Die Kunst nach ihrem Ende – ein MacGuffin

Vom Zittern vor der Banalität oder: Wie uns die Betriebsamkeit der Kuratoren und Kunstvermittler in Bann schlägt.

Im Nachlass von Hans Blumenberg fand sich eine kleine Meditation über die Beziehung zwischen Martin Heideggers Frage nach dem Sinn von Sein und der Rolle des MacGuffin in den Thrillern Alfred Hitchcocks. Ihr entnehme ich einen Fingerzeig auf den Status der Kunst nach der Moderne – das heißt nach ihrem Ende.

MacGuffin: So nannte Hitchcock jenes geheimnisvolle, ungeheuer wichtig erscheinende Element seiner Filme, das durch seine Attraktion die Dramatis Personae in die kühnsten Abenteuer stürzt und den Suspense der Handlung erzeugt, dessen Wesen jedoch im Laufe der Geschichte fragwürdig bleibt und auch am Ende nicht geklärt ist. Der MacGuffin ermöglicht den Plot der ganzen Story, er ist ihr Katalysator, doch wird sein Geheimnisnie gelüftet – um die Enttäuschung zu ersparen, dass er an sich völlig nichtig und banal ist und daher die Leidenschaften, die er entfachte, gar nicht wert war.

Das Sein, sagt Blumenberg, ist derMacGuffin der Philosophie – hält doch dieFrage nach seinem Sinn die gesamte Daseinsanalytik von „Sein und Zeit“ in Atem,des bedeutendsten philosophischen Buches des 20. Jahrhunderts, dessen legendärer zweiter Band, mit dem Heidegger eine Antwort angekündigt hatte, nie geschrieben wurde – und auch nicht geschrieben werden durfte! Denn, so Blumenberg, „wer die Zurüstungen für die Expedition in das Zentrum des vom Dasein verstandenen Seins jemals auf sich hat wirken lassen, zittert vor der Banalitätdessen, was am Ende aller Daseinsanalysen inmitten des Zauberkreises ,Zeithorizont‘ zutage gefördert werden könnte“.

Der Betrieb kreist um das Nichts

Wenn es sich so verhält – und es verhält sich so! –, dann ist die Kunst ihrerseits (und das ist ein Syllogismus) als „das Sich-ins-Werk-Setzen der Wahrheit des Seienden“ (Heidegger), a fortiori die nachmoderne Kunst, die nicht mehr „schön“ sein will und auch nicht „erhaben“, sondern nur mehr ein Erkenntnismittel und als solches, wie man gerne sagt, „spannend“,der MacGuffin des ästhetischen Diskurses, der ihn ermöglicht und vorantreibt. An sich selber vollkommen bedeutungslos und nichtig, ohne Begleitkommentar meist nur Gerümpel, stachelt er diesen alsbehaupteter Bedeutungsträger zu immer neuen Sinnvermutungen an, zu den raffiniertesten Spekulationen, zu wahrenAbenteuern des Geistes, für die er als katalytisches Agens unentbehrlich, wenn auch fast ohne sinnliche Implikationen ist. „Spannend“ wird die Chose nur durchihre Besprechung, weil man a priori nie weiß, was die Kuratoren oder die Vermittler denn sagen werden. Deren Wort aber und das ihrer Agentenkollegen hauchen den stummen Artefakten eine Kunstseele ein, die sich a posteriori sehr wohl auch sinnlich expliziert: in Gestalt einer gigantischen artökonomischen Betriebsamkeit, welche die Gemeinde sinnsuchenderKunstfreunde in Bann schlägt und sich ihre eigenen Schulen, Märkte und Institutionen schafft.

Doch bleibt dieser Betrieb, auch wenner sich zunehmend vom Imaginären ins Reale auslegt, in seinem Wesen tautologisch: Denn er kreist in sich selber um das reine Nichts. Sagte man nämlich wirklich,was man als „Kunst“ noch sieht – und „man zittert vor der Banalität dessen, was das zutage förderte“ –, so wäre die Spannung gelöst und das erregende Spiel zu Ende: Ein MacGuffin erträgt den Ruf seines eigenen Namens nicht, und der Preis der Erkenntnis ist die Langeweile.

Für Emil Breisach. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.04.2012)

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