McDoc macht Medizin

Es soll alles rasch und effizient gehen, Patienten werden im Schnelldurchlauf abgefertigt. Die Ärzte, die wie am Fließband arbeiten sollen, erweisen sich sodann als Dienstleister. Ist das die Zukunft der medizinischen Versorgung?

Aerzte werden immer öfter als Angehörige des Dienstleistungssektors betrachtet und sollen nach dieser Logik ihren Beruf zunächst und vor allem als Job in einer serviceorientierten Branche namens Gesundheitswirtschaft ausüben. Diese Sichtweise entspricht im Zeitalter der allumfassenden Service-Einrichtungen einem neuen gesellschaftlichen Grundverständnis. Allerdings greift sie zu kurz und führt die Medizin unmittelbar ins Profane und Triviale, denn sie entzieht dem Arzt einen essenziellen, jenseits der handfesten Dienstleistung verorteten Teil seines Aufgabenbereiches. Überdies konterkariert sie grundsätzlich seine Stellung und Verantwortung gegenüber dem Patienten. Freilich sind Ärzte neben ihren anderen, hier noch zu besprechenden Funktionen auch Dienstleister, sie verrichten ja buchstäblich ihren Dienst etwa im Spital oder bei der Rettung. Die Mediziner aber deswegen in der Dienstleistungsbranche einzuordnen, wie es vor allem unter Ökonomen und Politikern zunehmend Usus wird, schafft spezielle Probleme, die außerhalb desMessbaren, jedoch im Zentrum des Spürbaren liegen.

Gesundheitsökonomen messen in der Krankenversorgung gerne Input und Output,sie vergleichen Leistungskennzahlen und wirtschaftliche Ziffern. Aus diesen Vergleichen ziehen sie ihre Schlüsse und treffen ihre Urteile über Effizienz, Qualität und Erfolg von medizinischen Interventionen. Dazubraucht es natürlich vor allem möglichst viele messbare medizinische Daten, welche valide Aussagen über Sinn und Unsinn ärztlicher Behandlungen ermöglichen. Das ist zweifellos bis zu einem gewissen Grad wichtig und notwendig, und kein ernst zu nehmender Arzt wird das bestreiten.

Letztlich hängt jedes Gesundheitssystem von den gegebenen Ressourcen ab, weshalb diese so optimal wie nur möglich eingesetzt werden müssen. Und um diese Ressourcen bestmöglich zu nutzen, brauchen wir Leute mit ökonomischem Wissen und Können. Vernünftigerweise sollten die Posten mit der höchsten Verantwortung im Gesundheitssystem mit wirtschaftlich ausgebildeten Ärzten besetzt werden, damit das allzu nüchterne und zahlenorientierte ökonomische Denken nicht dem Interesse des Patienten zuwiderläuft. In den USA erzielen übrigens jene Spitäler die besten Ergebnisse, die von Ärzten und nicht von Ökonomen gemanagt werden.

Die Medizin ist der einzig wesentliche kostentreibende Faktor im Gesundheitswesen, von ihr hängen alle anderen Kosten ab. Daher dreht sich aus Sicht der Finanzierungsverantwortlichen und der Gesundheitsökonomen alles um die Kosten der ärztlichen Versorgung. Der aktuelle Trend, Ärzte als Dienstleister zu betrachten, zielt genau dorthin, dieseKosten zuerst sicht- und danach begrenzbar zu machen: Klar definierte Dienstleistungen können nämlich exakt berechnet und Einsparungspotenziale gnadenlos gehoben werden.

Da aber der Arzt seinem Wesen nach keinreiner Dienstleister ist,sondern deutlich mehr zu bieten hat alssimple Serviceangebote, kollidieren die Berechnungsmethoden der Dienstleistungsspezialisten recht bald mit den ärztlichen Grundsätzen und Zielen. Bei klassischen Dienstleistungsbetrieben wie etwa McDonald's lassen sich aufgrund standardisierter Abläufe die Kosten vom Filialbau bis hin zum Verkauf des fertigen Produkts auf den Cent genau feststellen. Dasselbe soll nach der Logik von ökonomisch orientierten Managern auch mit der Medizin geschehen.

