Die Republik der Rezepte

Republik Rezepte
Republik Rezepte(c) APA/GERT EGGENBERGER (GERT EGGENBERGER)
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Juni 1991: Jugoslawien beginnt zu zerfallen. An der Staatsgrenze wird geschossen. Krieg? Österreich ist auf alles vorbereitet. Nur als es dann darauf ankommt, gelten die Rezepte nichts mehr. Die Symptome sind zu vielfältig. – Österreich und das Werden Sloweniens.

Im Frühjahr 1991 geisterte in den Stäben der Jugoslawischen Volksarmee ein Papier herum, von dem man nicht so recht wusste, ob es Grundlage für eine Übung war oder dazu dienen sollte, an irgendeinem Tag X hervorgezaubert zu werden. Es handelte sich um den Fall „Bedem-91“ (Schutzschild-91), und er schilderte mehr als Haarsträubendes.

Ungarn, Bulgarien und Albanien hätten sich zum Ziel gesetzt, mit Hilfe der Nato „ihreTerritorialansprüche in Bezug auf Jugoslawien zu verwirklichen“. Slowenien, Kroatien und Mazedonien würden die Nato zu Hilfe rufen, um ihre Loslösung aus der Föderation zu beschleunigen. Österreich würde „den Staatsvertrag außer Kraft setzen und dem Nato-Pakt beitreten“. Österreichische Soldaten seien auch an den Übungen der Nato beteiligt. Eine italienische Brigade übe zusammen mit österreichischen Verbänden in den südlichen Landesteilen Österreichs. In Klagenfurt würde sich das Oberkommando der nordwestlichen Heeresgruppe befinden. Sollten die massiven Luftangriffe auf Ziele in Serbien und Montenegro nicht zum gewünschten Erfolg führen, würden sich die Bodentruppen in Bewegung setzen. Und so weiter.

Im Juni 1991 wurde „Bedem-91“ aktualisiert, und zwar von zwei Seiten: Die einen meinten, so die finsteren Absichten Belgrads dokumentieren zu können. (Der slowenische Informationsminister übergab die deutsche Übersetzung dem steirischen Landeshauptmann.) Undandere, nicht zuletzt Angehörige der Jugoslawischen Volksarmee, fanden zumindest ein paar Unbedarfte, dieglaubten, was da zum Besten gegeben wurde. Dass man sich überhaupt damit beschäftigte, war freilich kein Wunder, denn die Atmosphäre war aufgeheizt und Europa im Umbruch. Slowenien und Kroatien bereiteten ihre Unabhängigkeitserklärungen für Ende Juni vor. Sie wollten auch so rasch wie möglich international anerkannt werdenund suchten Unterstützung. Die USA, die Sowjetunion und – was am meisten zählte – die Staaten der Europäischen Gemeinschaft zeigten Ljubljana und Zagreb die kalte Schulter. Ein einziger Staat ließ Sympathie erkennen: Österreich. Eine vorsichtige, dann immer stürmischer werdende Annäherung begann und irritierte rundum.

Frankreich beschuldigte Österreich, die Auflösung Jugoslawiens zu fördern. Italien riet den Slowenen dringend, auf keine „zweideutigen Botschaften aus Wien“ zu hören. Ministerpräsident Giulio Andreotti beschworschließlich die Gefahr eines „pangermanischen“ Zusammengehens von Deutschen und Österreichern, das gleichermaßen Italienwie Jugoslawien bedrohen würde; der Vatikan assistierte.

Demgegenüber beteuerte das Wiener Außenamt ein ums andere Mal, man würde selbstverständlich im Einklang mit den Großmächten und vor allem mit Europa vorgehen. Die Staaten der Europäischen Gemeinschaft hatten nämlich ein Druckmittel, denn Österreich hatte schon zwei Jahre davor den berühmten Brief nach Brüssel geschickt, in demum Aufnahme von Beitrittsverhandlungen ersucht wurde. Noch gab es keine Antwort. Also hieß es: „europäisch“ denken und handeln. Und das genau war es auch, was dann in Wien die Entschlossenheit schwinden ließ und einem vorsichtigen Zuwarten Platz machte. Im Übrigen war man aber auch in Wien gespalten: Bundeskanzler Vranitzky hielt zuBelgrad; Außenminister Mock zu Ljubljana. Allerdings wurden alle – Amerikaner, Sowjets, die EG, Österreich – von den Ereignissen überrollt. Kro- atien und Slowenien erklärten am 25. Juni ihreUnabhängigkeit. Und die Jugoslawische Volksarmee tat genau das, was der Armeegeneral Kadičević schon im April angekündigt hatte. Sie intervenierte.

