Bei den grantigen Bischöfen der Kultur

Eine Aufführung bei den Salzburger Festspielen ist als Wunscherfüllung der Eliten eine katholische Messe des 19. Jahrhunderts. SAMSTAG, 15. JULI 2017 DIE PRESSE.COM/SPECTRUM Festspiele in der spezifisch österreichischen Version sind Weihespiele. Ein Bild aus Salzburg.
Eine Aufführung bei den Salzburger Festspielen ist als Wunscherfüllung der Eliten eine katholische Messe des 19. Jahrhunderts. SAMSTAG, 15. JULI 2017 DIE PRESSE.COM/SPECTRUM Festspiele in der spezifisch österreichischen Version sind Weihespiele. Ein Bild aus Salzburg.(c) Wolfgang Freitag
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Wer wollte in die Oper gehen, wenn das Puff selbstverständlicher wäre? Es muss den Menschen eingetrichtert werden, welche Wünsche sie haben, und dabei muss der Triebverzicht hochgehalten werden. Eine Glaubensgemeinschaft namens Hochkultur: Nächste Woche beginnen die Salzburger Festspiele.

Manchmal wird eine daran erinnert, wie sehr es darum geht, zwischen Wünschen und Leidenschaften zu unterscheiden. Einen Wunsch, den hat einer oder eine. Leidenschaft, das ist die Person. Ein Wunsch treibt. Leidenschaft bestimmt das Handeln.

In einer Zeit und einer Welt, in der die Kultur sich nur noch leistet, was sich auszahlt, kann es nur um Wünsche gehen. Ja. Wünsche sind der Motor allen Handelns. Das, was sich auszahlt, ist die Wunscherfüllung der Wünsche anderer. Im Bestreben, das Wunscherfüllungsbegehren dieser anderen zu erfüllen, um davon das Leben bestreiten zu können. Darin wird dann kulturelles Schaffen jeder Art ganz einfach zum Handel. Die Bemühung, die Wunscherfüllung zu optimieren und dabei über sich selbst als Wunscherfüllungshersteller oder Wunscherfüllungsherstellerin vollkommen zu verfügen, das stellt die Person in den Dienst der Wünsche. Die Person gerät in Abhängigkeit von den Wünschen. Leidenschaft wird dadurch lediglich simuliert.

Im Dienstleistungssektor Hochkultur gibt es viele große Schauspielerinnen und Schauspieler dieser Simulation, die in ihrer Rolle aufgehen und sich in der Art des frühkindlichen Allanspruchs die Simulation als Leidenschaft glauben. Aber Wünsche haben immer mit der Frühkindlichkeit zu tun, und um herauszufinden, ob eine Person wunscherfüllend oder leidenschaftsgetrieben auftritt, wird die Biografie der jeweiligen Person wichtig. Das war nicht notwendig, als der Werkbegriff das Verhältnis zur Kunst regelte. Da konnte, ja musste von der Person abgesehen werden und die Frage beantwortet werden, ob ein Ganzes geschaffen worden war. Oder nicht.

Der Begriff Werk beschreibt heute nichts und damit alles. Und. Wir leben in einer postchristlichen Kultur. Die christlichen Religionen haben ihre Deutungsmacht verloren. Übrig geblieben ist die Verstrickung der Sinneinheiten „etwas für wahr halten“ und „etwas für richtig halten“ im Begriff des Glaubens. In diesem Begriff sind Wünsche und deren Anspruch auf Erfüllung als umfassende Lebensform ausgedrückt, in die eine Person sich hineinarbeiten kann und damit den Glauben in eine Leidenschaft verwandeln. Glaube ist Antwort, und die Fragen ergeben sich. Die Wünsche des einen Gotts müssen erforscht und verinnerlicht werden. Gott muss das Innere übernehmen, und es ist diese innere Herrschaft des Glaubens an die Wünsche dieses Gottes, die die Person in die Leidenschaft versetzt.

In unserer geschichtlichen Situation müssen wir diesen Vorgang der Besetzung des Inneren durch einen langen Erziehungsprozess zum Wunscherfüller oder zur Wunscherfüllerin dieses Gottes und vor allem des Kinds Jesus, das einer oder einem ja das Modell dieser Werdung sein musste, immer noch als Modell nehmen, dessen Überwindung erst eine selbstbestimmte Person aus uns machen könnte. Eine selbstbestimmte Person, das bedeutete, dass eine Leidenschaft zwar auch biografisch gedeutet werden kann, dass diese Leidenschaft aber ausschließlich mit der Innerlichkeit der Person zu tun hat und nicht auf der Stufe des Wunscherfüllens stehen geblieben ist und in keiner Weise über das Modell der Frommheit hinausgegangen ist.