Messen, Standardisieren, Vereinheitlichen, Arbeitsteilung und Automatisation sind die Bausteine eines möglichst günstig wirtschaftenden Dienstleistungsbetriebs. Und messen kann man natürlich auch in der Medizin recht viel. Von Patientendaten und Laborbefunden bis hin zu den Kosten von OP-Besteck und technischem Personal, von der Geräteinvestition bis zur Dauer eines Eingriffs, all das ist berechenbar, und es ist für alle vorteilhaft, darüber Bescheid zu wissen. Standards kann man ebenfalls verordnen, man kann auch Behandlungen vereinheitlichen und automatische Prozeduren etablieren. Das ist in etlichen Bereichen der Medizin längst geschehen, man denke nur an die Labormedizin oder an fixe Chemotherapie-Regimes. Nicht zu berechnen und nicht zu standardisieren sind aber die zentralen und überlebenswichtigen Topoi einer guten und patientenzentrierten Medizin: Zuwendung, Zeit für Gespräche, Anteilnahme, Patientenführung und -motivation, Beratung und nicht zuletzt Trost und Zuspruch. Der Kern der Medizin wird nicht durch ökonomisch erfassbare technische Leistungen oder dienstleistende Handgriffe gebildet, sondern von diesen unersetzbaren und daher nicht zur Disposition stehenden Bestandteilen des ärztlichen Handelns.

Wenn die Medizin nun der totalen Vermessung anheimfallen soll und damit also zwangsläufig jener beschriebenen und nichtmessbaren Kernzonen entkleidet wird, stehen wir vor dem endgültigen Sieg der Technokratie. Und das in einem Bereich, der genuin und ausschließlich dem körperlichen und seelischen Wohl des Einzelnen dienen soll. Dieser Sieg wird auf der anderen Seite die finale Niederlage und das Verschwinden aller beschriebenen inkommensurablenWerte und Ideale in der Medizin bedeuten. Wem das allzu pathetisch klingt, dem sei die folgende Frage gestellt: Wollen Sie sich von einem Mediziner, der auftreten muss wie einMcDoc, oder vielleichtdoch lieber von einemtraditionellen Arzt behandelt wissen?

Die Vision des bereits ablaufenden technokratischen Paradigmenwechsels lässt sich noch weiterführen. Am Ende dieses Prozesses werden nämlich Diagnosecomputer und elektronisch gesteuerte Therapieautomaten den Arzt nahezu gänzlich ersetzen. Wir haben dann zwar ein kostengünstiges und nach ökonomischen Kriterien hoch effizientes System, aber ärztliches Einfühlungsvermögen hat darin keinen Platz mehr.

Freilich darf man auch nicht verschweigen, dass mit der verordneten und boomenden Dienstleistungsphilosophie eine wachsende Begehrlichkeit bei einem Teil des Publikums erzeugt wird, welche den Fast-Food-Trend in der Medizin noch verstärkt. Die vor ungeduldigen Menschen überquellenden Ambulanzen in den großen Spitälern beweisen das. Banale Leiden sollen dort im Quick-Lunch-Verfahren schnellstmöglich behoben werden, und wenn die Warteschlange zu lange ist, dann müssen eben mehr McDocs im weißen Kittel her.

Im Zusammenspiel zwischen dieser oft gar nicht bewussten Sehnsucht nach McDonaldisierung des Medizinbetriebs einerseits und der hier geschilderten gezielten Degradierung des Arztes zum Dienstleister andererseits wird so eine neue dysfunktionale Medizinkultur geschaffen, die mittelfristig wohl kaum den Ansprüchen und Nöten der wirklich Kranken gerecht werden kann. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.12.2011)

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