Wie man Filme malt

Eine dramatische Szene aus dem Plot, das Gesicht des Stars, dazu eine passende Schrift: Die Ingredienzien eines gelungenen Filmplakats wusste Eduard Paryzek stets effektvoll zu kombinieren. Wiens letzter Filmplakatmaler: eine Erinnerung.

Im Februar 1992 habe ich ihn erstmals getroffen, im Zuge der Vorbereitungen für eine Kino- und Filmausstellung: Schon damals galt Eduard Paryzek (neben seinem gleichnamigen Sohn) als der letzte lebende Filmplakatmaler der Wiener Nachkriegszeit. Diesen Nimbus verspürte man im Gespräch mit ihm. Seine Erinnerungen erlaubten Einblicke in ein Metier, das bisher wenig beachtet wurde in der Geschichte Wiens wie in der des österreichischen Grafikdesigns. Die Begegnung mit dem Filmplakatmaler blieb lange – auch über seinen Tod hinaus – in mir gespeichert.

Geboren wurde Paryzek am 19.März 1915 in Wien-Ottakring. Seine Vorfahren stammten aus Mähren; der Vater, von Beruf Kapellmeister, war um die Jahrhundertwende in die k. k. Reichshaupt- und Residenzstadt zugewandert. Schon in der Schule fiel Eduards kreative Begabung auf, wobei es vor allem die Schrift in ihren unterschiedlichsten Ausprägungen war, die ihn besonders faszinierte. Nach der Pflichtschule begann er eineAusbildung zum Filmplakatmaler, einem Handwerk, das gleichermaßen zeichnerisches Talent wie typografisches Einfühlungsvermögen erforderte.

Filmtitel und -szenen zu malen, danach gab es in der Zwischenkriegszeit eine rege Nachfrage. Insgesamt 177 Kinos existierten im Jahr 1929 in Wien, deren jeweils aktuellen Filme fast ausschließlich mit Plakaten beworben wurden, denn nur die Großkinos inserierten ihren Spielplan auch in Tageszeitungen und Filmzeitschriften. Die wichtigsten Filminformationen holte man sich von der Straße, von Litfaßsäulen, Plakatwänden oder direkt am Ort des Geschehens.

Während in der nächtlichen Kinowerbung das Licht eine zentrale Rolle spielte, avancierte das Plakat bei Tag zum wichtigsten Botschafter des Films. Technisch in großer Stückzahl reproduziert, begannen Filmplakate die Stadt zu illustrieren mit Sujets, die allerdings nicht selten als allzu spekulativ, brutal und anzüglich angesehen wurden. In dieses mit dem Nimbus der Anrüchigkeit behaftete Metier tauchte der junge Eduard Paryzek im Jahr 1929 ein. In einer ökonomisch überaus schwierigen Zeit, stellten doch Wirtschaftskrise und Umstellung von Stumm- auf Tonfilm die gesamte Film- und Kinobranche vor gewaltige Herausforderungen. Paryzek bekam eine Lehrstelle im Werbeatelier von Georg Letz, neben jenem von Georg Pollak die führende Filmplakatproduktionsstätte in Wien. Hier lernte er sogleich das enge zeitliche Korsett kennen, das die Arbeit prägte. Anstreichen, Farben holen, ausliefern: Alles musste rasch geschehen, und die Arbeitszeit betrug oft zwölf Stunden und mehr.

„Allein die Reklamefläche des Busch-Kinos war 18 mal sechs Meter“, erinnerte sich Paryzek. „Die dafür notwendigen Plakate mussten wir zusammenkleben. Sie wurden mit Reißnägeln fixiert, und wenn es regnete, fiel alles herunter. Dann hat der Kinobesitzer in den nächsten Stunden oder spätestens am nächsten Tag ein Plakat gebraucht, sonst hätte ja keiner gewusst, welcher Film gespielt wird.“

Schon bald durfte er an den oft überdimensionalen Schriftzügen mitarbeiten, auch den Umgang mit Holz, Säge und Hammer erlernte er rasch beim Bau von Reklamewänden und -figuren, die vor den Kinos aufgestellt wurden. Nach Beendigung der Lehrzeit war Paryzek noch einige Monate im Atelier tätig, ehe die immer schwieriger werdende Auftragslage zu seiner Entlassung führte. Es folgten Jahre der Arbeitslosigkeit und der Gelegenheitsjobs.Bis mit dem austrofaschistischen Ständestaat, vor allem aber mit der nationalsozialistischen Machtübernahme und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs ein spürbarer Aufschwungeinsetzte: Film und Kino wurden in den Dienstpolitischer Propagandagestellt, die Lichtspieltheater avancierten zu eskapistischen Unterhaltungsstätten und erlebten einen nie da gewesenen Boom.

