf beruht, dass sein Werk heute in rund 75 Sprachen vorliegt. Über die Widersprüchlichkeiten literarischer Übersetzungen.

Ein übersetztes Buch ist wie eine Leiche“: Bei den Übersetzern zählt die auf den ersten Blick offenkundige Abqualifizierung ihres Tuns zu den verinnerlichten Formulierungen jenes Autors, den sie unter Aufbietung all ihrer Fähigkeiten und Kompetenzen in ihre jeweilige Muttersprache übersetzen und dadurch sein Verdikt widerlegen (wollen). Jene, die mit dem Werk eng vertraut sind, wissen, dass Thomas Bernhards Urteil in einer Unterhaltung mit Krista Fleischmann fiel, und zwar in Madrid, in einem 1986 gedrehten Fernsehfilm, „Die Ursache bin ich selbst“, und werden in ihm die auf den äußersten Punkt getriebene Pointe des wie üblich auf Wirkung bedachten Dampfplauderers und sich selbst schauspielernden Bernhard erkennen und entsprechend zu relativieren suchen, wie es bereits die zeitgenössischen Rezensenten taten, die ihn als Verdammungskünstler oder großen Humoristen feierten und damit zugleich abtaten. Und diejenigen, die nur auf beschränkte Lektüreerfahrung mit dem Werk zurückgreifen können, wissen zumindest so viel von den über Bernhard kursierenden Meinungen und werden die Äußerung als charakteristische einstufen: als die des Übertreibers, der alles und jedes angreiftund heruntermacht in einer dafür eigens bis zum Virtuosentum entwickelten Beschimpfungssprache. Mit der Konsequenz: Die Sätze sind nicht so gemeint, wie ihr wörtliches Verständnis nahelegt.

Eine solche Interpretation zwingt sich auf, wenn man eine zum Kalauer und deshalb zum Werbespruch seines Verlags avancierte Passage aus einem anderen Starinterviewauftritt heranzieht: „Ausstrahlen! Und das nicht nur weltweit, sondern universell. Jedes Wort ein Treffer. Jedes Kapitel eine Weltanklage. Und alles zusammen eine totale Weltrevolution bis zur totalen Auslöschung.“ Denn wie kann man der eigenen Schreibweise die Möglichkeit zutrauen, mit jedem einzelnen Kapitel in einem eigenen, unverwechselbaren Stil und Inhalt Absatz für Absatz die Weltrevolution zu entfachen, wenn gleichzeitig die Übersetzungen der aufrüherischen Parolen in alle Sprachen der Welt, unvermeidlicherweise bis zur Unkenntlichkeit entstellt, bei den potenziell Aufständischen ankommen?

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.