Bei GP-16 scheint alles leicht

Ich nehme den Nachtflug in die sibirische Gashauptstadt Novyj Urengoj. Mich empfängt Regen. Der einzige Lichtblick dieses Morgens ist ein Kissen im Gazprom-Minibus: ein rotes Herz. Unter Gasmännern: Erfahrungen zwischen March, Baku und Polarkreis.

Ich schüttle selber den Kopf über mich, aber es stimmt, ich habe nun ein geschlagenes Jahr im internationalen Gasgeschäft verbracht. Ich habe als Reporter einen Dokumentarfilm gemacht über die wenigen großen Spieler, die das Gasgeschäft beherrschen, über Leute, die Verträge über ein Menschenalter abschließen und immerzu in Milliarden rechnen, über die größten Konzerne der Welt und ein gewaltiges geostrategisches Ringen. Ich wurde immer wieder an den Ausgangspunkt des Dramas erinnert, an den russisch-ukrainischen Gaskrieg vom Jänner 2009, als in Europa kein russisches Gas mehr ankam. An jeder meiner Stationen war irgendwann das Unbehagen vor der schieren Exportmacht des russischen Staatskonzerns Gazprom zu spüren. Früher oder später ging es immer um dasselbe – um die Angst vor den Russen.

Ich will aber lieber darüber schreiben, was man im Film nicht sieht. Was habe ich von den Gasmännern gelernt? Was hat mich an ihnen überrascht? Was an meinen Beobachtungen hat so gar nicht in die großen geostrategischen Frontlinien gepasst?

Da war der Energieminister der aufstrebenden Mittelmacht Türkei, der mich auf der Terrasse eines Wolkenkratzers in Istanbul empfing, vor dem dritthöchsten Wolkenkratzer Europas. Er sagte zu mir: „Es gibt keinen Unterschied zwischen Gas, Tomaten oder Paprika.“ Da war der Energiekommissar der EU, der mir in seinem unkommoden Brüsseler Wartezimmer nicht und nicht auf die These einsteigen wollte, dass unsere Abhängigkeit von Energie ein Verhängnis darstellt. Er schien Energie vor allem für eines zu halten – für eine ziemlich coole Branche. Und da war der grüne Staatsmann Joschka Fischer, nun Lobbyist für das Pipeline-Projekt Nabucco, der als Einziger offen über den ungewissen Zusammenhang zwischen Gasreichtum und Demokratisierung sprach. Als würde er den oft so ratlos durch Verdichterstationen und Förderfelder trottenden Reporter für einen Experten halten, stellte mir Joschka Fischer oft Gegenfragen. Das hat mir geschmeichelt, so hat er mich eingewickelt.

Gasmänner sind gewohnt, nicht gemocht zu werden, und können daher kein Interesse daran haben, sich in einem Film wiederzufinden. Das habe ich von Anfang an gewusst. Erstaunt hat mich jedoch, dass die Staaten und Konzerne mit dem schlechtesten Ruf mir die Türen am weitesten geöffnet haben. Ich hatte erwartet, dass ich am leichtesten mit meinen Landsleuten von der guten alten Österreichischen Mineralölverwaltung eine gemeinsame Sprache finden würde. Ich wurde böse überrascht.

Ich begann meine Reise zu Hause, hinter Wien, am slowakisch-österreichischen Grenzfluss March. Beim stillen Weiler Baumgarten betreibt die OMV ihren mitteleuropäischen Gasverteiler, hier kommt aus sechs parallel laufenden Pipeline-Röhren das russische Gas für Europa an. Ich wusste, dass mindestens einmal im Monat der Gasmann von Gazprom kommt und gemeinsam mit einem Gasmann von der OMV das Gas abliest. Ich wusste auch, dass das ein eingespieltes Ritual ist, dass die Russen Wodka mitbringen, dass die Österreicher Augen machen, wenn der Russe bei Minusgraden in Hemdsärmeln hinausgeht, dass die Russen den Österreichern so sehr vertrauen, dass sie ihre Messgeräte nicht plombierten. Ich fragte bei Gazprom an, Gazprom hätte mich gerne zum Ritual des Gasablesens mitgenommen. Allein die Konzernkommunikation der OMV wollte dieses brüderliche Ritual nichtzeigen. Aus meinem Besuch im Gasverteiler nebenan wurde einezwänglerische Kabarettszene, in der die Mitarbeiter der Anlage zum Schweigen und dersprechende Pressesprecher zum tunlichstenVermeiden so unschöner Vokabel wie „Gazprom“ oder „Russen“ angehalten waren.