Günstige ökonomische Rahmenbedingungen also, um sich – wie Eduard Paryzek – als selbstständiger Filmplakatmaler zu versuchen. Im September 1938 gründete er sein erstes Atelier in Wien-Neubau (Neubaugasse 29), dem führenden Film- und Kinobezirk der Stadt, in dem nicht nur zahlreiche kleinere und größere Kinos beheimatet waren, sondern auch die wichtigsten Verleih- und Produktionsfirmen ihren Sitz hatten. Hier entwarf er fortan seine Plakate als Vorlagen für den Druck sowie Unikate für Kinofassaden, wobei es sich zunächst vor allem um Schriftplakate handelte. Daneben absolvierte er eine Ausbildung an der Reichshochschule für angewandte Kunst. Krankheitsbedingt musste er nur kurze Zeit Kriegsdienst leisten, sodass er letztlich der einzige aktive Filmplakatmaler in Wien war.

Diesen Vorteil konnte er auch noch die ersten Jahre nach dem Krieg für sich nützen. 1948 bezog er ein größeres Atelier in der Museumstraße5, in dem nun auch sein Sohn Eduard (geboren 1934) mithalf. Von hier aus avancierte Paryzek zu einem der führenden Gebrauchsgrafiker der Nachkriegszeit. Über Jahrzehnte hinweg sollten seine Filmplakate neben jenen von Gustav Mezey, Paul Aigner oder Inge Pfister das visuelle Erscheinungsbild der Stadt prägen. Im Unterschied zu seinen Kollegen, die sich auch in der kommerziellen Produktwerbung engagierten, beschäftigte sich Paryzek ausschließlich mit Werbemitteln für die Film- und Kinobranche. Er entwarf Plakate und Fassadenverkleidungen für die großen Wiener Premierenkinos wie Apollo, Forum, Gartenbau, Flotten oder Scala; er designte Firmenlogos und Filmprogramme für so prominente Firmen wie Warner Brothers, Rank, Oefram, Sovexport, Bavaria oder Sascha.

Dabei kam ihm der anhaltende Boom der Wiener Kinos ebenso zugute wie die Intensivierung und Modernisierung der Filmbewerbung seitens der US-amerikanischen Besatzer. Unter dem Schlagwort „aggressive showmanship“ unternahm die Dachorganisation der amerikanischen Verleihfirmen, die MPEA (Motion Picture Export Association), groß angelegte Werbefeldzüge. Man bestückte nicht nur die Kinoschaukästen mit Fotos, sondern auch die Schaufenster zentral gelegener Geschäfte; überdimensionale Plakate wurden auf Lastwagen durch die Stadt geführt, Werbeflächen an Straßenbahnen angemietet; an stark frequentierten Orten der Stadt, vor der Staatsoper und entlang der Ringstraße, wurdenriesige Plakate affichiert.

Eine der spektakulärsten Werbeaktionenfand 1948 anlässlich der Uraufführung von Cecil B. DeMilles Piratenfilm „Ernte des Sturms“ im Urania-Kino statt. Eduard Paryzek entwarf die Plakate dazu und einen hölzernen Aufbau, auf dem ein riesiger Oktopus zu sehen war, in dessen Fangarmen ein Taucher zappelte. Das insgesamt mehr als sieben Meter hohe Display war über dem Kinoeingang montiert und sollte – so die explizite Absicht – auch auf die Bewohner der russischen Zone jenseits des Donaukanals wirken. Die politische Propaganda hatte nach wie vor im Kino einen ihrer Hauptschauplätze.

