Gemma Kaiser schaun

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Schon 1916, als ein alter Kaiser den letzten Weg antrat, klickten die Fotoapparate. Und dieses Klicken wird auch jetzt zu hören sein, wenn ein Habsburger, von dem behauptet wird, er sei der letzte, in die Kapuzinergruft getragen wird. Wie man ein Kaiserimage bastelt: das Haus Habsburg und die Fotografie.

Plötzlich ist er nicht mehr da. Mitten im Krieg, mitten im Winter ist er gegangen, der alte Kaiser. Wir schreiben den 21. November 1916. Jetzt, da er weg ist, wollen ihn alle noch einmal sehen. Das Leichenbegängnis wird zum Staatsakt der Superlative, alles, was in der Monarchie Rang und Namen hat, lässt sich bei der Trauerfeierlichkeit blicken. Es ist aber auch ein Fest der Schaulustigen. Am 30.November 1916 heißt es in ganz Wien: Gemma Kaiser schaun. Zu Tausenden säumen Neugierige die Straßen, drängen sich an den Fenstern, um zumindest einen winzigen Zipfel des hohen Geschehens live zu erhaschen. Nein, den Sarg sehen nur wenige, aber die Aufmerksamkeit gilt auch dem adeligen Drumherum, der endlos scheinenden Entourage, die dem Toten die letzte Ehre gibt.

Ein paar Tage später ist der alte Kaiser wieder quicklebendig. Die „Österreichische Illustrierte Zeitung“, kaisertreu auch nach dessen Tod, bringt unter dem Titel „Der Kaiser in der Momentphotographie“ eine Doppelseite zu Ehren des Prominenten. Da ist plötzliche keine Rede mehr von Sarg und Trauer, von Kapuzinergruft und Stephansdom. Wir sehen den Kaiser hoch zu Ross in der Pose des Feldherrn, aber auch bei der Jagd und am Exerzierplatz, auf Staatsbesuch und bei Empfängen. Er ist geschäftig und, seinem fortgeschrittenen Alter trotzend, ständig auf den Beinen. Er tritt uns in strenger Dienstuniform entgegen und in legerer Lodenjoppe, mit und ohne Hut. Die Botschaft dieses in hoher Auflage unters Volk gebrachten Tableaus ist klar: So hat der Kaiser regiert und gelebt, so soll er weiterleben. Zumindest in der Fotografie.

Das habsburgische Kaiserhaus und die fotografische Öffentlichkeit – ein merkwürdiges Verhältnis. Es beginnt verkrampft und endet entspannt. Kein Wunder dass ganz am Ende, als der alte Kaiser abtritt, ungeniert und wie wild fotografiert (und gefilmt) wird. Und dieses Klicken der Fotoapparate hält bis zum heutigen Tag an, wenn wieder ein Habsburger, von dem behauptet wird, er sei der letzte, in die Kapuzinergruft getragen wird.

Blicken wir kurz zurück: In jungen Jahren macht sich der Kaiser vor der Kamera rar. Lieber sind ihm repräsentative Lithografien oder Zeichnungen von prominenter Künstlerhand. Die ersten fotografischen Kaiserbilder sind sorgsam inszenierte Auftragsarbeiten aus noblen Wiener Ateliers. Ludwig Angerer fotografiert den Monarchen schon in den 1850er-Jahren, später folgen Rudolf Krziwanek, Josef Löwy, Carl Pietzner, Arthur Floeck, Fritz Luckhardt und andere. Kaiserfotograf wollen viele sein, wenige sind erfolgreich.

Dann, an der Wende zum 20. Jahrhundert, ändert sich die Situation plötzlich. Den etablierten Kaiserfotografen – viele von ihnen tragen den Titel k. u. k. Hoffotograf – erwächst nun heftige Konkurrenz. Eine junge Generation von Pressefotografen bringt ganz neue Kaiserbilder auf den Markt und via illustrierte Presse in die große Öffentlichkeit. Franz Joseph reagiert auf das neue Medium – und springt, zunächst zögernd, auf den fahrenden Zug auf. Innerhalb weniger Jahre wandelt sich der Monarch vom zurückhaltenden, in statischen Posen fixierten Herrscher zur allzeit präsenten, öffentlichen Figur. Erst unter dem Druck der massenhaft in der Zeitung gedruckten Fotografie wird er allmählich zu dem Monarchen, den wir kennen, zum „volksnahen“ Souverän.