Fromm ist also, wer Wünsche erfüllt. Am frommsten ist jemand, der die Wünsche anderer mit den eigenen zusammenführen kann und diese dann erfüllt. Diese Formel beschreibt unsere Hochkultur, wie sie etwa in Festspielen betrieben und vor allem subventioniert wird. Festspiele in der spezifisch österreichischen Version sind so Weihespiele. Was früher zur Feier des eine Einheit symbolisierenden katholischen Gotts betrieben wurde und einem vagen Volksbegriff Ausdruck war, das ist heute eine Wunscherfüllung, die darin staatserhaltend ist, dass sie ein kollektives Wünschen vortäuscht.

Arbeitszwang und Triebverzicht beruhen auf der Erlernung der göttlichen Wünsche als Vorschriften für das eigene Leben. Das ist der Zustand des inneren Lebens eines männlichen Lebens im 19. Jahrhundert. Damals war diese Innerlichkeit auf dem Weg zur totalen Säkularisierung der christlichen Kultur in Richtung Nationalismus, und folgerichtig wurde daraus dann der Nationalsozialismus. In der österreichischen Situation teilte sich dieser Weg dann in den Austrofaschismus und das Verbleiben in der katholischen Ableitung und dem Verbot, diese Konstruktion zu überschreiten. Der Nationalsozialismus benutzte den christlichen Weg zur Frommheit und ließ ihn in ein irdisches „Paradies“ der Wunscherfüllung des kindlichen Allanspruchs in Rasse und damit schicksalshafter Auserwähltheit enden.

Unsere Kultur in Österreich hat sich vollkommen und ohne Ausnahme in das Modell der ansäkularisierten Wunscherfüllung zurückbegeben. Das ist die Rückkehr ins 19. Jahrhundert. Das 20. Jahrhundert, in dem die Folgen des 19. Jahrhunderts in der allerschrecklichsten Weise gelebt und gelitten werden mussten. Das 20. Jahrhundert wird durch die Hochkultur selbst außer Kraft gesetzt.

Es handelt sich nicht um eine Verdrängung oder Leugnung. Nein. Im Gegenteil. Das 20. Jahrhundert muss noch das Argument für diese Rückkehr abgeben. Das geht jedoch nur, weil es um die Frommheit der Wunscherfüllung geht, die – wiederum in Anlehnung an die Geschichtslosigkeit der Konstruktion katholische Kirche – in vollkommener Geschichtslosigkeit aus den Schicksalen des 20. Jahrhunderts Exempel macht, die zur Benutzung als Gleichnisse herhalten müssen. Auch das ist Teil der Konstruktion einer Frommheit, die in Wunscherfüllung wirtschaftlich handelt. Waren können keine Würde haben, und wir wissen aus der Sozialgeschichte, dass die Hersteller von Waren mit der Industrialisierung der Herstellung ebenso jede Würde verloren haben. Die Arbeiterbewegung ist ja doch der wilde Kampf um eine Würde, die die Abwertung der Ware durch das Fließband und der Entfremdung der Herstellung einspricht. Der Facharbeiter konnte sich ja noch durch die Herstellung eines Produkts als Ganzer verantwortlich und damit würdig fühlen.

In Österreich. Jedenfalls im Reden der diversen Eliten wird die Geschichte des 20. Jahrhunderts, zu Anekdoten verkommen, nicht einmal vergessen. Das ist verständlich. Wenn die Verdrängung der eigenen Wünsche und die Übernahme der Frommheit die grundlegende Bauform eines Inneren ist. Wenn durch diesen Prozess kein Eigenes im Inneren zugelassen werden darf, weil das die Überwindung dieser inneren Konstruktion bedeutete und kulturell als Katastrophe vermittelt wurde.

Geist, als Energie einer solchen Überwindung der vermittelten Frommheit und die herstellende Findung eines Selbst, muss verdammt werden. Verdammung ist heute – wie im 19. Jahrhundert – eine Maßnahme staatlicher Bürokratie. Das Gesetz, das den bildenden Künstlern und Künstlerinnen nicht mehr erlauben will, ihre Materialien steuerlich abzusetzen. Das ist eine solche Verdammnis des Geists, und folgerichtig findet sich kein Verständnis. Vor allem nicht bei den Eliten, die eine solche Maßnahme insgeheim total richtig finden. Schließlich erfüllen bildende Künstler und Künstlerinnen per definitionem keine Wünsche, sondern machen Setzungen. Das wiederum sind Ergebnisse des Prozesses der Überwindung der christlichen Aufträge, die eigenen Wünsche in den Dienst der kollektiven Wunscherfüllung zu stellen.

