Ein Porträt und seine Geschichte: Wer war dieses Mädchen?

Auch fehlt die Signatur. Porträt, Öl auf Karton, Wien-Rodaun 1938.
Auch fehlt die Signatur. Porträt, Öl auf Karton, Wien-Rodaun 1938.(c) Illustration Janina Mic.
  • Drucken

Alles beginnt in Perchtoldsdorf um 1995. In der Auslage einer Trafik entdecke ich das rätselhafte Bildnis einer unbekannten jungen Frau, das mich ab da nicht mehr loslässt. Wenn die Heimat Feind wird: Geschichte einer Spurensuche.

Die Geschichte beginnt in einem baufälligen, mittelalterlichen Haus in der Brunner Gasse in Perchtoldsdorf, dessen Besitzer im Erdgeschoß eine Trafik betreibt und nebenbei mit Altwaren handelt. Es ist um das Jahr 1995, als ich im Vorbeigehen im Schaufenster der Trafik ein darin ausgestelltes Bild bemerke, das augenblicklich mein Interesse weckt, so sehr, dass ich meinen eiligen Weg unterbreche, um es mir genauer anzusehen. Es ist ein in Öl gemaltes Brustbild einer jungen Frau, eher noch eines Mädchens, dessen Alter ich auf 15 oder 16 Jahre schätze. Den Kopf hält die Unbekannte gegen die rechte Schulter geneigt, der Blick ist gesenkt. Sie wirkt in sich gekehrt und bedrückt. Auffallend ist die künstlerische Qualität des Bildnisses, bei welchem nur Kopf und Hals des Mädchens sowie der Hintergrund ganz ausgeführt sind, wohingegen Schultern und Brustbereich skizzenhaft unfertig bleiben. Auch fehlt die Signatur. – Wer hat das Bildnis gemalt? Wer ist das porträtierte Mädchen? Weshalb ist das Bild unvollendet geblieben?

Ich betrete das Geschäft und erkundige mich nach dem Bild. Auf meine Anfrage wird mir von einem kräftigen, dunkelbärtigen Mann, in welchem ich den Geschäftsinhaber zu erkennen glaube, bestätigt, ja, das Bild sei verkäuflich. Wir werden uns rasch handelseinig, und ich gehe zur nahen Bank. Minuten später bin ich mit dem geforderten Betrag in der Hand zurück. In der Trafik steht jetzt auch eine kleine, ältere, sichtlich erregte Frau. Sie ist, wie sich herausstellt, die Ehefrau des Trafikanten, die über ihren Mann äußerst erzürnt ist. Er habe gar nicht ihre Zustimmung, das Bild zu veräußern. Das Bild gehöre ihr und sei unverkäuflich. Es sei das Porträt ihrer allerliebsten, inzwischen verstorbenen Jugendfreundin Lisl, deren Familie damals, in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg, in Wien-Rodaun wohnte wie auch sie selbst, nämlich im Nachbarhaus.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.