Die österreichische Schreckstarre vor den Russen konnte nur einen Grund haben: Die OMV ist das federführende Unternehmen der geplanten Pipeline Nabucco, die unter Umgehung von Russland neues Gas nach Europa bringen soll, Gas aus Ländern wie Aserbaidschan, dem Nordirak, Turkmenistan. Nabucco wird von der Europäischen Kommission unterstützt, und das hört man dem Sowohl-als-auch-Sprech der Nabucco-Leute an. Auf einer Wiener Gaskonferenz warf ein OMV-Manager Folien an die Wand, auf denen „more market“ und „more regulation“ friedlich nebeneinander standen, was der Vortragende einen durchaus machbaren „target cluster“ nannte. Ein wenig schadenfroh versuchte ich mir vorzustellen, wie dieser Jargon bei den Despoten der kaspischen Region ankommt.

Ich flog an die erste Adresse, an der die OMV nichtrussisches Gas einkaufen will, nach Aserbaidschan. Mein erster Eindruck nach der Landung war, dass es in Baku nach Öl riecht. Weiters entdeckte ich einen aserbaidschanischen Brandy, der so hieß wie die unfruchtbare Halbinsel, auf der man nur ein bisschen an der Erde kratzen muss, und es spritzt Öl und es strömt Gas heraus. Der Brandy namens Abscheron war ungewöhnlich dunkel, und er schlug mit knüppelharter Strenge auf den Gaumen. Auch wenn auf dem Etikett stand, dass er von fernen Kaukasushängen kam, konnte ich nicht anders, als mir vorzustellen, dass die Wurzeln des Rebstocks ihr Aroma aus dem gasdurchzischten, ölgetränkten Erdreich der Abscheron-Halbinsel saugen.

Die Innenstadt von Baku ist ein einheitliches klassizistisches Ensemble, sandfarben, herausgeputzt. An den großen Kreuzungen hört man, wie unsichtbare Polizisten durch ein Megafon ausgewählte Autofahrer anbrüllen. Kurz dahinter tut sich eine Stadtlandschaft auf, die verwüstet ist von anderthalb Jahrhunderten Ölförderung. Immer noch wird in Wohngebieten Öl gefördert, aus unzähligen verschmierten, von öligen Pfützen umgebenen Pumpen.

Aserbaidschan ist schwer einzuordnen. Das Land ist eingequetscht zwischen Russland im Norden und dem Iran im Süden. Obwohl Russland und der Iran auf den größten Gasvorkommen sitzen, verkaufen die Aserbaidschaner sowohl den Russen als auch den Iranern etwas von ihrem vergleichsweise kleinen Gasschatz. Der aserbaidschanische Energieminister bestätigte mir,dass Gazprom das ganze aserbaidschanische Gas aufzukaufen versucht. Das wirft die Frage auf, ob die Aserbaidschaner überhaupt Gas für Europa übrig haben.

Die aserbaidschanischen Eliten präsentierten sich mir erstaunlich smart und europhil, der Staatskonzern Socar empfing mich so zuvorkommend wie kein anderes Gasunternehmen der Welt. Wenn ich mich unterwegs unterhielt, fingen die Leute oft unvermittelt an, den verstorbenen Vater-Präsidenten und den amtierenden Sohn-Präsidenten zu loben. Das ist legitim, man darf mit seinem Präsidenten zufrieden sein. Seltsam nur, dass sie ihren Präsidenten immer zu preisen begannen, ohne dass ich nach ihm gefragt hätte.

Am Ende muss ich zu den Russen. Sie sitzen auf den größten Gasvorkommen der Welt. Die Frage, die ich mir stelle, lautet: Können wir den Russen, die uns einmal im Winter den Gashahn abgedreht haben, trauen? Gazprom ist ein einzigartiges Imperium. Zehn Prozent der Wirtschaftsleistung des größten Landes der Erde. In der Gaswelt gibt es Gazprom, und dann kommt lange nichts. Meine Annäherung begann mit einer Überraschung. In meiner Eigenschaft als Gasreporter kontaktierte ich alle nennenswerten Gaskonzerne. Gazprom war der einzige Konzern, der sich bei mir meldete, bevor ich mich gemeldet hatte. Gazprom hat nämlich die beste Lobbyfirma angeheuert, die sich in Brüssel finden lässt. Die Lobbyisten hatten von meinem Film gehört, kontaktierten mich und rollten mir den roten Teppich aus.

