Wenn der Eismann klingelt

Helmut Barath besucht mit seinem Klein-Lkw täglich 60 Kunden im ländlichen Niederösterreich. Mehr als 200.000 Österreicher kaufen regelmäßig bei Bofrost tiefgekühlte Lebensmittel. – Aus der Serie „Unser tägliches Brot“.

Noch hängt der weiße Transporter am knallroten Stromkabel. Die minus 40 Grad wollen schließlich auch ohne laufenden Motor über die Nacht gehalten werden. Helmut Barath lädt durch die seitlichen Türen nach, was er am Vortag verkauft hat. Er muss das vollständige Sortiment an Bord haben, wenn er vor den Häusern seiner Kunden auftaucht: Rindsgulasch und Lachsfilet, Erdbeereis und Mischgemüse, Pizza Diavola und Obsttortenvielfalt. Dann bricht er von der Guntramsdorfer Bofrost-Niederlassung auf zu seiner Tour ins südliche Niederösterreich: nach Gramatneusiedl und Reisenberg,nach Mitterdorf an der Fischa und Unter-Waltersdorf, nach Hof am Leithagebirge und nach Loretto. Sechzig Kunden wird Barath mit seinem Dreieinhalb-Tonner ansteuern, er hat fast 300 Produkte an Bord, und am Abend wird er zwischen 1000 und 1500 Euro eingenommen haben. „Inmanchen Orten gibt esfast nichts mehr, oft keinen einzigen Greißler.“ Überdies kaufen beidem freundlichen Bofrost-Mann auch viele Pensionisten ein, die nicht mehr mit dem Auto fahren und nur schwer zum nächsten Supermarkt kommen; oder berufstätige Pärchen, für die es einfacher ist, am Abend die Tiefkühltruhe mit seiner Hilfe zu Hause aufzufüllen.

Bofrost gibt es gut 16 Jahre in Österreich, und europaweit gilt die hiesige Regionalgesellschaft als besonderer Erfolg. 215.000 Kunden kaufen im Zwei- oder Drei-Wochen-Rhythmus regelmäßig ein. Knapp 500 Mitarbeiter erwirtschafteten zuletzt 53 Millionen Euro Jahresumsatz. 260 Fahrzeuge sind zwischen Bodensee und Neusiedler See werktags unterwegs. „Bofrost ist vor 35 Jahren nahe Düsseldorf gegründet worden“, berichtet der Regionalverkaufsleiter Peter Gutberg, „von Josef H. Boquois. Das Unternehmen befindet sich noch immer im Familienbesitz, mittlerweile in der zweiten Generation.“ Österreich ist nach Deutschland und Italien der drittwichtigste Markt von zwölf in ganz Westeuropa, größer als jener in Frankreich oder in Spanien. „Das hat etwa damit zu tun, dass in Frankreich die großen Lebensmittelketten ein Zustellsystem anbieten.“

Der Gründer hatte im Rheinland ursprünglich damit begonnen, Gemüse aus der Region tiefgekühlt wiederum in derselben Region zu verkaufen, dann kam als erstes weiteres Produkt Speiseeis dazu. In rasantem Wachstum entwickelte sich ein Konzern mit 10.000 Mitarbeitern, das bedeutet die europäische Marktführerschaft im Tiefkühl-Direktvertrieb. Schritt für Schritt wurde das System perfektioniert. Heute hat jeder Kunde sein Geo-Tagging, sollte der Fahrer ausfallen, könnte ein anderer jederzeit dessen Tiefkühltruhen punktgenau ansteuern. Es gibt jährlich zwei saisonale Lebensmittelkollektionen und zwischendurch immer wieder Neuheiten und Produkte, die nicht gefroren sind: Wein, Rührschüsseln, Stielpfannen oder Plastik-Vorratsboxen. „Es muss aber immer mit Lebensmitteln zu tun haben“, so Gutberg. „Laufshirts verkaufen wir keine.“

