Der Fall, der nie einer sein durfte

Denisa S.: ein Nachtrag zur Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft. 29- jährige Slowakin wurde tot am Ufer der Ager gefunden.

Am 19. Jänner 2008 irrte eine 29- jährige Slowakin durch eine oberösterreichische Bezirkshauptstadt, kaum bekleidet, ohne Schuhe, verstört. Zehn Tage später fand man ihre Leiche am Ufer der Ager. Die Tote war nackt, fünf Stunden später wurde der Fall geschlossen. Als Selbstmord. Erst in der Slowakei wurde eine Obduktion durchgeführt. Die ergab zwei Verdachtsmomente: Hämatome an den Armen und an den Innenseiten der Oberschenkel, gewertet als Hinweis auf eine versuchte Vergewaltigung mit Gegenwehr. Und zwei Medikamente im Körper der Toten, die um nichts in der Welt kombiniert werden dürfen, da die Kombination der beiden Wirkstoffe zu Hypoglykämie und Verwirrung führt bis hin zu Psychosen. Denisa Soltísová hätte diese Medikamente selbst gar nicht besorgen können. Die slowakischen Behörden ermittelten umgehend auf Mord.

In Österreich wurde nie auf Mord ermittelt. Der Autor dieser Zeilen brachte den Fall vor drei Jahren an die heimische Öffentlichkeit. Ich erfuhr in diesen drei Jahren so manches: Verschleppungstaktiken der oberösterreichischen Behörden, eine die Tote verhöhnende Kampagne der „Kronen Zeitung“, aber auch ermunternd regen Zuspruch von engagierten Bürgern. Dieser Tage hat der Welser Staatsanwalt, der den Fall Denisa S. am 29. Jänner 2008 als Selbstmord schloss, die Sache endgültig zu den Akten gelegt.

Vor mir liegt das Welser Papier namens „Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft“. Billig ist der Fall nicht gekommen, fünf Gutachter wurden insgesamt beschäftigt, zwei Slowaken und drei Österreicher. Der Welser Staatsanwalt fasst die Ergebnisse der einzelnen Gutachter mit plumper Willkür zusammen, so widmet er dem Wiener Pharmakologen Freissmuth gerade einmal zwei kurze Sätze. Freissmuth hatte den Fall Denisa S. mit der „erstaunlich perfiden Kombination“ von Medikamenten im Fall Blauensteiner verglichen und die Selbstmordthese in deutlichen Worten verworfen.

Die Bilanz der Gutachten: Drei Gutachter, Krajcovic, Straka und Freissmuth, gehen von Mord aus, zwei Gutachter, Haberl und Rabl, zweifeln das an. Der fünfte Sachverständige, Rabl, hält fest, dass „die vom slowakischen Labor angeführten Substanzen von diesem nicht eindeutig nachgewiesen worden seien“. Die Welser Staatsanwaltschaft zitiert seitenweise Rabls Kritik an der Arbeitsmethode der slowakischen Kollegen und kommt dann zu dem Schluss, „dass Fremdeinwirken mit der für das Strafverfahren erforderlichen Sicherheit nicht festgestellt werden kann.“ Ich atme tief durch. Das habe ich nicht gewusst, dass eine Mordermittlung erst dann eingeleitet wird, wenn die Sache schon vor der Ermittlung mit der „erforderlichen Sicherheit“ feststeht.

Ich frage mich, was tun. Skandal schreien? Die Justiz beschimpfen? Ich weiß es nicht. Ich nehme nach wie vor an, dass die Justiz in den allermeisten Fällen fair vorgeht. Die arbeitsame slowakische Pflegerin hatte wahrscheinlich einfach nur Pech: die Familie ihres Pflegefalls zu hochgestellt, die regionale Verhaberung zu undurchdringlich. Hätten nicht so viele Gründe dagegen gesprochen, hätte man den Mörder von Denisa Soltísová wahrscheinlich eh gesucht. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.07.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.