Tragödie mit Happy End?

Zehn Jahre nach Beginn des Restitutionsverfahrens hat das ehemalige Sanatorium Fürth, Wien-Josefstadt, endlich einen neuen Eigentümer. Doch der Republik drohen neue Klagen.

Nun, wo alles vorbei ist, sind die Beteiligten spürbar erleichtert. „Zehn Jahre Arbeit, viel Aufregung, viel Korrespondenz, viele Begegnungen mit ziemlich verrückten Menschen“, resümiert Alfred Strasser. Seine Cousine Marietta Pritchard ist froh, „dieses ganze Chaos“ hinter sich zu lassen. Am meisten bedauert sie, „dass meine Mutter das Ende dieser zermürbenden Verhandlungen nicht mehr erleben konnte“. „Zehnjährige Tätigkeit, viele weiße Haare und stets das Risiko des Scheiterns“, sagt auch Herbert Gruber: „Noch einmal würde ich mir das wahrscheinlich nicht antun.“ Gruber ist Erbenforscher in Wien, spezialisiert auf die Suche nach unbekannten Erben für herrenloses Vermögen. Als die Republik Österreich im Jahr 2000 das ehemalige Sanatorium Fürth im achten Wiener Gemeindebezirk, Schmidgasse 14, verkaufen wollte, machte er in den USA Verwandte der von den Nationalsozialisten enteigneten Besitzer ausfindig. Unter anderem den im Bundesstaat New York lebenden Alfred Strasser und Marietta Pritchard aus Massachusetts.

2001 beantragte die Erbengemeinschaft die Restitution des Gebäudes. Doch was zuerst wie ein „Geschenk des Himmels“ aussah (so Strasser), erwies sich als quälend langer Hürdenlauf, bei dem das Ziel immer weiter weg rückte. Zuerst wollte die Republik das 4500 Quadratmeter große Gebäude hinter dem Wiener Rathaus nicht zurückgeben, dann verhinderte ein Streit in der Erbengemeinschaft, die von ursprünglich zehn auf 39 Mitglieder angewachsen war, den Verkauf des Hauses. Seit April 2007 steht das ehemalige Sanatorium leer. Ein erster potenzieller Käufer zog sich mit Beginn der Immobilienkrise zurück.

Heute ist das Haus versperrt und verlassen, durch die trüben Fensterscheiben ist kaum ein Blick ins Innere möglich. Aus einem offenen Kellerfenster weht eiskalte Luft auf die Gasse, im Keller liegt ein Schutthaufen. Nur noch die Gegensprechanlage mit der zweisprachigen Aufforderung „Please ring/Bitte läuten“ erinnert an die amerikanische Botschaft als langjährigen Mieter. Vor dem Eingang ist ein goldener „Stein der Erinnerung“ mit schwarzer Inschrift in den Gehsteig eingelassen: „Zum Gedenken an Susanne und Lothar Fürth. Stellvertretend für alle, die durch Erniedrigungen und Verzweiflung in den Selbstmord getrieben wurden.“

Doch die Geschichte nahm eine Wende, die wohl weder die Erben noch ihre Anwälte erwartet hätten. Vergangenes Jahr schaffte eine Käufergruppe aus Österreich die Einigung mit allen Erben. Die Entwicklungsgesellschaft „Schmidgasse 14“ ist seit Sommer 2010 im Grundbuch eingetragen, das Haus soll nun saniert, teilweise umgebaut und 2012 wieder eröffnet werden.