Die Illustrierten zeigen den Kaiser bei den verschiedensten politischen und gesellschaftlichen Anlässen: auf Reisen, während der Kaisermanöver, bei der Jagd, in Bad Ischl, bei Staatsbesuchen, bei Eröffnungsfeiern.

Manchmal sind es auch Momentaufnahmen, die ein besonderes Detail – einen Handschlag, das Verlassen der Kutsche, ein Winken, ein Grüßen – festhalten. Die Starre der Studioporträts, die den Monarchen stets in fast gleich bleibenden Posen zeigten, löst sich auf. Es kommt Bewegung in die Szenen, der Kaiser wird stehend, gehend, wartend, reitend, fahrend gezeigt. Kaum ist er in der Öffentlichkeit unterwegs, wird er von neugierigen Fotografen „beschattet“, sie folgen ihm auf Schritt und Tritt.

Als der Kaiser im Juni 1895 an der alljährlich stattfindenden Fronleichnamsprozession durch die Wiener Innenstadt teilnimmt, sind erstmals etliche Pressefotografen unter den Zaungästen. Und als am 6. Mai 1898 anlässlich der Feiern zu 50 Jahren Regentschaft eine große Jubiläumsausstellung im Wiener Prater eröffnet wird, ist Franz Joseph von Journalisten und Fotografen regelrecht umlagert.

Nach der Jahrhundertwende tauchen Jahr für Jahr mehr Kaiserbilder in der Öffentlichkeit auf. Diese Fotofaszination steuert im Jahr 1908 auf einen Höhepunkt zu. In diesem Jahr findet zu 60 Jahren Regentschaft ein gewaltiger Veranstaltungsreigen statt. Im Zentrum der Veranstaltungen steht im Juni 1908 der „Kaiserhuldigungsfestzug“ in Wien, ein von langer Hand vorbereiteter und bis ins letzte Detail inszenierter Massenumzug. Ein Großaufgebot von Fotografen ist an diesem Tag im Einsatz. Bereits wenig später erscheinen die Fotos in der Öffentlichkeit. Das Bild des Kaisers vervielfältigt sich in ungeahnter Weise: in der illustrierten Presse, in Sonderdrucken, in Bildpostkarten, Leporellos und vielen anderen Formen und Formaten.

So präsent der Kaiser in den Medien ist, die Wirklichkeit hinter den Bildern ist eine andere. Um 1910 ist der Zenit der Kaisereuphorie in der Fotografie bereits überschritten. Das vorgerückte Alter und die angegriffene Gesundheit machen dem Monarchen zu schaffen. Er ist nun weit weniger oft in der Öffentlichkeit zu sehen, auf Fernreisen verzichtet er fast ganz. Doch je seltener der Kaiser in der Öffentlichkeit auftaucht, desto deutlicher beschwört die Fotografie seine Agilität und Gesundheit. Im Jahr 1910 nimmt er zum letzten Mal an der Wiener Fronleichnamsprozession teil. Die Bilder aus diesem Jahr werden allerdings noch einige Jahre später veröffentlicht, gewissermaßen als Beleg für seine angeblich ungebrochene öffentliche Präsenz.

Je seltener sich der Kaiser öffentlich zeigt, desto mehr Aufsehen erregen neue Aufnahmen. Im Sommer 1913 lässt sich der Monarch bei der Jagd in Bad Ischl ablichten, das Bild erscheint mit dem Titel „Jüngste Aufnahme des Kaisers“ prominent platziert in der Presse. Im März 1914 eröffnet Franz Joseph die Frühjahrsausstellung im Wiener Künstlerhaus. Obwohl die Fotografen nur einen kurzen Augenblick seiner Anwesenheit erhaschen, werden die Aufnahmen als Beweise für seine „gute“ Gesundheit gesehen.

1914: Der Krieg beginnt. Ein letztes Mal lässt sich Franz Joseph im Februar 1915 vor Fotografen blicken, als er Kriegsverwundete im Bezirksreservespital in der Wiener Hegelgasse besucht. Zu seinen Geburtstagen werden in seinen letzten beiden Lebensjahren nicht mehr, wie gewohnt, Fotografien abgedruckt, sondern Zeichnungen.