Eine Aufführung bei den Salzburger Festspielen ist also als Wunscherfüllung der Eliten eine katholische Messe des 19. Jahrhunderts. Der Kontext macht das, und auch das beschreibt eine katholische Messe, die ja ein Setting braucht und verschiedene Rollen besetzt, um das Ritual der Vergewisserung durchführen zu können.

Deshalb war es schon richtig lustig, einer Diskussion über die Salzburger Festspiele auf Servus TV zuzusehen. Grantige Bischöfe saßen da herum und waren ein bisschen wütend. Frau Husslein war ein besonders grantiger Bischof, der immer nur in die Debatte hineinschrie, dass die Politik sich endlich aus der Sache heraushalten soll. Die sollen das Geld aufbringen und sonst still sein, denn sie, der postkatholische Superbischof, sie erfüllt ja schließlich die Wünsche des Publikums und weiß, wie das geht. Mit der Messfeier. Eine solche Person der Macht in der Hochkultur. Die hat nun wiederum dasselbe Problem wie die Priester schon immer. Es muss den Menschen eingetrichtert werden, welche Wünsche sie haben, und dabei muss der Triebverzicht hochgehalten werden. Wer wollte in die Oper gehen, wenn das Puff selbstverständlicher wäre.

Die dünne Decke der Zivilisation muss zur Bemäntelung der Frommheit herhalten, will so ein Quasi-Bischof an der Macht bleiben. Auch hier gibt es eine Tradition des Österreichischen, die hier anwendbar ist. Der verachtete Aufsteiger steigt auf, um selbst verachten zu können. Also glüht der Bischof vor Verachtung und lockt damit die Aufsteiger an. Salzburger Festspiele als das Außen verachtende und ausschließende Kollektiv hält ja in schöner abstrakter Form die Technik des Verachtens in Erinnerung. Und es kommen viele, die das lernen wollen. In kulturellem „Genuss“ sich auserwählt fühlen und richtig und damit sich insgesamt als richtig bezeichnen zu können. Das ist die teure Eintrittskarte wert, und die barocke Umgebung spottet über die Ausgeschlossenen mit. Hurra.

Wie aber schon in der Kirche ist das alles langweilig. Zwar greifen die herrschenden Verhältnisse in genau der postchristlichen Personenkonstruktion der Wunschregelung in die Personen ein. Aber Shoppen ergibt eine sofortige Wunscherfüllung und beruht nicht auf so komplizierten Verdrängungsprozessen wie so eine Hochkultur. Doch vielleicht genügt ja das Shoppen für das Ereignis, und das positive Erlebnis setzt sich aus dem Shoppen für das Ereignis und den Auftritt beim Ereignis mit den geshoppten Versatzstücken zusammen. Das Publikum wird so auch besser Teil der Veranstaltung. Und das bleibt das alles. Veranstaltung. Hospitalisierung in kompliziert komplexer Anordnung. Unmündiger gegenseitiger Applaus. Verschleierung von Ausbeutungsverhältnissen. Würdelos.

Der Unterschied zum 19. Jahrhundert ist dann aber, dass die Zurichtung in die Frommheit nicht verordnet werden kann. Das System dieser Zurichtung ist eng und die Sexualisierung des Privaten zunächst sicher ein gutes Mittel der Bindung. Aber ohne Leidenschaft bleibt auch das langweilig. Weil aber Leidenschaft kein Interesse an Geld oder einer Messung hat, deshalb stehen die Chancen schlecht, die Leidenschaft als sinnstiftende Sinneinheit durchzusetzen. Die Leidenschaft als auf die Wahrheit dringende Findung und Forschung und Darstellung hat mit der Brüchigkeit einer solchen Anlage wenig Versprechungen auf Rettung bereit. Die Freiheit aber vom Wahnsystem all der postchristlichen Frommheiten, von der Werbung über die Techniken, das Selbst dahin zurückzuoptimieren, bis zur Hochkultur, die mit den äußersten Zirkusleistungen das Puff ersetzt. Diese Freiheit ist so kostbar und in sich lohnend, dass von Zeit zu Zeit davon geschwärmt werden muss. ■

Marlene Streeruwitz

Geboren 1950 in Baden. Prosa und Theaterstücke. Hesse-, Hasenclever-, Rosegger-, Droste-, Nabl-Preis etc. Zuletzt bei S. Fischer: „Yseut“, ein „Abenteuerroman in 37 Folgen“. Kommenden Herbst bei S. Fischer: „Das Wundersame in der Unwirtlichkeit – Neue Vorlesungen“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.07.2017)

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