Ein Blick zurück: 1895 kaufte Julius Fürth das sieben Jahre zuvor von Architekt Hans Auer entworfene „Sanatorium für Chirurgie, Gynäkologie und Geburten“ in der Schmidgasse. Auer war Schüler von Theophil Hansen, später baute er das Schweizer Bundeshaus in Bern. Fürths Familie stammte aus der böhmischen Kleinstadt Schüttenhofen (Sušice) und gründete dort die „Solo“-Werke, die zur größten Zündholzproduktion der Monarchie wurden. Im Sanatorium Fürth brachten die Frauen des jüdischen Großbürgertums ihre Kinder zur Welt, aber auch gut betuchte Ausländer kamen wegen des guten Rufs des Hauses extra nach Wien. Später diente das Gebäude auch als Altenheim. Nach dem Einmarsch der Nazis wurden die Eigentümer, Lothar und Susanne Fürth, gezwungen, den Gehsteig zu waschen. Am 3.April 1938 wählten sie den Freitod. In ihr Sanatorium zog die Wehrmacht ein. Nach dem Krieg übernahm die US-Armee das Haus und übergab es 1955 der Republik Österreich. Die vermietete es mit einem unbefristeten Vertrag besonders günstig an das US-Außenministerium, das hier sein Informationsservice für Osteuropa unterbrachte. Die jüdische Vergangenheit und die „Arisierung“ des Hauses waren zwar bekannt, aber Lothar und Susanne Fürth hatten keine Kinder, und in den ersten Restitutionsgesetzen wurden nur die engsten Verwandten berücksichtigt. 1966 zahlte der Bund im Rahmen der „Sammelstellenverfahren“ 700.000 Schilling Entschädigung an die Israelitische Kultusgemeinde. Damit galt die Rückstellung als abgeschlossen, obwohl das Haus mindestens zehnmal so viel wert war.

Erst im Jahr 2000 machte der Versuch der schwarz-blauen Regierung, so viel Staatseigentum wie möglich zu privatisieren, die Schmidgasse 14 wieder zu einem Rückstellungsfall. „Hätte die Republik nicht versucht, das Sanatorium zu verkaufen, hätten wir uns nie dafür interessiert“, sagt Erbenforscher Herbert Gruber. Mehr noch: Gruber hält das Sanatorium Fürth für einen Paradefall, „ohne den es das Washingtoner Abkommen nicht gegeben hätte“. 2001 wurde in Washington zwischen den Regierungen Österreichs und der USA ein Abkommen über die Entschädigung für von den Nazis geraubtes jüdisches Vermögen geschlossen. Grundstücke sollten dabei gar nicht berücksichtigt werden, da die Wiener Regierung behauptete, es sei ohnehin alles zurückgegeben worden. „Da konnten wir ihnen den Fall der Schmidgasse präsentieren“, erinnert sich Gruber, „und damit war klar: Wenn es diesen einen Fall gibt, wird es auch andere geben.“

Allerdings schaltete die Republik zuerst auf stur und lehnte mit Verweis auf die Rückstellung 1966 das Restitutionsbegehren ab. Erst 2005 entschied die Schiedsinstanz anders: Die Entschädigung der 1960er-Jahre sei „extrem ungerecht“ gewesen, das Haus müsse der Erbengemeinschaft zurückgegeben werden. Als der Entscheid bekannt wurde, erklärte sich die US-Botschaft sofort zum Auszug bereit, obwohl sie auf ihrem Mietvertrag hätte beharren können. „Wir dachten, die würden bei einer so günstigen Miete nie ausziehen“, erinnert sich Alfred Strasser, „aber sie verließen exakt zum vereinbarten Termin das Haus.“

Auch Herbert Gruber meint, dass die „tolle Kooperation der Amerikaner“ bis jetzt nicht genügend gewürdigt wurde: „Da sollten sich die österreichischen Behörden ein Beispiel nehmen.“ Weil die meisten Erben kaum Bezug zu Österreich hatten (und wenn, dann vor allem negative Erinnerungen an die Vertreibung), beschlossen sie den Verkauf des Hauses. Doch als 2007 ein ukrainisches Unternehmen fast zehn Millionen Euro bot, stiegen nicht alle Erben auf das Angebot ein. Es gab Zweifel an der Seriosität der Immobiliengesellschaft und ihres Besitzers. Eine in Wien lebende Erbin beharrte darauf, vor dem Verkauf zuerst selbst ins Grundbuch eingetragen zu werden. In einem Artikel über den Erbenstreit im „Profil“ sagte der Vorsitzende der Schiedsinstanz für Naturalrestitution, Josef Aicher: „Die Schmidgasse 14 ist eine eigene Tragödie.“

Als die Immobilienblase platzte, bekam auch die ukrainische Gesellschaft keine Kredite mehr und musste das Anbot für das Sanatorium zurückziehen. Die Käufersuche ging zurück zum Start, und die genervte Bundesimmobiliengesellschaft, die noch immer für die Instandhaltung des Hauses verantwortlich war, willigte schließlich doch ein, jedem Einzelnen in der Erbengemeinschaft seinen Anteil am Haus zu überschreiben.