Kurz vor der Abreise lande ich in der russischen Realität. Alles, was ich nach Moskau schicke, geht zwischen den Abteilungen des 400.000-Mitarbeiter-Konzerns mindestens einmal verloren. Der Geheimdienst FSB bringt meine Reise an den Rand des Scheiterns. Ich lande in Moskau. Eine Delegation von Presseleuten und Securities bringt mich in die oberste Etage des Wolkenkratzers von Gazprom. Silber-bläulich funkelt das Gazprom-G im Wolkennest. Wenn ich die Konzentration von Gas, Politik, Macht messe, bin ich auf dem Höhepunkt. Einen mächtigeren Menschen als Alexander Medwedew werde ich nicht mehr kennenlernen. Ich frage ihn, ob ein so gigantischer Mischkonzern überhaupt zu führen sei. Mir kommt die Firma unhandlich vor. Es reicht nicht, dass Gazprom eine der großen Fluglinien Russlands gehört, Gazprom-Mutter betreibt selbst noch Charterflüge. Gazprom besitzt einige nationale Fernsehsender, und Gazproms Töchter betreiben eigene Gazprom-Fernsehsender. Medwedew antwortet, dass Größe auch schön sein kann.

Ich nehme den Nachtflug von Moskau in die sibirische Gashauptstadt Novyj Urengoj, nördlich des Polarkreises. Ein Flugzeug voller Männer, Gasarbeiter, unausgeschlafen komme ich an. Mich empfängt eine triste Planstadt im Regen, am Flughafen wieder nur Männer. Der einzige Lichtblick dieses Morgens ist ein Kissen im Gazprom-Minibus. Es ist ein rotes Herz. Ich werde zur Gasförderstation GP-16 gebracht. Wäre ich nicht mit Gazprom hier, dürfte ich hier nicht fahren. Die Stadtausfahrten von Novy Urengoj sind mit Schlagbäumen versperrt, in das Gasreich von Gazprom führen ausschließlich Privatstraßen von Gazprom. Sobald ich auf der Förderstation GP-16 bin, auf aufgeschüttetem Land inmitten von Sümpfen, erscheint alles leicht und schön. Die bürokratischen Hürden sind vergessen, man schenkt mir einen Band mit Gasförder-Gedichten, die Gasarbeiter sind entspannt und machen mir sogar extra ein Feuerchen.

Plötzlich fällt mir etwas auf. Der Arbeiter, der mich führt, ist Tatare. Die meisten Begleiter sind Ukrainer, der Fahrer hat die ukrainische Fahne an den Armaturen stecken. 30 Prozent der Einwohner von Novyj Urengoj sind Muslime. Ich beginne zu begreifen: Es sind zu einem großen Teil nicht Russen, die unser Gas fördern, sondern Ukrainer und muslimische Bürger Russlands wie Tataren und Baschkiren.

Die sowjetische Gasproduktion, erklärt man mir, hat in Tatarstan, Baschkirien und der Sowjetrepublik Ukraine begonnen. Deswegen kommen die Spezialisten von dort. Ich bin verwirrt. Dachten wir nicht, dass der russisch-ukrainische Gaskrieg ein postsowjetischer Rosenkrieg zwischen geschiedenen Brudervölkern war? Und jetzt stelle ich fest, dass das russische Gas, das uns abgedreht wurde, von Ukrainern gefördert wurde. Was denn, war der Gaskrieg in Wahrheit ein Familienstreit im Hause Gazprom? Hier ist etwas gar nicht einfach. Hier ist eine Firma ziemlich groß. Hier weiß ich gerade nicht mehr, vor was allem wir uns im Einzelnen fürchten sollen.

So in etwa hat es ausgesehen, mein Jahr im Gasgeschäft. Ein geschlagenes Jahr habe ich mich mit dem Sprüchlein vorgestellt: „Grüß Gott, Gasreporter Leidenfrost.“ Das ist vorbei, ich bin wieder nur ich. Ich danke für die geleistete Gesellschaft. Adieu, Gasmänner, mir wird leichter sein ohne euch! ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.11.2011)

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