Und die anderen Habsburger? Auch sie suchen die Nähe der Fotografen. Der alte Monarch freilich überstrahlt sie alle – bis auf einen, Karl, seinen Nachfolger. Dieser beherrscht die Klaviatur der Medien geradezu perfekt. In der kurzen Zeit, die er regiert, wird er zum Medienkaiser. Er ist ein Schauspieler der Macht. Vor den Fotografen und Filmkameraleuten spielt er souverän die Rolle des energischen Regenten, der im Interesse seines Volkes unermüdlich von Front zu Front unterwegs ist.

Sein Kalkül scheint aufzugehen: Unter gewaltigem medialem Aufwand schafft er es eine Zeit lang tatsächlich, vom Nobody zum umschwärmten Kaiser und umjubelten Kriegshelden aufzusteigen. Aber sein Medienfeldzug funktioniert nur unter den Bedingungen des militärischen Ausnahmezustandes. Als der Krieg zu Ende ist, bricht der mediale Kaiserhymnus mit einem Schlag ab. Das Kaiserimage, unter gewaltigem Propagandaaufwand errichtet, löst sich in Nichts auf.

In der Ersten Republik ist die Erinnerung an das Kaiserhaus zunächst wenig opportun. Im Ständestaat aber kehren die Bilder zurück. Das Kaiserhaus lebt unter tätiger Mithilfe der Regierung wieder auf, aber nicht etwa Karl kehrt in den Bildern zurück, sondern Franz Joseph. Zahlreiche Franz-Joseph-Denkmäler werden in den 1930er-Jahren errichtet, in den Zeitungen wird wieder in Texten und Bildern an die „gute, alte Zeit“ erinnert, 1935 wird dem ehemaligen Monarchen eine große Ausstellung ausgerichtet. Wo? Im Schloss Schönbrunn. Der Nationalsozialismus setzt dieser in die k. u. k. Vergangenheit gerichteten Sehnsucht ein Ende. Mit dem Ständestaat wird auch dessen historischer Übervater, Franz Joseph, entsorgt.

Nach 1945 macht sich zunächst Ernüchterung breit. Unter dem wachen Auge der Alliierten gibt man sich bewusst republikanisch. Und, vor allem auf sozialdemokratischer Seite, antihabsburgisch. Habsburgerbilder werden verschämt weggeräumt. Als Bruno Kreisky 1972 Otto Habsburg in aller Öffentlichkeit die Hand reicht, gleicht diese Geste einer Sensation. Der mit souveräner Mehrheit ausgestattete Kanzler kann sich Großzügigkeit leisten. In den folgenden Jahren kommt allmählich Bewegung in die verfahrenen Fronten zwischen der Republik und dem ehemaligen politischen Widersacher. Habsburger treten wieder aus dem verordneten Schatten. Just 1989, als der Eiserne Vorhang fällt, kehrt die letzte Kaiserin nach Wien zurück – als touristischer Mythos. Zita wird unter gewaltigem medialem Getöse in der Kapuzinergruft beigesetzt. 20 Jahre davor wäre ein derartiges Habsburgerbegräbnis noch undenkbar gewesen. Nun heißt es wieder unbeschwert: Gemma Kaiserin schaun.

Wenn jetzt Otto Habsburg in der Kapuzinergruft beigesetzt wird, redet niemand mehr von der alten Zwietracht zwischen dem Kaiserhaus und der Republik. Keiner will das Spektakel stören. Denn Habsburg ist längst wieder in, nicht als revanchistisches politisches Programm, sondern als historische, weit in die Vergangenheit entrückte Wohlfühlepoche. Gefragt ist das „gute, alte Habsburg“, ein Reich, in dem die Welt noch in Ordnung war. In dem die bekannten Figuren, Sisi, Franz Joseph und Co., an ihren gewohnten Orten anzutreffen sind: im Schloss Schönbrunn, in der Hofburg, in der Kapuzinergruft. Und damit diese Welt ja nicht verloren geht, ist die Kamera stets dabei und macht klick, klick, klick. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.07.2011)

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