Die Analysten in Wien meinten, dass zwar mit Kampfhandlungen an der Grenze gerechnet werden müsste, „jedoch ohne Gefährdung für Österreich“. Und sollte es dennoch dazu kommen: Österreich war vorbereitet – wie auf nichts anderes! Nur als es dann darauf ankam, passte wieder einmal das Gedachte mit der Realität nicht zusammen. Im Grenzbereich zu Österreich wurde geschossen. Jugoslawische Flugzeuge verletzten wiederholt den österreichischen Luftraum und flogen schließlich über Graz. Doch die Bundesregierung konnte sich nicht entscheiden. Daraufhin kündigten steirische Jäger an, sie würden zur Selbstverteidigung schreiten. Endlich, am 28. Juni, gab Verteidigungsminister Werner Fasslabend die Weisung zu einemEinsatz des Heeres. Es sollte aber kein Assistenzeinsatz werden, wie im Burgenland, wo man Flüchtlinge jagen ging, sondern ein Sicherungseinsatz mit allem, was dazugehörte,Panzern, Flugzeugen und 4000, zuletzt sogar 6000 Soldaten.

Während die Bundesheerkräfte in die an Jugoslawien angrenzenden Regionen einrückten, lief auch die diplomatische Aktion an. Der österreichische Botschafter in Belgradverlangte Aufschlüsse über die militärischen Aktivitäten der Volksarmee. Belgrad beruhigte. Doch es zeigte sich, dass die Regierung aufdas Militär keinen Einfluss mehr hatte. Die Streitkräfteführung dachte nicht daran, ihre Aktion in Slowenien abzubrechen. Man sprach von Krieg. Österreichs Medien, vor allem der Boulevard, griffen das bereitwillig auf, und flugs darauf wurde vom „totalen Krieg“ geschrieben. Die Emotionen gingen hoch. Man rechnete mit Flüchtlingsströmen,die Gott sei Dank ausblieben. Das Bundesheer, bei dem man auch nicht so recht wusste, ob das Krieg war oder nicht, bereitete zweiInternierungslager vor, für den Fall, dass tatsächlich Krieg war. Die Völkerrechtler, die sich anfangs nicht schlüssig waren, beruhigten jedoch: Es war kein Krieg, denn dazu hätte es zweier souveräner Staaten bedurft, und Slowenien war kein solcher. „Im vorliegenden Fall bewaffneter Auseinandersetzungen kommt das völkerrechtliche Neutralitätsrechtnicht zum Tragen, weil nicht von einem Kriegim völkerrechtlichen Sinn ausgegangen werden kann. Österreich trifft daher keine neutralitätsrechtliche Verpflichtung, Angehörigeder Konfliktparteien bei Übertritt auf österreichisches Hoheitsgebiet zu internieren.“ Eventuell könnte man sie wegen illegalen Grenzübertritts für maximal drei Monate in Schubhaft nehmen. Sicherheitshalber sollten alle Vorkehrungen getroffen werden.

Doch Österreich befand sich auf einem Alleingang. Die USA, die (noch existierende)Sowjetunion und die EG setzten weiterhin auf die Einheit Jugoslawiens. Ungarn zog an seiner Südgrenze keine militärischen Kräfte zusammen; Italien bereitete sich zwar auf die Aufnahme von Flüchtlingen vor, doch es zeigte keine nennenswerte Beunruhigung. Und man fragte sich in Wien wohl zu Recht: Warum tut das übrige Europa nichts?