In bewährter Manier traf Paryzek den Geschmack der Verleihfirmen ebenso wie jenen des Publikums. Eine dramatische Szene aus dem Plot, das Gesicht des Stars, dazu eine passende Schrift: Die Ingredienzien eines gelungenen Filmplakats wusste er stets effektvoll zu kombinieren. Welch starke emotionale, aber auch ästhetische Bedeutung den großen Ankündigungen der Premierenkinos zukam, erläuterte Filmjournalist Karl Hans Koizar in der damals populären Filmzeitschrift „Funk und Film“: „Solche Außenreklamen, wie wir sie zum Beispiel über dem Portal des Apollos oder an der Seitenfront der Scala finden, erweisen sich als sehr wirkungsvoll und verschönern zugleich die Fassade des Theaters. Kinoplakate bedeuten Vorfreude auf den Film.“

Paryzeks Auftragsbücher waren voll in jenen Jahren. „Eine Frau mit Herz“, „Schicksal am Lenkrad“, „Nasser Asphalt“ oder „Schwarzwälder Kirsch“ seien beispielhaft für jene Hunderten Plakate genannt, die in den 1950ern und 1960ern das Atelier Paryzek verließen und zumeist den damals populären Genres des Heimat-, Abenteuer- oder Kriminalfilms entstammten. Oft hatte er in kürzester Zeit riesige Leinwände zu bemalen und bis zu zwölf Plakateinheiten pro Film und Kino anzufertigen. Letzteres vor allem für das 1950 in der Stadiongasse, am Rande der Innenstadt, eröffnete Forum-Kino, eines der größten und modernsten Kinos der Stadt. Die riesigen Außenwände stellten großzügige Werbeflächen für Filmplakate dar, die in den unterschiedlichsten Varianten und Größen angebracht werden konnten. Ein ideales Betätigungsfeld für Paryzek, der mit dem Start des Kinobetriebs zum meistbeschäftigen Grafiker dieses Lichtspieltheaters avancierte.

Die Auftraggeber schätzten Paryzeks Verlässlichkeit und Schnelligkeit, wobei seine Domäne, wie er betonte, stets die Schrift blieb: „Man wusste, was ich kann und dass ich vor allem gut schreiben kann. Auch der Aigner ist zu mir gekommen und ließ sich Plakate beschriften. Ich konnte ja alles, von der Federzeichnung bis zum großen Plakat. Und ich habe die Schrift immer dem Titel angepasst, sodass der Beschauer wusste, das ist lieb, spannend, tragisch und so weiter.“

Sehr stark war die Arbeit von persönlichen Kontakten zu den damaligen Proponenten der Film- und Kinobranche geprägt. Man traf sich im Atelier, um die Aufträge zu besprechen, begegnete einander bei den Premieren und Filmbällen oder setzte sich regelmäßig im Kaffeehaus zusammen: „Ich bin von den Kinobesitzern eingeladen worden zum Kartenspielen. Jeden Mittag habe ich mit ihnen im Filmhaus in der Siebensterngasse gespielt, oft bis vier Uhr nachmittags. Obwohl ich unter Druck war mit der Lieferung der Plakate. Aber ich konnte es in der Nacht aufholen. So war ich einer von ihnen.“ Bis Anfang der 1970er Paryzeks Kunst immer weniger gefragt war. Die Zahl der Kinobetriebe reduzierte sich dramatisch. Allein zwischen 1968 und 1972 schlossen 65 Wiener Lichtspieltheater ihre Pforten. Große Filmpremieren wurden immer seltener. Und auch die Art der Filmankündigung änderte sich, denn immer häufiger setzten die Verleihfirmen auf international standardisierte Plakatsujets und auswechselbare Buchstabenanzeigen an den Kinofassaden. Werbeagenturen übernahmen die Gestaltung der Plakate. Filmplakatmaler wurde zu einem aussterbenden Beruf.

Eduard Paryzek löste sein Atelier 1974 auf und trat in die Firma Piller-Druck ein, zunächst als Hilfsarbeiter und später als Lithograf. Hier war er bis zu seiner Pensionierung tätig. Auch im Alter blieb der stets zurückhaltend wirkende Maler seiner Überzeugung treu, mehr ein solider Handwerker denn ein extravaganter Künstler gewesen zu sein: „Ich habe schon erkannt, was ich kann oder nicht. Ich wollte auch kein Künstlertyp sein, war eher bescheiden, habe dafür aber gut verdient.“

Eduard Paryzek starb am 12. März 1998. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2010)

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