Martin Leidenfrost: Kukuruz heute sehr korrupt

In der Serie „Expedition Europa“: Nachrichten aus der Walachei.

Ich will die Beliebtheit von Liviu Dragnea verstehen. Inmitten eines Krieges gegen die Korruption, der eine Tausendschaft Mächtiger vor Gericht zerrte, hat der Chef der rumänischen Sozialdemokraten PSD eine beinahe absolute Mehrheit geholt. Gleich nach der Wahl setzte der vorbestrafte Dragnea den Eilerlass OUG-13 durch. Er sah vor, Amtsmissbrauch unter einer Schadenssumme von 200.000 Lei straffrei zu stellen. Dragnea stand nämlich vor einer weiteren Verurteilung, für eine kleine Korruption in seinem Kreis Teleorman, 100.000 Lei. Die Unverfrorenheit von OUG-13 löste in Bukarest und Siebenbürgen die Winterrevolution 2017 aus.

Teleorman liegt in der Walachei, von 380.000 Einwohnern sind 55.000 berufstätig und 100.000 Pensionisten. Teleormanist der Kreis mit den niedrigsten Löhnen. Liviu Dragnea hat den Kreis von 1996 bis 2012 regiert, seine PSD bekam hier 62 Prozent. Ich komme von Westen, ab der Teleorman-Tafel wird die Straße edel. Ich fahre in die Hauptstadt Alexandria. Ihr Stadtplaner hieß Ceauşescu.

Ich betrete die Kreisbücherei mit einem blöden Spruch: „Ist das die berühmte Bibliothek von Alexandria?“ Ich sage auch gleich, dass ich das Phänomen Dragnea verstehen will. Eine reife hagere Bibliothekarin lächelt dünn: „Reden Sie mit den Pensionisten, die den ganzen Tag in der Fußgängerzone sitzen! Dann werden Sie verstehen.“ Sie zeigt mir, was sie über Teleorman hat, eine zerfledderte Monografie aus dem Jahre 1998. Ich erfahre daraus, dass im 19. Jahrhundert die Kategorie der Bauern mit zwei Rindern die größte war.

Nach der Winterrevolte 2017

Ich suche die junge Antikorruptionspartei USR. Sie ist umgezogen, aber die hübscheKreissekretärin der korruptliberalen Regierungspartei ALDE hat Langeweile und führt mich spontan hin. „Ich bin unpolitisch“, sagt sie, „mache nebenbei die Ausbildung zur Kosmetikerin.“ – „Ist das besser bezahlt als Politik?“ – „Ja. Ich gehe weg und mache einen Schönheitssalon in Kalkutta auf.“ Zwar war sie noch nie in Indien, ich lobe ihren Businessplan jedoch. Dann sitze ich im Restaurant von USR-Kreisobmann Nicuşor Lina. Monate nach den Demos hat er noch Stimmprobleme, „von den Minusgraden“. Die Kampagne in den Dörfern war schwer, er wurde als Soros-Mann beschimpft, „Soros kauft ganze Länder, ihr wollt uns verkaufen“. Lina glaubt, die PSD werde „aus Angst und aus Gewohnheit“ gewählt. Ich wende ein: „Immerhin hat Dragnea Straßen gebaut.“ – „Und wozu?“ – „Hm, zum Spazierenfahren.“ – „Um Kukuruz spazieren zu führen?“

Ich schaue mir Dragneas eingezäunte Villa an. Ich kenne seinen Garten aus dem verliebten Gartenträumvideo, das ein X-Faktor-Barde mit Dragneas Tochter Alexandra gedreht hat. In Alexandria schimpfen viele auf Dragnea. Einer behauptet, die Baufirma TelDrum, die in guten Jahren Straßen um 100 Millionen Euro baut, gehöre dem Sozialdemokraten. „Pirelli wollte ein Werk bauen, Dragnea will aber keine Investoren. Er würde Mitarbeiter verlieren oder müsste ihnen mehr zahlen.“ Nach einer Tirade gegen Dragneas Gier gesteht der Chef der Taxifahrerinnung: „Ich habe übrigens ein PSD-Parteibuch. So verhandelt es sich leichter mit den Kreisbehörden.“

Ich gehe an den Ursprung der Causa, zum Jugendamt. Dragneas damalige Frau Bombonica hat im Jugendamt zwei Frauen angestellt, die in Wirklichkeit für die Partei arbeiteten. Vor dem Jugendamt sitzt ein junger Gemüsebauer. Von zwei Hektar kann er gut leben, sagt er. Er hat PSD gewählt, „die tun viel, auch unser Dorf ist jetzt asphaltiert“. Von der Jugendamt-Causa hat er nie gehört, behauptet er. Er sitzt hier, weil seine Freundin ein Kind von einem anderen hat und die Familie das Sorgerecht anficht. „Aber ich glaube, das wird gelöst.“ Da kommt die Freundin auch schon heraus, gelöst. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.05.2017)

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