Für Serbien und die Jugoslawische Volksarmee war es daher ein Leichtes, Österreich zu attackieren und es zu verdächtigen. Und das Datum war in jeder Weise einladend. Es war Freitag, der 28. Juni. Wahrscheinlich dachte in Österreich kaum jemand daran, dieSymbolkraft dieses Tages nennenswert zu würdigen. Für die Serben Jugoslawiens lag die Sache völlig anders! Der 28. Juni war Vidovdan, der St.Veitstag. An diesem Tag soll 1389 nach der Schlacht auf dem Amselfeld der siegreiche Sultan Murad vom Serben Miloš Obilić ermordet worden sein. Am 28. Juni 1914, und das sollte eigentlich eher in Erinnerung geblieben sein, wurde der österreichisch-ungarische Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajevo erschossen. Der Tag besaß also gewissermaßen Leuchtkraft. Die Belgrader Zentralregierung machte sich daher das Datum zunutze und warf in einer Verbalnote und in ihren Medien Österreich vor, es hätte durch die Verlegung von Truppen an die Grenze eine Eskalation bewirkt und damit ei-ne gefährliche Situation geschaffen. Außerdem hätte Österreich die Sezession Sloweniens aktiv unterstützt. Später sollte es sogar heißen, Österreich hätte Slowenien diplomatisch anerkannt, was glatter Unsinn war. – Information und Desinformation gingen am 28. Juni und in den Folgetagen Hand in Hand. Auch wenn es als selbstverständlich erscheinen kann, dass die Beschwerden und Mutmaßungen der jugoslawischen Zentralregierung lediglich als Ablenkungsmanöver zu gelten hatten und jugoslawischerseits bravourös über alles hinweggegangen wurde, was die eigenen Truppen verschuldeten, ist zu fragen, ob der Sicherungseinsatz des Bundesheers nicht eine weitüberzogene Maßnahme war. Während die an die steirische und Kärntner Grenze entsandten Truppen des Bundesheers in ihren Garnisonen und Bereitstellungsräumen eintrafen, stelltesich aber schon mit einiger Dringlichkeit die Frage, wie weitere Truppen aufgebracht werden sollten. Bei der Sitzung eines Ministerkomitees, bestehend aus Bundeskanzler, Vizekanzler, Außen-, Innen- und Verteidigungsminister, am Samstag, 29. Juni, wurde erstmals die Frage der Aufbietung von zusätzlichen Kräften und vornehmlich die Möglichkeit einer Teilmobilmachung diskutiert. Dabei stimmten letztlich alle darin überein, dass es keine Mobilmachung geben sollte.

Das Armeekommando verlangte indes genau das, da nur so die für den Sicherungseinsatz benötigten Kräfte bereitgestellt werden könnten. Und im Übrigen machte natürlich zu schaffen, dass man sich fallweise über den Rechtstitel des Einsatzes, vor allem auch über dessen Akzeptanz, alles andere alsim Klaren war. Denn für die einen war der Einsatz des Bundesheers wichtig und richtig; für die anderen ein denkbar unnötiger Akt. Dreimal berichtete die Militärakademie, die in Kärnten eine Übung durchführte und zufällig in das Schlamassel geraten war, dass sie in dem ansonsten so militärfreundlichen Kärnten unwillkommen war. „Probleme bei der Erkundung von geeigneten Räumlichkeiten der 1. Kompanie und (des) Bataillonskommandos aufgrund ablehnender Haltung der Bevölkerung“, hieß es. Bei den eingesetztenBundesheerkräften zeigten sich schon nach den wenigen Tagen Ermüdungserscheinungen. Die Soldaten mussten abgelöst werden, und es war eigentlich klar, dass ein Assistenzeinsatz im Burgenland und gleichzeitig ein Sicherungseinsatz in Kärnten und in der Steiermark nicht zu bewältigen waren, zumindest aber ein sehr hohes Risiko bargen. Minister Fasslabend widersetzte sich jedoch konsequent allen und nicht zuletzt den vom Armeekommando erhobenen Forderungen nach Teilmobilmachung der 5. und der 7. Jägerbrigade und blieb bei dem vom Ministerkomitee am Vortag festgelegten Nein.

Am 1. Juli war Deeskalation angesagt, doch die Situation hatte sich noch keineswegs geklärt. Es war nur deutlich geworden, dass die Truppen der Jugoslawischen Volksarmee ihr Ziel, die Grenzen zu Österreich, Ungarn und Italien wieder in Besitz zu nehmen, nichtnur nicht erreicht hatten, sondern in schwere Bedrängnis geraten waren. Und zudem waren die Rahmenbedingungen andere geworden, denn seit dem 1. Juli hatte Jugoslawien wieder einen Staatspräsidenten, Stipe Mesić, der sofort um Deeskalation bemüht war. Alle Konfliktparteien stimmten einer sofortigen Feuereinstellung und der Rückkehr der Truppen in ihre Kasernen zu. Die Gegenleistung Sloweniens und Kroatiens sollte die Aussetzung der Folgen der Unabhängigkeit für drei Monate sein.