Zu diesem Zeitpunkt, als schon niemand mehr an einen Verkauf des Hauses glaubte, begann sich das Wiener Ehepaar Dagmar und Peter Rabensteiner für das Sanatorium zu interessieren. Peter Rabensteiner ist Jurist und Immobilienunternehmer, seine Frau führt eine Praxis für Innere Medizin und Sportmedizin und ist begeisterte Marathonläuferin. Die beiden nahmen mit den Erben Kontakt auf, und die Verkaufsverhandlungen gingen dieses Mal zügig über die Bühne. Ein Treffen zwischen den Rabensteiners und mehreren Erben in New York schuf eine Vertrauensbasis. Marietta Pritchard und Alfred Strasser erinnern sich an ein angenehmes, angeregtes Gespräch.

Pritchard beschreibt die neuen Eigentümer als „sehr zivilisiert, jung, tatkräftig und enthusiastisch“. Dagmar Rabensteiner habe eine Vision, „sie will im ersten Stock ihre Arztpraxis und ein Therapiezentrum einrichten. Damit würde das Haus zumindest zum Teil wieder seinem ursprünglichen Zweck dienen.“ In den oberen Stockwerken sollen Luxuswohnungen vermietet oder verkauft werden. Das Gebäude steht seit 2007 unter Denkmalschutz, und so sollen neben der Fassade auch das großzügige Atrium im Jugendstil und der weitläufige Garten erhalten bleiben. In der Eigentümergesellschaft „Schmidgasse 14 Entwicklungs-GmbH“ ist neben Rabensteiners Firma RID auch die Prospero-Holding eingetragen. Hinter ihr steht der Kärntner Unternehmer Karl-Heinz Strauss, seit vergangenem Sommer Vorstandsvorsitzender der Baufirma „Porr“. Weder Strauss noch Rabensteiner wollen derzeit Auskunft über ihr Projekt geben. Die meisten Erben glauben allerdings an ein gutes Ende, „die neuen Eigentümer werden mit dem Haus verantwortungsvoll umgehen“, sagt Pritchard.

Ist die Geschichte damit wirklich zu Ende? Für die Erben schon, aber Genealoge Herbert Gruber erwartet in naher Zukunft ähnlich schwierige Fälle wie das Sanatorium Fürth. Der 2001 ins Leben gerufenen allgemeine Entschädigungsfonds für die Opfer des Nationalsozialismus wurde lediglich mit 210 Millionen Dollar ausgestattet. Damit konnten die Forderungen nur zu je 10,5 Prozent befriedigt werden. „Für ein Zehnfaches, nämlich mehr oder minder 2,1 Milliarden Dollar, hätte man die gesamten Forderungen der im Holocaust geschädigten Familien erfüllen können. Diese Summe wäre geringer gewesen als die zeitgleiche Investition in die Eurofighter“, sagt Gruber: „Aber es wurde wieder einmal nur so getan als ob.“ Für ihn ist klar, „dass dieses Thema in ein paar Jahren wieder kommen wird“. Auch Alfred Strasser wundert sich über die Republik Österreich, die bei der Entschädigung so knauserig war: „210 Millionen Dollar für 20.000 Antragsteller sind lächerlich. Deutschland gab Milliarden aus.“

Auf einen anderen offenen Punkt in den Restitutionsverfahren will der Wiener Anwalt Alfred Noll hinweisen – und nimmt dafür wieder einmal das Sanatorium Fürth als Anlassfall. Im Namen einer Erbin hat Noll Briefe an die österreichische Finanzprokuratur und die US-Botschaft geschrieben, in denen er Gerechtigkeit für jahrzehntelang entgangene Mieteinnahmen verlangt. Die Republik habe 50 Jahre lang die Vorteile aus dem Besitz genossen, die US-Botschaft von der niedrigen Miete profitiert: „Diesen Profit sollen sie jetzt zurückgeben.“

Noll schätzt die entgangenen Einnahmen auf rund zehn Millionen Euro. Er möchte vorerst nur eine Stellungnahme. Komme die aber nicht, „werden wir klagen. Es geht ja hier nicht um ein Haus, sondern um entgangene Lebenschancen.“ Auch andere Erben hatten eine solche Klage erwogen, dann aber wieder verworfen. Marietta Pritchard verspürt heute „wenig Lust auf noch mehr Gerichtsverfahren“ und für Alfred Strasser ist „diese Geschichte abgeschlossen“. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.02.2011)

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