Auch Bofrost-Fahrer Barath ist daran gelegen, seine Kunden für zusätzliche Waren zu interessieren. Sein Gehalt hängt nämlich nicht unwesentlich von Provisionen ab. „Es ist meist sehr gut, wenn Kinder dabei sind – die wollen immer etwas Neues, nicht nur Eis.“ Manchmal schicken die Eltern aber auch die Kinder vor, um ausrichten zu lassen, dass man heute nichts brauche. „Darauf sage ich, ich habe etwas für die Mutti, einen Prospekt. Dann kommen sie meistens doch heraus.“

Die Kundenstruktur in der Tiefkühlbranche ist äußerst unterschiedlich. Landbewohner kaufen regelmäßiger, aber mit kleineren Summen. Städter ordern seltener, aber umfassender. Und Zweitwohnsitzer sind irgendwo dazwischen. Im Sommer fährt Barath ausnahmsweise auch am Samstag aus, dann geht es nach Münchendorf und Velm, wo sich rund um mehrere Badeteiche zahlreiche Sommerhäuschen drängen. „Da mache ich in vier Stunden so viel Umsatz wie sonst an einem Tag.“

Und auch die Nachfrage nach den 300 Artikeln, die ein fahrender Verkäufer stets an Bord haben sollte, ist nicht einheitlich. Wohl bleiben 90 Prozent der Bofrost-Abonnenten immer wieder bei denselben sieben bis neun Artikeln. Aber es gibt Kunden für die gesamte Produktpalette und solche, die grundsätzlich keine Fertignahrung akzeptieren, sich aber regelmäßig mit Gemüse und Fischfilets eindecken. „In Deutschland verkaufen sich Fleisch-Fertiggerichte insgesamt besser als in Österreich“, so Gutberg. Ausnahmen bestätigen die Regel: So geht etwa Beuschel gut, es wird in der Gastronomie nicht mehr oft angeboten und würde viel Arbeit machen. „Manche wollen bei mir nur Leberknödel und nichts anderes“, erzählt der Fahrer Barath. „Sie sagen, das tun sie sich nicht mehr an.“

Von den 60 Katalogseiten mit Lebensmitteln sind zwei „Österreichs Lieblingsspeisen“ gewidmet: Frittaten mit Schnittlauch, Backhendl, Mohr im Hemd, Kaiserschmarrn. Diese kommen nicht unbedingt ausösterreichischer Produktion. Bofrost stellt alsVertriebsfirma nichts selber her, sondern kauft bei diversen Großküchen ein. Da rechnet es sich nicht leicht, nur für den vergleichsweise kleinen hiesigen Markt exklusiv zu produzieren. Überdies ist auch die Nachfrage oft in anderen Gegenden deutlich höher. Kaiserschmarrn verkauft sich in Deutschland besser, der wird in Österreich noch eher selbst gemacht.

Ebenfalls der großen Zahl fallen Anfragen nach Biolebensmitteln zum Opfer. Aber laut Bofrost-Management liege man bei allen Angeboten deutlich unter den gesetzlich Grenzwerten für Schadstoffe, es gebe keine Farbzusätze, und man erfülle die strengen Kriterien für Säuglingsnahrung.

Etwa 1000 Kunden besucht Herr Barath auf seinen Touren – im Schnitt jeden alle drei Wochen. „Vielleicht 200 kenne ich persönlich, aber ich schreibe mir auch auf, wann jemand zu Hause ist, damit ich nicht umsonst hinfahre.“ Barath gilt im Haus als sehr guter Verkäufer, dabei ist er erst seit zweieinhalb Jahren an Bord. Vorher war er Bankangestellter, und dann betrieb er ein Restaurant in einem Fitnesscenter. „Mit demRauchverbot sind die Umsätze rapide zurückgegangen, so habe ich verkauft.“

Jetzt liefert er die Pizzen und Baguettes tiefgekühlt, oft ist er ein rarer, wichtiger Sozialkontakt – vor allem für die älteren Kundinnen. „Die wollen meistens länger plaudern.“ Und Barath findet sich in seiner täglichen Arbeit mittendrin im Strukturwandel von Landwirtschaft, Lebensmittelindustrie und Konsumverhalten. Er selbst bestellt etwa auf seiner Fahrt bei einem Bauernhof immer wieder Kartoffeln und Eier. Die Bäuerin wiederum kauft bei ihm ein – unter anderem Pommes frites, eiskalt. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.02.2012)

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