Ungeachtet dessen wurden im Wiener Außenamt die nächsten Schritte gesetzt. Alle 35 KSZE-Mitgliedstaaten wurden zu einer Dringlichkeitssitzung in das Wiener Konfliktverhütungszentrum gebeten. Es war das ersteMal, dass es so etwas gab. Der jugoslawische und der türkische Vertreter fanden die Zusammenkunft unnötig. Die vom österreichischen Botschafter Martin Vukovich vorgebrachten Sorgen und Beschwerden hörten sich jedoch eindrucksvoll an: „Die Vorgangsweise der jugoslawischen Armee ist zu einer Bedrohung für Frieden, Stabilität und Sicherheit nicht nur in Jugoslawien, sondern in Europa insgesamt geworden.“ Österreich verlangte, dass sich alle 35 KSZE-Staaten für einen sofortigen Waffenstillstand in Jugoslawien aussprechen, alle bewaffneten Kräfte in ihre Kasernen zurückkehren sollten und Jugoslawien Militärexperten der KSZE einlade, die die Einhaltung des Waffenstillstands beobachten sollten.

Die österreichischen Darlegungen blieben nicht unwidersprochen. Der jugoslawische KSZE-Botschafter Pavičević griff Österreich direkt an: Österreich würde Slowenien direkt unterstützen und Propaganda gegen Jugoslawien betreiben. Das Bundesheer würde in der österreichisch-jugoslawischen Grenzregion mit der slowenischen Territorialverteidigung kooperieren, Angehörige derVolksarmee zur Desertion ermuntern und unmittelbar an der Grenze operieren, was bilaterale Abkommen verletze. Einflüge jugoslawischer Flugzeuge habe es keine gegeben. Wohl aber habe Österreich Slowenen und Kroaten automatische Waffen geliefert.

Anschließend war wieder Botschafter Vukovich am Zug. Die Angaben von Botschafter Pavičević seien falsch und seine Vorwürfe absurd. Dann fragte noch der sowjetische Vertreter, ob Österreich beabsichtige, weitere Einheiten des Bundesheers an die Grenze zu verlegen. Vukovich verneinte. Als schließlich abgestimmt wurde, votierte die Versammlung für die sofortige Einstellung der Kampfhandlungen und Rückkehr in die Kasernen, nicht aber für die Entsendung von KSZE-Beobachtern nach Jugoslawien.

Das Geplänkel der Diplomaten gingwahrscheinlich in der allgemeinen Aufgeregtheit unter. Und was Österreich anlangte, war man mit dem Einsatz des Bundesheers zufrieden und mäkelte höchstens, dass man die Heereskräfte schon früher erwartet hatte. Minister Fasslabend konnte am 2. Juli sogar das Armeekommando, eine der Errungenschaften der Heeresreformen der 1970er-Jahre, auflösen, ohne dass das nennenswert aufgeregt hätte. Mehr noch, der Minister reiste wiederholt in die Grenzregion zu Slowenien und wurde immer wieder begeistert begrüßt. Er hatte einen enormen Popularitätsschub zu verzeichnen, und der sozialdemokratischeStaatssekretär im Bundeskanzleramt, Peter Kostelka, der es 1990 ausgeschlagen hatte, das Verteidigungsministerium zu übernehmen, soll gemeint haben: „Hätte ich gewusst,dass man auch als Verteidigungsminister berühmt werden kann, hätte ich's vielleicht doch genommen.“

Am 5. Juli und nachdem sich die EG und Jugoslawien sowie die sezessionistischen Republiken in Brioni auf eine geordnete Auflösung der Föderativen Republik geeinigt hatten, kündigte das Verteidigungsministerium in Wien die Reduktion der Heereskräfte an. Am 8. Juli begannen die Rückverlegungen. Nichtsdestoweniger beschwor der jugoslawische Generalstabschef, Blagoje Adžić, weiterhin die von Österreich ausgehenden Gefahren und meinte vor 150 hohen Offizieren: DieSituation sei schwieriger als 1941. Das Staatspräsidium müsse gezwungen werden, alle Vereinbarungen einzuhalten; andernfalls würde die Armee handeln. Mit Slowenien würde man in zehn bis 15 Tagen fertig sein. Allerdings sei es durchaus möglich, dass Österreich, Deutschland, Ungarn und die ČSFR intervenierten. „Das Konzept eines Großdeutschtums bedroht uns.“

Doch das nahm wohl kaum jemand ernst. Bundeskanzler Vranitzky war „stolz“, denn das Heer habe sich „in einer schwierigen undmanchmal sehr unklaren Situation bewährt, immer mit Augenmaß und korrekt gehandeltund im wahrsten Sinn des Wortes vertrauens-und sicherheitsbildend gewirkt“. Minister Fasslabend sparte gleichfalls nicht mit Lob und brachte schließlich einen Ministerratsvortrag ein, in dem den Heereskräften der Dank der Bundesregierung zum Ausdruck gebracht wurde. Der Nationalrat folgte. Dass bald darauf dennoch von der Auflösung des Heeres gesprochen und eine bessere Finanzierung abgelehnt wurde, gehörte zur österreichischen Normalität.

Manche Statements verloren sich aber und wurden sehr stark von den lawinenartig anschwellenden Meldungen über die Eskalation der Gewalt in dem, was einmal ein prosperierender Staat gewesen war, überlagert. Jetzt konnte man trefflich darüber streiten, ob eine frühere Anerkennung der sezessionistischen Republiken das Blutvergießen hätte verhindern können, ob der rasche Einsatz von UNO-Truppen etwas geändert hätte oder ob man es bei den verbalen Ergüssen und freundlichen Ermahnungen bewenden lassen sollte. Rezepte gab es ebenso viele wie Wortmeldungen. Vorderhand war nur eines klar: Slowenien befand sich auf einem irreversiblen Kurs. Allerdings brauchte es noch die internationale Anerkennung. Die wurde ihm im September 1991 im Verlauf einer Konferenz in Den Haag in Aussicht gestellt. Österreich war von der Teilnahme ausgeschlossen. – Ein Staat der EG nach dem andern sprach sich für die Anerkennung aus. Schließlich war Österreich keinesfalls mehr unter den Ersten, sondern hinkte sogar etwas nach. Erst am 6. Dezember 1991 lag dem Ministerrat ein Antrag vor, der auch die Zustimmung beider Koalitionsparteien erhielt. Elf Tage später berichtete Außenminister Mock dem Nationalrat, dass die Bundesregierung bereit sei, Slowenien und Kroatien anzuerkennen.

Wer aber nun gemeint hatte, die letzte Hürde wäre schon genommen, der irrte, denn prompt dementierte der BundeskanzlerMocks Anerkennungserklärung. Am 14. Jänner 1992 weigerten sich Kanzler und SPÖ-Minister abermals, den ja nur mehr formellenSchritt zu setzen und Bundespräsident Waldheim die Schreiben zuzuleiten, mit denen dieAnerkennung ausgesprochen werden sollte. Dadurch kam allerdings auch ein weiterer Beschluss nicht zustande, der dem Kanzler sehr wohl wichtig gewesen war, nämlich die Anerkennung der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), die aus dem Zerfall der Sowjetunion hervorgegangen waren. Plötzlich schien die Anerkennung der Nachfolgestaaten Jugoslawiens eine Art Koppelungsgeschäft zu sein: Anerkennst du „meine“ Slowenen, anerkenne ich „deine“ GUS!

Am 15. Jänner konnte man aufatmen: DerMinisterrat beschloss nunmehr definitiv die Anerkennung Sloweniens und Kroatiens sowie jene der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten. Und nun passte, scheint's, alles zusammen: Die EG-Staaten sprachen die Anerkennung am 16. Jänner 1992 aus; Österreich folgte tags darauf, zeitgleich mit der Schweiz. Das eine war gewollt worden; das andere ergab sich. Doch es hatte unwillentlich auch einen tieferen Sinn bekommen: 1955 hatte Österreich ja seine Absicht bekundet, eine Neutralität zu wahren, wie sie von der Schweiz geübt wird. Zwar war während der ganzen schier endlosen Querelen um das zerfallende Jugoslawien das Schweizer Vorbild eigentlich nie zur Debatte gestanden. Man wollte nur der EG den Vortritt lassen. Da aberoffensichtlich auch die Schweiz auf die EG geschaut hatte, stimmte zuletzt auch die Optik. Österreich folgte dem Vorbild der Schweiz. Und die Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien gehörte der Geschichte an. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.06.2011)

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